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VdM
nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 28
50. Jahrgang | Juni
Verband deutscher Musikschulen
Am Wochenende steht das Klavier im Abseits
Musikschulleiter lässt Jancker und Co. nach seiner Pfeife
tanzen
Gesehen hat ihn jeder Fußballfan schon. Dem aufmerksamen
Zuschauer von Bundesliga-Fußballspielen im Fernsehen wird
auch sein Name vorgekommen sein. Doch kaum einer wird wissen, dass
Herbert Fandel (37), der Mann im Schiedsrichter-Dress, der nicht
allein das größte Laufpensum eines Spiels zu absolvieren
hat, sondern sich unter den 22 Gladiatoren allein mit einer Trillerpfeife
und zwei bunten Karten bewaffnet Respekt verschaffen muss, im wahren
Leben Konzertpianist ist und im Hauptberuf die Kreismusikschule
Bitburg-Prüm leitet. Mit Herbert Fandel sprach der VdM-Bundesgeschäftsführer
Rainer Mehlig.
Mehlig: Herr Fandel, wir freuen uns, dass Sie Zeit für
dieses Interview gefunden haben.
Fandel: Das ist doch selbstverständlich. Sie glauben
ja nicht, wie oft das Telefon klingelt, und die Zeitung ist dran.
Und für meine Familie, die Musiker, mache ich
das besonders gern.
Mehlig: Wie wird man eigentlich als Musikschulleiter Schiedsrichter
in der Bundesliga?
Fandel: Als ich Schiedsrichter in der Bundesliga wurde,
war ich noch gar nicht Musikschulleiter. Ich war ein ganz einfacher
Klavierlehrer an unserer Musikschule. Schiedsrichter in der Bundesliga
wird man, indem man die Schiedsrichterprüfung macht. Das
habe ich 1979 getan als junger Kerl mit 14 Jahren und bin dann
Jahr für Jahr eine Klasse höher gestiegen. Das geschieht
durch Beobachtungen von ehemaligen Schiedsrichtern der Bundesliga,
und die waren der Meinung, dass ich von der Qualität her
da oben hinpasste. Ich bin als Konzertpianist von der Musikhochschule
in Köln gekommen. Damals stand ich schon in einer kleinen
Konzertkarriere. Und ich kam zu dieser Zeit an eine Art Lebenskreuzung,
wo ich mich entscheiden musste: Was will ich werden? Beim Fußball
hatte ich damals schon sehen können, dass der Weg irgendwann
auch einmal bis zur Bundesliga führen kann. Und habe mich
dafür entschieden, den pädagogischen Weg zu gehen als
Musikschullehrer, dann als stellvertretender Leiter und jetzt
als Musikschulleiter. So konnte ich damals mein Hobby beibehalten
und bin jetzt eben Bundesligaschiedsrichter.
Qualität
am Piano und auf dem Rasen: Herbert Fandel. Fotos: Jan Becker/Gilliar
Eifried Sportfotografie
Mehlig: Man ist doch als Bundesliga-Unparteiischer berühmter
als ein Musikschulleiter?
Fandel: Ja, natürlich. Es ist ja mittlerweile im
Profi-Fußball so, dass die Schiedsrichter nicht mehr eine
Nebenrolle spielen, sondern auch durch das Aufkommen der Medien,
durch Zeitungen, Fernsehen und die vielen Kameraeinstellungen
während eines Spiels, sehr bekannt sind. Man muss sich mit
den Medien auch auseinander setzen, das ist nun mal so. Und in
meinem zweiten Bereich ist es mir eher lieber, unauffälliger
zu bleiben, aber effizient.
Mehlig: Wie bekommen Sie denn Haupt- und Nebenberuf unter
einen Hut? Mussten Sie schon einmal ein Konzert absagen, um die
Trillerpfeife zu spielen?
Fandel: Man ist vielfach darüber verwundert, dass
beides zu schaffen ist. Aber das geht, indem man die Zeit, die
man dann letztendlich für den Job hat, dann zu 150 Prozent
auszunutzen versucht. Und das versuche ich zu tun.
Mehlig: Werden Sie in Fußballerkreisen als Exot betrachtet?
Oder auch in Musikerkreisen?
Fandel: Ja, ich werde tatsächlich oft angesprochen,
wie das möglich ist, dass ein Musiker, ein Konzertpianist
gleichzeitig FIFA- und Bundesliga-Schiedsrichter ist. Aber ich
sehe da durchaus viele Parallelen. Für mich ist das etwas
ganz Normales.
Mehlig: Wo sehen Sie denn die Parallelen? Welche Eigenschaften
als Musiker, Musikpädagoge oder als Musikschulleiter kommen
Ihnen beim Schiedsrichten zugute, und welche Qualitäten des
Schiedsrichters prägen die Musikschularbeit?
Fandel: Ich muss als Musikpädagoge eine klare Konzeption
haben. Das verlange ich jetzt auch von den Lehrern in meiner Musikschule.
Dies muss ich als Bundesligaschiedsrichter und FIFA-Schiedsrichter
natürlich auch auf dem Platz umsetzen. Hinzu kommt, dass
ich durch meine Konzerttätigkeit schon früh mit Lampenfieber
und mit dem öffentlichen Auftreten vertraut war. Und das
nutzt auch dem Schiedsrichter in hektischen Situationen oder in
wichtigen Spielen.
Mehlig: Man sagt ja, dass man ein Instrument spielt,
auch Fußball wird gespielt. Ist es das Spielerische,
was für Sie eine Verbindung schafft? Oder worin liegt beim
Fußball die Musik?
Fandel: Ja, das ist schwer nachzuvollziehen. Ich bin
eben damit aufgewachsen. Meine gesamte Familie ist fußballbegeistert:
mein Vater war Schriftführer im Verein, meine drei Brüder
waren alle Schiedsrichter. Wir haben alle vier in der Fußballmannschaft
zusammen gespielt, gleichzeitig aber auch Musik gemacht. Meine
Mutter ist eine hervorragende Sopranistin. Bei uns in der Familie
ist das zusammen vorhanden und für mich etwas ganz Natürliches.
Mehlig: Kommen sie sich als Musikpädagoge auch schon
mal wie ein Schiedsrichter vor? Zeigen Sie auch in der Musikschule
die gelbe oder die rote Karte?
Fandel: Ich komme mir immer mehr auch schon mal als Schiedsrichter
vor. Ich denke, wenn man eine Firma wie eine so große
Musikschule leitet, muss man das ein oder andere Mal Entscheidungen
treffen, die auch unpopulär sein können, aber um des
Gesamtwohls willen.
Mehlig: Was war bis jetzt ihr schönstes Fußballerlebnis?
Fandel: Ohne Zweifel die Nominierung als einer von drei
europäischen Schiedsrichtern zu den Olympischen Spielen jetzt
nach Sydney.
Mehlig: Lohnen sich 90 Minuten Laufen mehr als 90 Minuten
Klavier zu unterrichten?
Fandel: Ja, erheblich. Es ist ja teilweise so, dass die
Musikschulleiter recht mittelmäßig bezahlt werden für
die Arbeit, die sie leisten. Als Bundesliga- und FIFA-Schiedsrichter
werden wir mittlerweile sehr gut honoriert. Mir ist aber davon
abgesehen etwas ganz anderes wichtig: Auch ein Musiker, der sich
ja mit vielen Dingen beschäftigt mit Literatur, mit
Komponisten und so weiter sollte doch immer auch ein bodenständiger
Mensch bleiben. Dazu hilft mir doch teilweise auch der Fußball.
Und das wäre auch eine Botschaft, die ich gerne vermitteln
möchte: Künstler und Musiker sein, ohne die Bodenhaftung
zu verlieren.