Zur Biennale Neue Musik in Hannover vom 6. bis 10. Juni 2001
Le Sacre Musik, Ritus, Religiosität war
in diesem Jahr das Motto der Biennale Neue Musik in Hannover, ein
Motto, bei dem die Gefahr groß war, dass das ganze Festival
ins Spirituelle, Spekulative oder Modisch-Esoterische abgleitet.
Um es vorab zu sagen: Lediglich in der Eröffnungsveranstaltung,
einem Glockenkonzert, wurde vom Veranstalter dieser Versuchung nachgegeben.
Llorenc Barbers Komposition für die 30 sehr unterschiedlichen
Glocken der Altstadt Hannovers hatte höchstens in den letzten
Minuten eine hörbare kompositorische Dichte. Sie wirkte in
weiten Teilen beliebig, hatte allerdings im Gegensatz zu den meisten
anderen Konzerten als Freiluftveranstaltung einen erfreulich großen
Zuhörerkreis gefunden.
Abgesehen von dieser zwar durchaus reizvollen, jedoch künstlerisch
wenig ergiebigen Veranstaltung und einem etwas problematischen Preisträgerkonzert
des Kompositionswettbewerbes ist von einem Festival zu berichten,
das Seltenheitscharakter hat: Kein Überdruss wegen reihenweiser
mittelmäßiger Stücke, kein Kopfschütteln wegen
schlecht gestalteter Programme. Stattdessen eine Reihe beeindruckender
musikalischer Begegnungen. Und: Eine Trefferquote bei den Uraufführungen,
die ihresgleichen sucht. Ein Hervorheben der allesamt vorzüglichen,
erstmals gespielten Werke von Gabriel Erkoreka, José M. Sanchez-Verdú,
Matthias Pintscher, Charlotte Seither und Frank Cox soll darum auch
nicht suggerieren, dass die anderen Uraufführungen oder das
vorzügliche Porträtkonzert Salvatore Sciarrino des brillant
musizierenden Ensembles Recherche aus Freiburg keine nähere
Beschreibung wert gewesen wären. Aber die Uraufführungen
sind nun einmal das Essenzielle eines Festivals mit Neuer Musik.
Die Spanier Erkoreka und Sanchez-Verdú komponierten ebenso
eindringlich-leise Stücke für Kammerensemble wie Charlotte
Seither und Frank Cox für sechs Stimmen und Matthias Pintscher
für Frauenchor, Schlagzeug, drei Cellisten und Live-Elektronik.
Wie sich in Zeitlupentempo bewegende Farbtupfen wirkte Erkorekas
Stück Izaro. Dabei zielte Erkoreka in seiner zwischen
Statik und langsamer innerer Bewegung pendelnden Schreibweise weder
auf banale äußere Wirkungen noch auf esoterisches Einlullen.
Es gelang ihm vorzüglich in seiner sehr reflexiv wirkenden
Musik eine Zeitlosigkeit zu vermitteln, die den Hörer bis in
die Unendlichkeit hinein in Spannung halten könnte. So bekam
der Hörer eine Ahnung von dem, was Ewigkeit sein könnte.
Ein bewegendes Stück, das zudem ideal dem Festivalmotto gerecht
wurde.
Ähnliches lässt sich auch von Sanchez-Verdús
höchst sinnlichem neuen Stück Quasid 7 sagen.
Sanchez-Verdú gelang es mittels Stimme und einer Handvoll
Instrumente, mystisch-erotische Klangbilder zu beschwören,
die keinen Hauch von unangenehmer Schwüle in sich trugen, sondern
von großer innerer Klarheit geprägt waren: Eine Entdeckung,
die nicht zuletzt auch dank der Qualität des Neuen Ensembles
Hannover und der Sopranistin Ksenija Lukic starke Wirkung zeigte.
Charlotte Seither.
Foto: Oswald
Auf ganz andere Weise sorgte Frank Cox für staunende
Begeisterung unter den Zuhörern. Die phänomenal guten
Neuen Vokalsolisten aus Stuttgart erkundeten in Coxens sehr stringent
gebautem und äußerst dynamisch wirkenden neuen Stück
Entstehung II alle nur denkbaren geräuschhaften
Formen menschlicher Klangerzeugung mit Stimme und Mund. So intensiv,
allerdings in ganz anderer Ausformung, hat man dies bisher nur bei
Dieter Schnebel erleben können. Dessen Vorbildfunktion blieb
bei Charlotte Seithers sich langsam aus der Stille heraus
entwickelnder und wieder in ihr verschwindender Musik für Momente
zwar noch erkennbar, aber die Komponistin ist offensichtlich inzwischen
selbstbewusst genug, um einen hörbar eigenen Weg zu gehen.
Bei so viel Begeisterung gerät ganz in den Hintergrund, dass
das Preisträgerkonzert des Kompositionswettbewerbes enttäuschte.
Das Hilliard-Ensemble sang nämlich nur eine von drei preisgekrönten
Kompositionen: Luca Belcastros La voce della creature,
ein zwar reizvolles, aber wenig originelles und etwas langatmiges
Stück. Beeindruckend geriet dabei mehr die Aufführungsqualität
als das Stück selbst, obgleich Belcastro darin durchaus geschickt
mit raffinierten Varianten und Durchmischungen von Atmen, Summen,
Flüstern, Sprechen und Singen arbeitet.
Unweigerlich stellt sich der Eindruck ein, dass dieses Stück
vor allem deshalb als einziges der Gewinner-Stücke aufgeführt
wurde, weil es den Hilliards auf den Leib geschrieben wurde. Sieht
man sich die nicht aufgeführte Partitur des ebenfalls mit einem
ersten Preis ausgezeichneten Werkes Zen-Gesänge von Peter
Köszeghy an, wird diese Vermutung unterstützt. Da
hat nämlich ein Komponist eine Vokalmusik mit einer ganz rauen
Oberfläche geschrieben. Meditatives scheint Köszeghy fremd
zu sein. Weiche Übergänge sind nicht seine Sache, eher
harte Schnitte, komprimierter, manchmal geradezu explosiver Ausdruck.
Dies erleben zu können, hätte dem insgesamt matten Preisträgerkonzert
sicher eine zusätzliche Farbe verliehen. Und der Glaubwürdigkeit
des Einsatzes der Hilliards für zeitgenössische Musik
hätte es gut getan, auch einmal ein Stück ins Repertoire
zu nehmen, das ihrem Gesangsverständnis vielleicht nicht so
liegt und Wandlungsfähigkeit verlangt. Schade eigentlich. Aber
nach diesem enttäuschenden Konzert kamen zur allgemeinen Freude
nur noch positive Überraschungen.