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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 4
50. Jahrgang | Juli/August
Cluster
Parmesan-Effekt
Die Musik hält den bösen Willen zurück und
führt die Menschen zur Glückseligkeit, so in etwa
könnte man die Quintessenz der beiden Propagandisten der Musikkultur
dieses Jahres zusammenfassen. Otto Schily mit seinem Vortrag auf
der Jahrestagung des Verbandes deutscher Musikschulen in Leipzig
und Hans-Gerd Bastians publizierte Studie über Musik(erziehung)
und ihre Wirkung. Allein, das Zitat ist über 500 Jahre
alt und stammt vom Musiktheoretiker Johannes Tinctoris. Jaja, die
Wirkungen und Eigenschaften von Musik lesen sich von Tinctoris bis
Schily wie der Beipackzettel zu einem Wunderheilmittel. Leider wird
es einem im bildungs- und kulturpolitischen Leben nur in homöopathischen
Dosen gereicht.
Dagegen steht eine der größten Industrien selbst: die
Musikindustrie, die Musik mit nachgerade übermächtigen
Werkzeugen als Heilmittel verwertet und seine Kraft
wie schlechtes Mind-Doping bis zur Wirkungslosigkeit streckt. Zwischen
den Polen der Menschenbildung und Industrialisierung wird Musik
und ein vernünftiger und leidenschaftlicher Umgang mit ihr
wie Parmesan zerrieben. Doch wer so neumodisch denkt, man müsse
nur beide Pole in ein Bündnis zusammenwachsen lassen, der ist
falsch gewickelt, weil nicht zusammenwachsen darf, was nicht zusammengehört.
Der größte Feind der Musik ist die Musikindustrie. Ihr
ist es gelungen, den Musikdiskurs gründlich zu entleeren und
auf rein juristische Fragestellungen zu verkürzen. Das will
uns die neue Zeit lehren: Musik muss gemanagt werden, Musik will
verkauft sein. Wer dagegen das lebendige und experimentelle Spiel
mit Musik ins Zentrum stellt, wird schnell als Kauz ins Abseits
der Weltfremdheit gestellt. Doch seit wann darf uns die vermeintliche
Welt vorschreiben, wie sie zu sein hat? Musik als ein Mittel gegen
die Diktatur der angeblichen Faktizität, da setzen die Bündnisse
an, in die auch die Musik würdig hineingenommen wird.