Ein kühnes Projekt in abgelegener Region: die Auber Prozessionsnacht
Es ist immer wieder erstaunlich und zugleich höchst erfreulich,
wie kühne musikalisch-künstlerische Projekte vor allem
in Randlagen ein Publikum zu fesseln verstehen, Projekte, bei denen
jeder professionelle Anbieter sofort die Stirn zu runzeln begänne
und sie in die Schublade Nicht verwirklichbar ablegen
würde. Die Auber Prozessionsnacht, eine Kunstwanderung in den
Pfingstmorgen hinein war so eines.
Aub ist ein kleiner hübscher Ort im Niemandsland zwischen
Franken und Württemberg. Immerhin: Vor ungefähr 500 Jahren
hat ein Tilman Riemenschneider in dieser Gegend gewirkt und die
Stadtpfarrkirche kann sich mit einer wunderschönen Kreuzigungsszene
von ihm schmücken. Aub besitzt aber auch ein aufwändig
restauriertes Haus Ars musica, das neben einem alternativen
Gaststättenbetrieb viel Raum für Ausstellungen oder Konzerte
gibt. Zum zehnten Mal war es Kristallisationspunkt des Festivals
Ars musica Aub, zum ersten Mal wagte man nun das achtstündige
Multikonzert der Prozessionsnacht.
Hans-Karsten Raecke mit seiner
Blas-Metall-Dosenharfe bei der Auber Prozessionsnacht.
Foto: Anke Kies
Der Pfingstgedanke wird hier ernst genommen. Denn was meint er
anderes als Begeisterung im höheren Sinne, also den Prozess
des zu Geist Kommens. Das geht nicht über Entertainment, das
allenfalls das Flachstück des Begriffs Begeisterung abdeckt.
Es geht über Anstoß hin auf Neues, Ungewohntes, Ungewöhnliches,
es geht auch über eigene Anstrengung (die nicht zuletzt auch
bei den nächtlichen Wanderungen zu den Veranstaltungsorten
durch die diesjährige pfingstliche Regenkälte gefordert
wurde). Und man darf den Veranstaltern vom Verein Ars musica
ein hohes Maß an Kundigkeit und Fingerspitzengefühl bescheinigen.
Auch was die Ortswahl betrifft: Neben Kirchräumen besuchte
man den Schlachthof, wo ein Blockflötenquartett zwischen Blutrinnen
und Knochensägen Musik unter anderem von Pärt, Serocki
und Piazzolla spielten, man schritt um zwei Uhr früh (auf
eigene Gefahr) durch den stockfinsteren Burgwald, der von
wundersam launischen Waldfeen durchsetzt war, man schritt in eine
alte Kellerkapelle hinab, wo Luis Zett ein faszinierendes Belauschen
von Steinen vorstellte, die rollend, schlingernd oder über
Kanten gekippt Individualklänge und -rhythmen auswarfen: Gesang
der Steine. Am Schluss langte man beim einsamen Turm einer
verfallenden Burg an, wo es in Lebensatem und Wehen des Logos
schließlich um erste und letzte Dinge ging.
Acht Stunden, aber die Vielzahl an ganz unterschiedlichen und divergierenden
Eindrücken machte die Zeit kurz. Die Tanz-Schauspielerin Eleonora
Allerdings zeigte eine rätselhaft lichte Pfingst-Performance
über Tauben, Feuerzungen oder Briefbotschaften.
Der Brasilianer Newton Moraes spürte tanzend den Urwurzeln
südamerikanischer Kultur nach, Lisa Kuttner füllte ihrerseits
Tanz mit großer und exaltierter Expressionsgestik, begleitet
von einem improvisatorisch gespielten Cello. Der findige und außerordentlich
kreative Instrumentenbastler und Komponist Hans-Karsten Raecke stellte
seine Blas-Metall-Dosenharfe mit verblüffenden Klängen
und Klang-Geräuschkombinationen vor und ließ eine Wassermusik
folgen, die virtuos auf einem saxophonartigen Instrument aus Plastik-Abflussrohren
geblasen wurde. In diesem Rahmen nahm sich die Uraufführung
des Vokalstücks Neues Pfingsten für Bariton,
Sprecher und Live-Elektronik mit seinem Bemühen um vertiefende
Deutung des Pfingstgedankens schon fast wieder konservativ aus.
Die Auber Prozessionsnacht jedenfalls war ein Erlebnis der anderen,
der besonderen Art. Die Bevölkerung war eingebunden und begegnete
neugierig dem Fremden, viele Interessierte waren angereist und hielten
ohne größere Ermüdungserscheinungen bis zum Frühstück
um vier Uhr durch. So waren die Veranstalter zum Schluss dem widrigen
Wetter fast dankbar: Denn sonst wären sie vermutlich vor dem
Besucherandrang gescheitert, der so eben noch bewältigt wurde.
Alle wohl sind gespannt auf die Lösung im nächsten Jahr.