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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 60
50. Jahrgang | Juli/August
Dossier: Neue Wege für junge Ohren
Erfrischungen
Zwischen Routinefallen
War mein Eindruck falsch? Dass nämlich das deutsche Konzertleben
langweilig sei, museal verstaubt und dringend einer Vitaminspritze
bedürfe? Dass insbesondere die Kinder dabei auf der Strecke
blieben? Auf dem Kongress Neue Wege für junge Ohren
zeichnete sich ein ganz anderes Bild ab: Was hier an bunten und
vielfältigen Ideen zum Thema Konzerte für Kinder
zusammenkam, war enorm. Bereits im vorgeschalteten Wolfenbütteler
Labor Kinderkonzert hatten wir ganz ähnliche Erfahrungen
gemacht. Über provokative Aufgabenstellungen sollte kreatives
Vermittlungspotenzial gelockt, zur Repertoire-Erweiterung verleitet
werden doch wir rannten offene Türen ein.
Wohlgemerkt: bei den angereisten Kursteilnehmern und Kongressbesuchern.
Denn wer sich einmal auf den Weg nach Wolfenbüttel oder Weikersheim
gemacht hatte, der musste von der Notwendigkeit von Musikvermittlung
nicht mehr überzeugt werden. Beim Informationsaustausch zeichnete
sich eine Tendenz ab: Nicht immer steht die theoretische Diskussion
um das, was ein gutes Kinderkonzert ausmacht, im Vordergrund.
Vielfach geht es um ganz pragmatische Belange, um realisierbare
und effiziente Vermittlungsstrategien. Dabei werden freilich nicht
gleich alle Ansprüche über Bord geworfen. Im Alltag aber
lassen sich Kinderkonzerte nur in Ausnahmefällen wirklich frei
von vorne bis hinten durchgestalten. Die Ressourcen sind knapp,
die Vorgaben eng.
Etwa in den Berufsorchestern: Hier wird der Spielplan zumeist vom
Intendanten, dem GMD oder dem Chefdramaturgen gemacht. Kinderkonzerte
so sie denn überhaupt stattfinden sind vielfach
Abfallprodukte: Auskoppelungen aus dem normalen Programm, für
die Musiker eher Generalprobe oder Testlauf, nicht Hauptsache. Dennoch
finden sich gerade hier auch solche Dramaturgen und Orches-termusiker,
die durchaus Ideen hätten und sich auch engagieren würden
nur man lässt sie nicht. Was also tun, wenn Wunschthemen
sich nicht durchsetzen lassen oder letztlich gar kein Einfluss auf
die inhaltliche Programmgestaltung möglich ist? Der Frust scheint
vorprogrammiert. Und dennoch lassen sich auch solche engen Spielräume
noch wirkungsvoll ausnutzen.
In der eigenen Arbeit habe ich beide Extreme kennen gelernt. Zum
einen hatte ich die große Chance, tatsächlich Konzertprogramme
für Kinder von Beginn an in großer Freiheit zu konzeptionieren
und auszugestalten. Gemeinsam mit den experimentierfreudigen Musikerinnen
und Musikern des Jugendorchesters Duisburg haben wir über viele
Jahre hin thematische Programme entwickelt, die stets einen verfremdenden
Blick auf die Musik warfen und darüber dem jungen Publikum
aber auch uns selber neue Zugänge eröffneten. Umgekehrt
habe ich für andere Veranstaltungen, in denen eine effiziente
Arbeitsweise erforderlich war, mit Formkonzepten aus anderen Kunst-
und Unterhaltungssparten experimentiert: Neben der bekannten Weltreise
oder dem Zoobesuch waren das vor allem Grand Prix, Fernsehshow,
Soap, Quiz et cetera. Diese Formmodelle stiften einen erzählbaren
Rahmen, dessen Leerstellen relativ frei mit Musik gefüllt werden
konnten. Beim Grand Prix beispielsweise blieb es den einzelnen Musikern
überlassen, mit welchen Stücken sie an den Start gingen.
Für musikalische Ratespiele können die Fragen, Aufgaben
und Rätsel leicht aus der jeweils vorgegebenen Musik entwickelt
werden.
Zwar transportieren solche Formkonzepte für sich (noch) keine
Inhalte, aber sie verhelfen dazu, festgefahrene Programmroutinen
aufzubrechen und zu beleben. Auch entlastet man sich von dem zwanghaften
Druck, rote Fäden zu spinnen, wo keine da sind, Überleitungen
zu erfinden, die dann radebrechen. Das Prinzip aber bleibt gleich:
Lebendige Musikvermittlung beginnt bei der eigenen Motivation. Und
die lässt sich am ehesten durch geschickte Selbstüberlistung
herstellen: eine paradoxe Aufgabenstellung, einen Perspektivwechsel,
den fremden Blick oder über eine ungewohnte Form, damit die
Routinefalle nicht doch wieder zuschnappen kann.