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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 53
50. Jahrgang | Juli/August
Dossier: Neue Wege für junge Ohren
Hohe Fangquoten mit engmaschigem Netz
Weikersheimer Kongress rückt Konzerte für Kinder ins
Blickfeld der musikalischen Öffentlichkeit
Wie weit ist es von Hannover nach Weikersheim? Der geografische
Ort des Sitzes der Jeunesses Musicales Deutschland, die Abgeschiedenheit,
über die manch ein Kongressteilnehmer am Anreisetag klagte
beides eine Frage des Standpunktes, den von Hannover aus
zu bestimmen sich anbietet. Wir erinnern uns: Kinder und Musik
im 21. Jahrhundert, die Auftaktveranstaltung der angeblichen
Dachkampagne Hauptsache: Musik, war der groß angelegte
Versuch, ein Netz in Sachen musikalische Bildung möglichst
flächendeckend und medienwirksam auszuwerfen. Kleine Fische
also im Weikersheimer Beiboot?
Wohl kaum, der Kongress Neue Wege für junge Ohren
zielte vielmehr auf eine engmaschigere, weil thematisch klarer abgegrenzte
Fangquote in internationalem Gewässer. Die Neugier, von anderen
Ländern lernen zu können, aus vorgestellten Konzepten
Anregungen zu beziehen, durchzog den dreitägigen Kompetenzaustausch
auf so dominierende Weise, dass es schon beinahe erleichternd war,
eine organisatorisch und finanziell so beeindru-ckend unterfütterte
Kinderkonzertreihe wie die der New Yorker Carnegie Hall musikdidaktisch
auf solch bescheidenem Niveau angesiedelt zu sehen. Der künstlich
erhobene Zeigefinger, den Phyllis Beeson Barbash über die fantasielose
Hörpartitur aus der neuen Welt wandern ließ,
war hier das erheiternde Pars pro Toto. Sonst hätte man über
die Lebendigkeit und Professionalität der Präsentationen
aus England und Schottland, über die beeindruckende Konsequenz
und Vielfalt des staatlichen norwegischen Konzertinstituts fast
vergessen können, dass es auch hier zu Lande eine Reihe hochklassiger
Angebote gibt, die lediglich für neue Zielgruppen oder auf
neue Programme hin zu adaptieren, zu multiplizieren wären.
Der schnell und durchaus berechtigt vorgetragene Einwand von der
beschränkten Übertragbarkeit ausländischer Modelle
darf den Blick dafür nicht versperren, dass sich in Deutschland
mitunter diejenigen Institutionen aus der Verantwortung stehlen,
die in Sachen Konzertpädagogik eigentlich in der Pflicht stünden:
die Veranstalter von Hochglanz-Aboreihen und die subventionierten
Kulturorchester, die offenbar nicht einmal der Selbsterhaltungstrieb
aus der Lethargie zu zwingen vermag. Letzteren sind zwar englische
Verhältnisse nicht unbedingt zu wünschen, dass dort staatliche
Subventionen aber mit der Auflage verknüpft sind, eben so mit
Kindern zu arbeiten wie es beim London Symphony Orchestra oder beim
Royal Scottish National Orchestra geschieht, stimmt schon nachdenklich.
Drei Dinge, so könnte man vereinfachend zusammenfassen, sind
vonnöten, will man die deutsche Kinderkonzertszene qualitativ
und quantitativ beleben: Inhalt, Marketing und Kulturpolitik. Und
es ist bezeichnend, dass beim Neue-Wege-Kongress die
erste Gruppe personell stark, die zweite schwach und die dritte
nicht vertreten war. Die Verknüpfungen sind klar: Ohne Inhalte
keine vernünftigen Konzerte für Kinder, ohne Marketing
keine wirtschaftliche Basis, ohne Kulturpolitik keine Öffentlichkeit
und kein institutionelles Umfeld.
In Sachen Inhalte wäre es an der Zeit, die Impulse des Kongresses
und anderer Begegnungen aufnehmend, die Qualität vorhandener
Modelle kritisch zu hinterfragen und bei Bedarf entsprechend weiterzuentwickeln.
Dies erfordert von den Machern freilich auch die Fähigkeit,
mit der (Selbst-)Kritik leben und konstruktiv umgehen zu können.
Was den Bereich Marketing angeht, so sind Kulturmanager gefragt,
die in der Lage sind, das Produkt Kinderkonzert an Kinder,
Eltern, Schulen, Sponsoren und Politiker so zu verkaufen, dass das
Kulturgut Kinderkonzert dabei keinen Schaden nimmt.
In der kulturpolitischen Auseinandersetzung schließlich
käme es darauf an, den Verantwortlichen das Thema Konzerte
für Kinder als Möglichkeit zur Profilierung und Konkretisierung
blumiger Absichtserklärungen so schmackhaft zu machen, dass
ihnen nur noch der Sprung auf fahrende Züge bleibt.
Womit wir wieder in Hannover wären: Es kann nicht darum gehen,
zwei konzeptionell so verschiedene Veranstaltungen gegeneinander
abzuwägen, sie müssen vielmehr zusammen gedacht werden
im Kontext einer dort breit gestreuten, hier trotz der hohen Teilnehmerzahl
beinahe familiär gebündelten Signalwirkung, die aus Weikersheimer
Sicht das Motto tragen müsste: Musikalische Bildung ist das
Thema, Konzerte für Kinder sind der Testfall!