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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 56
50. Jahrgang | Juli/August
Dossier: Neue Wege für junge Ohren
Konzerte für Kinder als Schlüsselerlebnisse
Kultur kommt von ... unten! für den Erhalt
musikalischer Grunderfahrungen · Klaus-Ernst Behnes Eröffnungsvortrag
Wer das Musikleben von oben betrachtet, und das ist
überwiegend die Perspektive der Medien, kann beeindruckt sein:
Wohin man sieht Spitzenleistungen, Spitzenorchester, Mega-Events.
Wer aber von unten, unmittelbar vor Ort auf das Musikleben
blickt, kann nicht übersehen, dass es an der Basis zunehmend
bröckelt, denn der Musik in Deutschland ist es in den 90er-Jahren
auf verschiedenen Ebenen an die Substanz gegangen. Da knappere Haushalte
zum Sparen zwangen, haben Bund, Länder und Kommunen ihr finanzielles
Engagement zurückgenommen: Musikschulen, Orchester, Opernhäuser,
aber auch freie Kulturinitiativen haben es zu spüren bekommen.
Klaus-Ernst Behne.
Foto: M. Hufner
Einige wenige Beispiele zum Beleg: Der schulische Musikunterricht
wurde nicht, wie seit langem allerorten gefordert, auf zwei Wochenstunden
angehoben, sondern punktuell ausgedünnt, auf bestimmten Schul-
oder Altersstufen deutlich reduziert, zum Teil findet er überhaupt
nicht statt! Die Musikschule Hannover müsste in Relation
zur Größe der Stadt für mindestens 5.000
Kinder und Jugendliche Ausbildungskapazität bereitstellen,
tatsächlich sind es nach drastischen Einsparungen in den 90er-Jahren
heute lediglich 2.500 Schüler, die hier musikalische Anregungen
erfahren. Auch die Kirchen stellen, aus bekannten finanziellen Gründen,
weniger Musiker ein, worunter die Arbeit mit Kinder- und Jugendchören,
Bläsergruppen, insbesondere auf dem Lande, leidet. Zudem hat
sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk, nach dem Kriege einer
der wichtigsten Musikförderer im Lande, aus dieser Rolle mehr
und mehr zurückziehen müssen. Und zu guter Letzt ist die
Privatwirtschaft, sind Kultursponsoren nicht in erwartetem Maße
in die Lücken gesprungen, die sich durch Kürzungen bei
staatlicher und kommunaler Finanzierung aufgetan haben. Private
Investoren, Unternehmer und Konzerne sind verständlicherweise
an spektakulären Ereignissen, an Stars und Events interessiert,
weniger an musikalischer Grundversorgung in Wunstorf oder Goslar.
Mit von unten ist hier nun jedoch zweierlei gemeint:
einmal die Lebendigkeit und Reichhaltigkeit des Musiklebens abseits
der großen Kulturzent-ren und zum zweiten die entwicklungspsychologische
Perspektive, also insbesondere das Angebot musikalischer Entwicklungsmöglichkeiten
für Kinder und Jugendliche.
Grundversorgung
Zunächst zum ersten Aspekt, der musikalischen Grundversorgung
außerhalb der Großstädte, oder genauer, abseits
der repräsentativen Hochkultur in Berlin, München, aber
auch in Bayreuth. Im Vergleich mit anderen Ländern ist in Deutschland
das Musikleben in der Provinz mit Abstand am vielseitigsten, jedoch
mit deutlich rückläufiger Tendenz. Erhebungen des Landesmusikrates
Niedersachsen zeigen, dass es vor allem ehrenamtlich Tätige
sind, die als Motor eines solchen Musiklebens aktiv sind. Wenn Schulen
und Musikschulen ihren Bildungsauftrag mittlerweile nur noch bedingt
erfüllen können, dann wird sich dieser Mangel in der nächsten
Generation auch als Fehlen dieser engagierten Vermittler von Musik
vor Ort bemerkbar machen, dann wird man vergeblich nach musikalisch
neugierigen Schülern, nach kompetenten Musiklehrern und nach
entsprechenden Publika suchen. Der Kontrast zwischen der Vielzahl
derjenigen, die sich an der Basis ehrenamtlich für Musik engagieren
und den fünf- oder sogar sechsstelligen Spitzenkonzerthonoraren
macht deutlich, wie sehr sich das Unten und Oben
auseinander entwickelt haben.
Die gelegentlich aufflammende Diskussion um die Opernhäuser
außerhalb der Metropolen verrät, wie kurzsichtig bisweilen
argumentiert wird. Es wird dabei übersehen, dass auch kleine
Opernhäuser etwa in Hildesheim, Detmold oder Hof
wichtige Funktionen haben: Zunächst einmal ermöglichen
sie einer Vielzahl von Menschen durch ihre Musiktheater- und Konzertaufführungen
das durch keine Konserve zu ersetzende persönliche Erleben
von Musikereignissen, zum anderen wirken die Musikerinnen und Musiker
vielfältig in die Region: sie unterrichten, sie konzertieren
solis- tisch und in kleinen Besetzungen, sie begleiten, unterstützen
Laienchöre und -ensembles, in Schulen, in Kirchen. Würden
diese Musiker in der Region fehlen, könnten dort etliche Instrumente
gar nicht mehr unterrichtet werden, eine Entwicklung, die nicht
ohne weiteres rückgängig zu machen ist. Wenn man auf dem
Lande zunächst Musikschulen herunterspart oder gar schließt
und als nächstes Opernhäuser und Orchester, dann ist musikalische
Wüste vorprogrammiert!
Wer sich solchen Argumenten nicht anschließen mag, den sollte
zumindest die Erkenntnis des Bundesinnenminis-ters Otto Schily nachdenklich
machen, der sich etwa im Deutschen Bundestag dazu äußerte:
Wer in der Erziehung (...) die musische Bildung vernachlässigt,
muss sich nicht wundern, wenn kaltherzige, brutale Charaktere dabei
herauskommen. Unsere Gesellschaft kann es sich schlechterdings
nicht leisten, auf die integrierende Kraft musikalischer Gruppenaktivitäten
zu verzichten.
Kultur wächst von unten, bedarf in jeder Generation des Nachwuchses,
der an die reichhaltigste Musikkultur, die Menschen je genießen
durften, herangeführt wird. Wenn man nicht eines Tages sagen
können soll, dass jemand kulturell bestraft sei, weil er in
Hildesheim, Detmold oder Hof geboren sei, dann darf sich eine solche
Förderung nicht auf (Groß-)Städte beschränken.
Anregungsmöglichkeiten
Ich komme zum zweiten Aspekt, dem Angebot musikalischer Anregungsmöglichkeiten
für Kinder und Jugendliche und da stellt sich für mich
aus der Perspektive eines über Jahrzehnte empirisch
forschenden Musikpsychologen die Frage: Wie entwickeln Kinder
und Jugendliche die Fähigkeit, Musik erleben zu können?
Es zählt zu den markantesten jugendkulturellen Phänomenen
des 20. Jahrhunderts, dass ein Großteil der Jugendlichen sich
zeitweilig sehr intensiv der Musik zuwendet, überwiegend rezeptiv,
zu einem nicht unerheblichen Teil jedoch auch aktiv musizierend.
Vor allem für die Zeit ab der Jahrhundertmitte, also der Entstehung
des RocknRoll, ist dies augenfällig und unstrittig.
Diese Zuwendung zur Musik hat zwar auch einen musikalischen Aspekt,
ist aber vor allem im Kontext der allgemeinen Sozialisation der
Jugendlichen zu interpretieren. Ablösung vom Elternhaus, Entwicklung
von Identität, Orientierung an den so genannten Peers (den
Gleichaltrigen) sowie ein Hineinwachsen in neue kulturelle Szenen
(oft zeitlich befristet), das sind Prozesse, die in der jugendsoziologischen,
aber auch musikpädagogischen Literatur häufig genug beschrieben
sind.
Auch wenn es sich hier um ausgesprochen dynamische Aspekte der
allgemeinen Sozialisation handelt, sind die Erfahrungen mit Musik
für die Jugendlichen zentral, intensiv und wie das nun
mal mit den lustvollen Erfahrungen im Umfeld der Pubertät ist
oft lebenslang prägend. Erlauben Sie mir, Ihnen zu dieser
Thematik vier ausgewählte Aspekte und eine Schlussfolgerung
zu skizzieren:
Akzeleration
Akzeleration heißt Beschleunigung, in der Entwicklungspsychologie
spricht man von säkularer Akzeleration: Als man erstmals Daten
über mehr als ein Jahrhundert miteinander verglich, stellte
man eine Beschleunigung der Entwicklung fest, die sich unter anderem
im Größenwachstum, im Beginn der Pubertät manifestierte.
Davon wird natürlich auch die kulturelle, speziell die musikalische
Entwicklung beeinflusst. Bis in die 90er-Jahre galt in der Forschung
zum Musikgeschmack die Zeit vor der Pubertät, konkret die Zeit
bis zum 10./11. Lebensjahr, als eine Zeit der vorpubertären
Toleranz, als Phase der musikalischen open-earedness,
in der die Gleichaltrigen, die Medien das musikalische Verhalten
noch nicht außensteuernd beeinflussen. Im Rahmen einer Längsschnittstudie
zur Entwicklung des Musikerlebens bei Jugendlichen, die 1991 mit
Elfjährigen begann, musste ich die verblüffende Erfahrung
machen, dass Elfjährige bereits sehr dezidierte und differenzierte
Vorstellungen davon hatten, welche Musik sie mögen und welche
nicht. Dramatische Veränderungen in der Struktur des Musikverhaltens
im Verlauf der insgesamt neunjährigen Längsschnittbeobachtung
(die 150 Kinder wurden bis zur Erreichung des 20. Lebensjahres befragt),
konnten nicht festgestsellt werden, Elfjährige sind
was den Musikgeschmack betrifft erstaunlich fertig. Die entscheidenden
prägenden Erfahrungen sind also heute, stärker als in
der Vergangenheit, bereits in der Kindheit zu suchen.
Intensität des Musikerlebens
Musikerleben lässt sich in Grenzen verbalisieren,
etwa durch Aussagen wie: Wenn ich Musik höre, macht es
mir nichts aus, etwas ganz anderes zu machen oder: Wenn
ich Musik höre, kann es sein, dass es mir den Rücken herunterläuft.
Sammelt man auf diesem (hier vereinfacht dargestellten) Wege Daten
zum Musikerleben, erlauben sie Rückschlüsse über
die Intensität des Musikgenusses: Wer der zweiten Aussage zustimmt,
nicht aber der ers-ten, wird Musik stärker erleben als im umgekehrten
Fall, die Musik macht dann nichts mehr aus. Es gibt
nun derartige Daten über die Entwicklung des Musikerlebens
in den 80er- sowie in den 90er-Jahren, die sich in einem Punkt fundamental
unterscheiden:
In den 80er-Jahren zeigte sich für das zweite Lebensjahrzehnt
eine Tendenz der allmählichen Intensivierung des Musikerlebens,
während das so genannte diffuse Hören in seiner Bedeutung
eher zurückging. Bei den in den 90er-Jahren gesammelten Daten
zeigte sich jedoch exakt der entgegengesetzte Trend: Diffuses Hören
verstärkte sich während des zweiten Lebensjahrzehnts,
während bestimmte Aspekte eines von Zuwendung zur Musik geprägten
Musikerlebens sich rückläufig entwickelten. Zugleich zeigte
sich in einem ganz anderen Kontext, dass Wirkungen von Musik in
den 90er-Jahren seltener zu beobachten waren als zuvor. Diese hier
sehr gerafft dargestellten Befunde haben mich zu der These veranlasst,
dass vor allem durch die allgegenwärtige Präsenz
von Musik die Intensität der Zuwendung zur Musik bei
Jugendlichen sich seit den 90er-Jahren generell verringert hat.
Verstummte Sänger
Es ist so bekannt wie oft beklagt, dass Singen im Elternhaus,
im Kindergarten sowie in der Schule ein erschreckend seltenes Ereignis
geworden ist. Dieses zu erklären kann man Kirche und Kaiser,
Faschismus und Kommunismus bemühen, mir scheint es jedoch wichtiger,
zu fragen: Muss das so sein? Kann man das ändern?
Dass die jungen Stimmen so oft stumm bleiben, ihnen das Lied geradezu
im Halse stecken bleibt, ist deshalb so unbegreiflich, weil die
Motivation zum Singen bei Kindern und Jugendlichen durchaus vorhanden
ist und die von den meisten geschätzte Musik im Popbereich
in aller Regel Vokalmusik ist. Ich halte es deshalb für
unabdingbar, dass wir uns um neue Ansätze bemühen, die
Lust zum Singen früh zu vermitteln, weil es meine feste Überzeugung
ist, dass sich die emotionale Kompetenz eines stimmlos
Heranwachsenden nicht voll entfalten kann.
Musikalische Defizite
Die einzelnen Befunde sind hinlänglich bekannt und beklagt,
aber vielleicht in ihrem aufsummierten Gefahrenpotenzial noch nicht
benannt und erkannt: Die fehlende oder doch rudimentäre musikalische
Ausbildung von Erziehern/-innen (mit der Folge gesangsfreier Kindergärten),
der im Primarbereich besonders dramatische Unterrichtsausfall im
Fach Musik sowie der Rückgang musikalischer Aktivitäten
in der Familie führen mit großer Zwangsläufigkeit
zu einem musikalischen Anregungsdefizit (im Vergleich mit der Situation
vor 20 oder 30 Jahren), dem nur eines gegenüber steht: eine
zunehmende Prägung durch die Musikprogramme der privaten Anbieter.
Zuzuhören, konzent- riert zu hören, lernt man nicht durch
ein Medium, das als Hintergrund-, als Begleitmedium konzipiert ist.
Wenn es ein solches, hier nur knapp skizziertes, in der Kürze
vielleicht auch ein wenig überzeichnetes Anregungsdefizit bei
den Fünf- bis Zehnjährigen im Bereich der Musik gibt,
wir aber zugleich konstatieren müssen, dass eine musikalische
Akzeleration stattgefunden hat, die uns zwingt darüber nachzudenken,
Kinder früher als bisher musikalisch zu fördern, dann
wird unübersehbar: Es gibt seit einigen Jahren für die
Zeit zwischen dem fünften und zehnten Lebensjahr offensichtlich
eine musikalische Ausbildungs- und Zuwendungskluft, die den Kindern
Anregungen zum richtigen Zeitpunkt vorenthält, Anregungen,
die später gar nicht oder nur bedingt zu vermitteln sind.
Lösungsansätze
1. Primärerfahrungen:
In der musikalischen Sozialisation der Kinder des 21. Jahrhunderts
sollte es ein Primat der Primärerfahrungen geben. Was sind
musikalische Primärerfahrungen? Frühprogramme des amerikanischen
Musikpädagogen Edwin Gordon, aber auch Programme der Musikschulen
gehen bereits in diese Richtung. Wir wissen heute, dass frühe
Erfahrungen mit Musik, wobei der Umgang mit der Stimme im Vordergrund
stehen sollte, in ihren positiven Auswirkungen für die spätere
Entwicklung kaum zu überschätzen sind.
2. Eigene Vokale und instrumentale Erfahrungen:
Singen und Musizieren kann mit sehr lustvollen Verursachungserlebnissen
verbunden sein, wenn die Literatur richtig ausgewählt wird.
Wenn altersangemessen unterrichtet wird, könnten wesentlich
mehr Kinder die Erfahrung machen, dass sie mit Stimme, Mund und
Händen akustisch verursachend, gestaltend wirken können.
Die mittlerweile mehrfach untersuchten und in letzter Zeit besonders
heftig diskutierten positiven Auswirkungen eigener instrumentaler
Aktivitäten will ich an dieser Stelle nur erwähnen. Auf
einen sonst in diesem Zusammenhang noch nicht erwähnten Aspekt
will ich besonders hinweisen: Viele Musiker und Musikliebhaber haben
die Erfahrung gemacht, dass es in Kindheit oder Jugend -
so etwas gibt wie das Überwältigtwerden durch eigene musizierende
Erfolge (auch bescheidenster Art!). Wem dürfen wir das vorenthalten?
3. Live-Konzerte:
Konzertdarbietungen sind nicht grundsätzlich besser als Tonkonserven,
aber anders insofern, als dass das Live-Erlebnis Qualitäten
aufweist (Aura, Unmittelbarkeit, Sinnlichkeit), die bereits oft
diskutiert wurden. Wer musikalisch überzeugen will, sollte
sich nicht zu sehr auf seine optimal und perfekt produzierten CDs
verlassen, sondern die Menschen aufsuchen, die er für sich
beziehungsweise seine Musik gewinnen will. Deshalb müsste es
für die Kinder im 21. Jahrhundert eine Invasion der Musiker
in die Kindergärten, Schulen und Jugendzentren geben.
4. Tanz: Tanz, sei er real oder imaginiert, ist die sinnliche Oberfläche
der Musik und zugleich ihr Kern. Die meiste Musik kann als Tanzmusik
gedacht werden, kann durch Tanz mit Bewegungsvorstellungen ergänzt
werden, die die Musik später dynamisch bereichern. Man muss
ja nicht alles zertanzen, aber wer nie die Erfahrung gemacht hat,
dass beispielsweise die Bachschen Suiten Tanzmusik sind, für
den wäre ein kulturelles Defizit zu beklagen.
Konzerte für Kinder
Medienbezogener Umgang mit Musik ist nicht per se negativ zu bewerten,
man könnte an dieser Stelle durchaus eine Positivliste formulieren,
wie die Medien das Musikleben des letzten Jahrhunderts bereichert
haben. Aber die hier angesprochenen spezifischen musikalischen Erfahrungen
sind über Medien nur bedingt beziehungsweise gar nicht vermittelbar,
deshalb müssen wir darauf hinwirken, dass die Kinder des 21.
Jahrhunderts im Elternhaus, im Kindergarten sowie in den Schulen
Gelegenheit bekommen, solche musikalischen Primärerfahrungen
zu sammeln.
Wir müssen uns zunächst bewusst sein, dass das uns vertraute
Publikumsverhalten bei Konzerten der Hochkultur keine Selbstverständlichkeit
ist, kein Ritual, das sich gewissermaßen von selbst einstellt.
Es ist vielmehr eine außoergewöhnliche Konzentrations-leistung,
die voraussetzt, dass wir die Kunst des Zuhörens beherrschen.
Wenn aber das Radio in den 80er-Jahren zu einem Begleitmedium (Dudelfunk)
geworden ist und im Fernsehen der 90er-Jahre das Zappen zwischen
denkbar disparaten Medieninhalten zunehmend normal geworden ist,
dann dürfen wir uns nicht wundern, dass die Kinder des 21.
Jahrhunderts noch größere Schwierigkeiten beim konzentrierten
Zuhören haben als schon die Generation ihrer Eltern.
Die Flut von relevanten und nicht-relevanten Informationen, mit
denen wir alltäglich konfrontiert werden, zwingt uns, etwas
zu tun, was wir einer verbreiteten Redensweise zufolge nicht können:
die Ohren zu verschließen. Während meine Generation noch
relativ medienabstinent aufgewachsen ist, werden die Kinder des
21. Jahrhunderts mit einem fröhlichen, lauten Medienspektakel
konfrontiert, das nur einem Ziele dient, die jeweils eigene Einschaltquote,
den eigenen Umsatz zu befördern.
Es gibt noch einen zweiten Grund, weshalb Kinder Schwierigkeiten
in klassischen Konzerten haben könnten. Musik ist in vielen
Fällen ein emotionales Ereignis, bisweilen ein hochdramatischer
Akt. Es ist die Intention der Musiker, im Publikum etwas auszulösen,
Betroffenheit, Bewusstheit zu bewirken. Emotionales Ergriffensein
verlangt jedoch Abfuhr, Abfuhr über Bewegungen. Es ist dieser
Kontrast zwischen innerer Bewegungsdynamik und äußerer
Bewegungslosigkeit, der Kindern begreiflicherweise Schwierigkeiten
macht, ein Kontrast, der für die eingefleischten Musikliebhaber
wiederum einen eigenen Reiz bildet. Man sollte nun aber nicht daran
gehen, Kinder auf bewegungsloses Musikhören zu dressieren,
vielmehr sollte man alles daran setzen, dass Kinder lustvolle Erfahrungen
mit Musik machen, und das wird man sicherlich über die oben
genannten Primärerfahrungen am ehesten erreichen.
Kinderkonzerte könnten Schlüsselerlebnisse, könnten
Primärerfahrungen sein, das weiß man aus Gesprächen
mit so manchem Musikliebhaber. Patentrezepte, wie man neue
Wege für junge Ohren bahnen könnte, vermag ich nicht
zu geben, dafür gibt es die Experten, die sich anlässlich
dieses Kongresses versammelt haben. Aber ich hoffe deutlich gemacht
zu haben, dass Kinderkonzerte anders klingen und anders aussehen
(!) müssen als Konzerte für Erwachsene, dass man
von unten (bei den Kindern) anfangen muss, wenn man
oben (bei den Erwachsenen) etwas erreichen will und
dass Kinderkonzerte deshalb eigentlich zu den wichtigs-ten Sachen
auf der Welt zählen, nichts anderes meint Hauptsache:
Musik!