Fünf neue Kurzopern von jungen Komponisten in Frankfurt
· Auch München und Zürich präsentieren einen
Wettbewerb
Die kurze Oper, der knappe Einakter, das Intermezzo durchziehen
die Historie des Musiktheaters gleichsam wie ein roter Faden:
Von den Florentiner Intermedien, von Pergolesis La Serva Padrona
über die Einakter von Rossini und Offenbach bis in die Moderne,
zu Strawinskys Mavra, den Einaktern von Krenek und vor
allem Hindemith, Poulencs La voix humaine und Milhauds
genialischen Minuten-Opern.
Wenn jetzt die Opernhäuser in Frankfurt am Main, München
und Zürich insgesamt elf jungen Komponisten die Chance gaben,
sich als Kurz-Opernkomponisten zu präsentieren,
so kann das verdienstvolle und hoch ambitionierte Projekt über
die Nachwuchspflege und die damit verbundenen pädagogischen
Intentionen hinaus zugleich auf die historisch begründete,
ästhetisch autonome Form der Kurz-Oper verweisen. Gleichwohl
stand aber bei den neuen Opernprojekten das Präludieren, die
Fingerübung im Vordergrund: Noch weit gehend opernunerfahrene
junge Komponisten erhielten Gelegenheit, sich mit ästhetischen
und handwerklichen Fragen des Musik-Theaters auseinander zu setzen.
Dem jeweils Besten der beiden Wettbewerbe (München
und Zürich kooperieren) winkt der Auftrag für eine größere
Opernarbeit. In Frankfurt erhielt der französische Komponist
Marc André (Jahrgang 1964) diesen Auftrag, verbunden mit
einem Preisgeld von achtzigtausend Mark. Dafür muss er eine
Ein-Stunden-Oper (warum diese penible Begrenzung?) schreiben, die
dann im Jahre 2005 in Frankfurt uraufgeführt wird. Beim München/Zürich-Wettstreit
steht der Erwählte noch nicht fest.
Verzweifelter Kampf gegen
den Rechner: Marc Andrés Kurzoper ...O...
thematisiert ein berühmtes Schachspiel. Foto: Charlotte
Oswald
Beide Wettbewerbe brauchten sich über die Masse
der Einsendungen nicht zu beklagen: Es waren jeweils mehr als fünf
Dutzend. Übrig blieben nach strenger Auswahl in Frankfurt fünf
neue Werke, in München und Zürich je drei. Die Jurys waren
prominent besetzt: München/Zürich mit Dirigenten (Welser-Möst,
Mehta), Regisseuren, Dramaturgen, Librettisten, Musikverlegern und
den beiden Intendanten: Peter Jonas beziehungsweise Alexander Pereira.
Die Frankfurter Jury bestand überwiegend aus arrivierten Komponisten
mit Opernerfahrung: Rihm, Ruzicka, Sciarrino, Dusapin und George
Benjamin.
Obwohl die Frankfurter Jury, wie Wolfgang Rihm bedeutungsschwer
betonte, bis tief in die Nacht heftig und gedankenschwer beraten
hatte, lief letztlich die Entscheidung auf den Komponisten hinaus,
dessen Stück sich schon beim ersten Anhören als das musikalisch
dichteste, substanzreichste herausgestellt hatte, auf Marc Andrés
...O.... Marc Andrés thematische Vorlage ist
das berühmt gewordene Schachduell zwischen dem damaligen Weltmeister
Kasparov und Deep blue, dem von IBM entwickelten Schachcomputer,
das an neun Tagen im Mai 1997 stattfand und mit der Niederlage des
Menschen endete. Verknüpft mit diesem Zweikampf sind Motive
aus der Geheimen Offenbarung die Vokalpartien der vier Sänger
stützen sich auf geflüsterte Vokalisen auf A und O (aus
Kap. 22 Vers 13), assoziiert wird außerdem Ingmar Bergmans
Film Das siebente Siegel (1956, ebenfalls nach der Offenbarung
entstanden), in dem der Kreuzritter in einer existenziellen Grenzsituation
eine Schachpartie mit dem Tod austrägt, die er verliert.
Auf die existenzielle Situation des Menschen in der Gegenwart
zielt Andrés Werk. Wie sehr sein Menetekel schon der Realität
entspricht, das beweisen die Ankündigungen der Hirnforscher,
nach denen das menschliche Bewusstsein noch in diesem Jahrhundert
technologisch verfügbar sein wird. Das Kino, meist schneller
als das Theater, bringt in diesen Tagen dazu schon den Film: Steven
Spielbergs KI Künstliche Intelligenz
ein Roboter lernt die menschliche Liebe. Eine beklemmende Vorstellung.
Etwas von dieser Beklemmung spürt man bei Marc Andrés
...O..., in der genau strukturierte, Schachzügen
gleichende Musik, verhaltene, dann wieder jäh auffahrende Klänge
und Geräusche, die von den Publikum und Akteure umstellenden
Instrumentalgruppen und der Live-Elektronik (Freiburger Experimentalstudio
mit André Richard) ausgehen, einen magischen Klang-Raum beschreiben,
der die Aktionen der Vokalisten und Akteure gleichsam in sich aufnimmt.
Ein Protagonist (Willy Forwick) spielt auf der Szene
zwischen und mit den gelben Bauklötzen und Rollen, arbeitet
sich mühsam irgendwohin vor, türmt einige Quader zu einem
hohen Turm und verliert dennoch: Ein kafkaeskes Schachspiel
zwischen hohen, rot gewandeten Turmfiguren, in dem der Mensch keine
Chance besitzt: Er löst sich quasi in der Maschine auf
die Zukunft? Katrin Hilbes Inszenierung findet für die Überhöhung
des Spiels einprägsame Bilder und szenische Abläufe.
Die Industriearchitektur des Bockenheimer Depots, in dem alle Uraufführungen
stattfanden, verstärkte bei Andrés Stück zusätzlich
und eindringlich den technizistischen Aspekt der Vorgänge.
Das Ensemble Modern unter Johannes Debus agierte perfekt, inspiriert,
engagiert für junge Komponisten ist solche interpretatorische
Autorität ein Glücksfall.
Davon profitierten in hohem Maße auch die vier anderen Novitäten.
Jörg Widmann (Jahrgang 1973 nennt seinen Beitrag Das
Echo eine szenische Klanginstallation: Ein junger
Mann stößt an die Grenzen des verbalen Ausdrucks: Aus
dem folgenden Urschrei, einem Klang, folgt die Erkenntnis,
dass allein Musik noch fähig ist, emotionale Äußerungen
in Realität zu überführen: Im Spiegelbild erscheint
dem Mann/Sprecher eine Sängerin als Chance einer emotionalen
Befreiung. Das Plädoyer für die Wirkung von Musik, das
auf jedem Musikschulkongress vorgeführt gehörte, gewinnt
in Widmanns Montage aus Text und Musik durchaus theatralische Qualitäten
(Regie: Bettina Giese).
Wer über neue Inhalte des Opernkomponierens nachdenkt, dem
fällt auf, dass der klassische Held, der zur Identifizierung
einlädt, der primär psychologisches Interesse erweckt,
ausgedient hat. Der Mensch wird vielmehr in der Komplexität
und auch Kompliziertheit einer zunehmend durchorganisierten, technifizierten,
verwissenschaftlichen, auch ökonomisierten Welt gesehen: Das
Individuum droht zum Rädchen zu degenerieren, dem auf jede
Art und Weise die Sprache abhanden zu kommen droht. Marc André
antwortet darauf mit fast resignativer Dekonstruktion der Musik,
Jörg Widmann mit einem Rest an Hoffnung auf die Musik. In Emanuele
Casales (Jahrgang 1971) Komposition Tempo intinge in sogni
e sole, konzipiert nach Kafkas Erzählung Der Bau,
erscheint ein einzelner Tänzer, der eine von ihm hergestellte
Höhlensituation nicht mehr beherrscht: eine Gruppe anderer
Tänzer schließt ihn aus ihrer Mitte aus. Dem Konstrukteur
entgleitet die eigene Konstruktion auch dies eine Chiffre
für gegenwärtige Entwicklungen, die in der ein wenig schematisch
entfesselten tänzerischen Ausführung allerdings nicht
besonders griffig wirkte, so sehr auch Casales Musik mit massiven
Klangballungen und heftiger komponierter Gestik aufwartete.
Leichter und unterhaltsamer, dabei durchaus mit gesellschaftskritischem
Anspruch präsentierte sich David Colemans (Jahrgang
1969) Herzkammeroper oder: menetekel mit Albatros (auf
ein Libretto von Olaf Brühl nach Motiven Heiner Müllers
und Gabriele Goettlers Dialog zweier Piloten kurz vor dem Absturz).
Wer stürzt aber wirklich ab? Natürlich wir, deren Herzen
Ziegelsteinen gleichen, die sich die Akteure zustecken. Auch hier
bietet die Musik den Ausweg in Form einer Sopranstimme, die etwas
aus Dantes Divina Commedia vorträgt. Formal und
in der Ausführung verbleibt die ambitioniert erdachte Komposition
dabei in den Dimensionen eines gehobenen Sketches.
Dort möchte man auch Regis Campos (Jahrgang 1968)
Nonsense Opera ansiedeln: Nach Gedichten Edward Lears
wird mit den Formeln buffonesker Opern eine Dreiecks- und Eifersuchtsgeschichte
zwischen Tenor, Bass und Sopran durchgespielt. Es handelt sich,
wie sich herausstellt, um Leerformeln, mit denen man die bekannte
Geschichte unendlich wiederholen kann: Sind wir mit unseren Gefühlen
wirklich so weit? Auch diese Frage stellt Campo mit seiner Opernpersiflage,
die er fantasievoll und witzig mit alten Opern-Stereotypen zu beantworten
versucht. Mit Marc Andrés ...O... präsentierte
der Frankfurter Wettbewerb sicher das gewichtigste Werk. Doch bewiesen
die anderen vier Arbeiten immerhin, dass die jungen Komponisten
sich mit ihren Vorstellungen von Oper heute auf der
Höhe der Zeit befinden.
Gilt das auch für die Konkurrenz in München und Zürich?
Während Frankfurt seine Veranstaltung mit five movements,
als Bewegung (nach vorn) annonciert, greifen die München-Zürcher
auf Homers Odysseus zurück. Thomas Meadowcroft, Jörg
Arnecke und Markus Schmitt haben ihre neuen Odysseen
schon in München vorgestellt, Peter Aderhold, Arnaldo
de Felice und Edward Rushton folgen demnächst in
Zürich: Dann wird man besser wissen, ob der Listenreiche der
Antike auch für unsere Gegenwart taugt.