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nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 16
50. Jahrgang | Juni
Portrait
Schubert und ein kleiner grüner Kaktus
Die Singphoniker auf dem Grat zwischen E und U
Die Singphoniker gehören zu den wenigen Vokalensembles, die
sich auf dem sehr kleinen und engen Markt der vokalen Kammermusik
etabliert haben. Vor über zwanzig Jahren hat sich das sechsköpfige
Vokalensemble in München gegründet. Das Repertoire reicht
von der Gregorianik bis zur Neuen Musik. Heute geben die Singphoniker
rund 50 Konzerte im Jahr und behaupten sich international neben
Vokalensembles wie den Kings Singers, dem Hilliard Ensemble,
den Gothic Voices und in Deutschland Singer Pur oder Cantus Cölln.
Spagat durch die Musikgeschichte:
die Singphoniker. Foto: Archiv
Der Markt für vokale Kammermusikensembles scheint seit einigen
Jahren zu boomen. Das Publikum, auch ein junges, nimmt Konzerte
in diesen Besetzungen meist mit Begeisterung an. Und doch ist im
Gegensatz zur instrumentalen Kammermusik der Markt so klein, dass
man die Singphoniker, das Hilliard Ensemble oder auch Singer Pur
ungeachtet der unterschiedlichen Besetzungen und Repertoireschwerpunkte
in einem Atemzug nennen kann. Die Singphoniker, das sind sechs Männerstimmen
a capella oder mit Klavier. Der künstlerische Radius gleicht
einem Spagat quer durch die Musikgeschichte von zeitgenössischer
Musik bis ins früheste Zeitalter kirchlicher Vokalkunst, von
den Comedian Harmonists bis Orlando di Lasso. Kontrastreich changieren
sie zwischen E- und U-Musik und vermögen, wie in einem der
themenbezogenen Programme Adieu 20. Jahrhundert, die
Zuhörer von einer Musik in die andere zu leiten. Höchste
musikalische Ansprüche und niveauvolle Unterhaltung schließen
einander nicht aus. Die musikalische Heimat der Singphoniker
jedoch liegt in der Musik des 19. Jahrhunderts: bei Schubert, Mendelssohn
Bartholdy, Schumann, Brahms und vielen mehr.
Wie etabliert sich ein Vokalensemble im internationalen Markt
der Kammermusik? Welche Rolle spielen Agenturen, Veranstalter, Festivals,
Preise, Wettbewerbe und CDs? Der Anfang: Sechs Studenten der Hochschule
für Musik und Theater finden sich auf den Reisen des Madrigalchores
der Hochschule und stellen eine Musik des 20. Jahrhunderts auf die
Beine, die so gar nichts mit Schönberg, Ligeti, Bartók
oder Penderecki oder anderen Komponisten der Zeit gemein zu haben
scheint. Das Vorbild Comedian Harmonists stand am Anfang, und das
zu einer Zeit, in der das Ensemblesingen in dieser Besetzungsgröße
noch nicht die Popularität von heute hatte. Das Repertoire
ging sehr schnell in die Breite, und aus der studentischen Unterhaltungstruppe
auf Chorreisen wurde ein professionelles Ensemble, das seinen Schwerpunkt
heute in der Musik des 19. Jahrhunderts und ganz besonders in der
deutschen Romatik sieht.
Rund 50 Konzerte im Jahr geben die Singphoniker heute, ungefähr
die Hälfte davon in Deutschland. Das Ausland, besonders Frankreich
und auch Italien, ist für die Singphoniker ein immer wichtigerer
Konzertmarkt. Die Wettbewerbe für vokale Kammermusik spielten
und spielen auch heute noch eine eher marginale Rolle. An einem
einzigen Wettbewerb in Italien nahmen die Singphoniker teil, und
diesen einzigen Wettbewerb in Gorizia gewannen sie 1988. Den Weg
zur internationalen Konzertkarriere haben die Singphoniker sich
im wahrsten Sinne des Wortes spielend beziehungsweise
singend verdient. Für einzelne Länder sind
von den Singphonikern verschiedene Agenturen beauftragt, jedoch
nicht exklusiv. Im festen Glauben daran, dass dies zu einem lebendigen
Geschäft gehöre, behalten sich die Singphoniker so das
Recht vor, auch selbst Konzerte auszuhandeln.
Der Kammermusikmarkt ist ein hart umkämpftes Terrain. Ist
die Zahl der Veranstalter und Festivals schon für Streichquartette,
Klaviertrios, Duos und alle anderen instrumentalen Kammermusikformationen
relativ überschaubar, so wird die Luft für vokale Kammermusikformationen
wirklich dünn. Nur wenige Ensembles wie die Singphoniker können
sich in diesem Markt der Kammermusik ohne Mikrofone und große
Hallen einen Platz erobern. Jährlich rund 50 Konzerte
erscheint da eine beachtliche Zahl.
Beachtlich auch ist die Zahl der mittlerweile über 20 CDs,
die die Singphoniker produziert haben und die international mit
Preisen ausgezeichnet sind. Erschienen sind die meisten bei CPO,
einem Klassiklabel mit ambitionierter und preisgekrönter Programmpolitik
aus dem Hause JPC, einem der größten, wenn nicht dem
größten deutschen Plattenversand. Neben Conradin Kreutzer,
Felix Mendelssohn Bartholdy und Michael Haydn sind auch die fünf
Schubert-CDs bei CPO erschienen. Zum ersten Mal sind damit alle
Gesänge für Männerstimmen Franz Schuberts in einer
Edition vereint. Viele Lieder erklingen dabei seit fast zweihundert
Jahren zum ersten Mal wieder, und mehr als zwei Drittel der Werke
sind erstmals auf CD erhältlich. So wie Nikolaus Harnoncourt
bei der Suche nach authentischer Interpretation von Instrumentalmusik
eine Vorreiterrolle spielte, so verstehen sich die Singphoniker
in der Vokalmusik des 19. Jahrhunderts als Vorreiter authentischen
Musizierens. Es geht um Originalklang, der von der solistischen
im Gegesatz zur chorischen Besetzung, über die Stimmgebung
und Akzentgestaltung bis hin zur Hammerflügelbegleitung reicht.
Erstaunlicherweise weniger in Deutschland als in Frankreich wurden
die CDs mit den höchsten Auszeichnungen bedacht. Im SchubertJahr
wurden die Singphoniker in der französischen Presse gar als
das Ensemble gehandelt, das den bedeutends-ten deutschen Schubert-Vokalbeitrag
geleistet habe. Ein bisschen Wehmut klingt bei den Musikern dabei
an, dass das Image der Singphoniker gerade für die deutsche
Romantik im Ausland größer zu sein scheint als in Deutschland.
Vielleicht schafft man das zu ändern? Das Zeug dazu hätten
die Singphoniker und es wäre ihnen zu wünschen.
Kathrin Hauser-Schmolck
Auswahldiskografie
Singphonic Conradin Kreutzer (cpo 999 693-2)
Durch den Tod zum Leben (VT 501)
Ein Mensch ringt mit Gott (VT 502)
Officium Beatae Mariae Virginis (glissando 779 007-2)