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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 4
50. Jahrgang | Juli/August
Cluster
Betroffenheitspop
Seien Sie betroffen, Xavier Naidoo ist es auch schon wieder. Nachdem
er Mannheim zum neuen Jerusalem erklärte, sich selbst für
die Wiedergeburt Jesu hält, offen eingestanden hat, Joints
zu rauchen, sich gegen die rechten Tendenzen in unserem Land äußert
und seinem Entdecker Moses P. gefühlvoll den Allerwertesten
zeigte, um noch mehr Geld zu scheffeln, ohne mit Moses, seinem Stammesvorfahren,
zu teilen, nervt Ober-Barde und Grundsatzjammerer Naidoo jetzt mit
seinem Engagement für beziehungsweise gegen Gewaltverbrechen
an Kindern. Zusammen mit der deutschen Vorzeigeband Reamonn,
die letztes Jahr mit Supergirl einen exorbitanten Erfolg
hatte, nahm Uns Xavier den ehemaligen Skandaltitel Jeanny
des Österreichers Falco neu auf.
Falco wurde 1985 wegen dieses Titels von den Radiostationen boykottiert,
weil der Song die Gedanken eines Kindesentführers beinhaltete.
Natürlich war Deutschland entsetzt und wusste von derartigen
Vorfällen nichts. Deutschland wusste ja schon mal von nichts.
Nun müssen wir Xaviers Ansichten zu diesem Thema ertragen,
denn er wurde natürlich auch missbraucht. Mit zehn Jahren.
Es gibt also kein Schicksal, das ihn noch nicht ereilte. Welche
Rolle die Band Reamonn bei der Neuauflage von Jeanny
spielt, ist fraglich. Zwei Tage vor den Aufnahmen hat man netterweise
dem Sänger Rea die Bedeutung des Falcoschen Klassikers
übersetzt. Und Rea war sofort Feuer und Flamme, denn der Aufhänger
war schnell gefunden: Reas Schwester wurde sexuell missbraucht.
Natürlich spielt es keine Rolle, das Reamonn momentan keine
aktuelle Platte haben, am neuen Werk basteln und den Nachfolgehit
von Supergirl suchen. Im Gespräch bleiben, heißt
die Devise. Oder Dividende, jeder wie er mag.
Da sowohl Reamonn als auch Xavier Naidoo glauben, ihre Erfahrungen
seien stellvertretend für alle Opfer, und dies allwissend in
Interviews verbreiten, dabei aber in keinster Weise die eigentliche
Gefahr erkennen, nämlich breittreten, verallgemeinern und somit
verharmlosen, gehen wir großzügigerweise davon aus, dass
sie als Kommerzheiligen-Duett im Sinne von Kain und Abel in die
Geschichte der Popmusik eintreten wollten und auf Grund marktstrategischer
Überlegungen ihrer Manager den Untergang Babylons respektive
des guten Geschmacks in der Musik eingeleitet haben. Reamonn sind
jung und unerfahren, wir können uns in Nachsicht üben,
doch diesem Schattenparker Naidoo glaube ich kein Wort mehr. So
stehts geschrieben.