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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 59
50. Jahrgang | Juli/August
Dossier: Neue Wege für junge Ohren
Modernes Marketing ohne Anbiederung
Schritt für Schritt führt die jeunesse Österreich
mit ihren Reihen junge Menschen ins Konzert
Nach über 50 Jahren präsentiert sich die jeunesse Österreich
in einer für dieses Land einzigartigen Veranstalter-Netzwerk-Konstruktion
mit dezentralisierten Aktionszentren im gesamten Bundesgebiet. In
der Erstellung des künstlerischen Angebots, der Konzertorganisation
und der Strategieentwicklung, des Marketings sowie der Öffentlichkeitsarbeit
sind die 23 jeunesse-Geschäftsstellen zentral verknüpft.
Im Austausch zwischen den ehrenamtlich agierenden Geschäftsstellenleitern,
den verschiedenen Leitungsgremien und dem jeunesse-Team im Generalsekretariat
in Wien entstehen die Programme und die Disposition der Konzerttourneen.
In der Saison 2001/02 wird die jeunesse Österreich über
600 Veranstaltungen durchführen und sieht sich als die führende
österreichische Musikvermittlungs-Organisation an der Schnittstelle
zwischen Musikproduktion und Musikrezeption. Etwa ein Drittel aller
Veranstaltungen fallen in den Bereich der Kinder- und Jugendkonzerte
und werden einerseits in Abonnements, andererseits als Schulkonzerte
oder Veranstaltungen im freien Markt angeboten.
Selten fragen wir uns, ob in einem Kinderkonzert Kunst stattfindet.
Ist der Kunstbegriff von Erwachsenen formuliert und nur von Erwachsenen
als solcher wahrnehmbar? Kann Kunst in einem Konzert stattfinden,
ohne dass es die Rezipienten die Kinder merken? Ist
Kunst etwas, das nur im Wechselspiel zwischen Musikern und Hörern
entstehen kann? Lieber verwenden wir Begriffe wie Erlebnischarakter,
Spaß, Spannung, Interaktion
oder musikalische Bildung und Einführung
ins Konzertleben.
Ein erfahrener Veranstalter von Kinderkonzerten wird diese Elemente
als notwendig bestätigen die künstlerische Qualität
muss allerdings immer im Vordergrund stehen: Wenn die Mitwirkenden
außerordentliche Musiker sind, wenn der dramaturgische Aufbau
des Konzerts zwingend und originell ist und das Familien-Publikum
sich in einem künstlerischen Zusammenhang erlebt, findet Kunst
statt und kann für Kinder zu einem tiefen Erlebnis werden.
Richard Barth initiierte um 1900 Kinderkonzerte in Hamburg, um
die Kinderherzen und -gemüter für gute Musik zu
erschließen, sie daran zu gewöhnen und dadurch abzuwenden
von ordinären Musikgenüssen und Tingel-Tangeleien.
Wenn wir statt Tingel-Tangeleien Fernsehen
oder Medienkonsum einsetzen, haben wir 100 Jahre später
vermutlich einen geänderten Blick auf das Kind entwickelt,
aber immer noch einen ähnlichen Zugang zum Kinderkonzert.
Die jeunesse Österreich sieht ihre Kinderkonzert-Programmierung
als künstlerische Bereicherung für ihr Kinder-Publikum,
nicht als Kompensation vermeintlicher Defizite in der Sozialisation
von Kindern.
Für unser jüngstes Publikum ab drei Jahren haben wir
für die nächste Saison eine neue Reihe konzipiert: Triolino
versucht der ganzheitlichen Welterfahrung von Kindern in diesem
Alter Rechnung zu tragen und geht dabei eine Kooperation mit einem
Kindermuseum ein. In sechs Veranstaltungen erleben die Kinder kurze
Konzertsituationen, arbeiten in Kleingruppen an musikalischen oder
bildnerischen Motiven und fassen das Erlebte und Erlernte gemeinsam
mit den Musikern am Ende wieder zusammen.
Piccolo, unser Angebot für die Fünf- bis
Neunjährigen, macht den Schritt in die Konzertsituation. In
jeweils 60 Minuten gibt es klassische Kinderkonzerte
zu hören, die Elemente der Oper, der Neuen Musik oder des Theaters
integrieren.
Concertino für Neun- bis Zwölfjährige
ist in der Gestaltung am schwierigsten. Unser Publikum entwächst
gerade dem Grundschulalter, vieles findet es bereits kindisch, Angebote
für Teens würden an ihm trotzdem noch vorbeigehen. So
wagen wir als Veranstalter den Mix zwischen Soul-Musik und Neuer
Musik, zwischen Schubert und Musik-Klamauk und versuchen dabei,
die Zugänge möglichst vielfältig zu gestalten.
Um in Programmierung, Organisation und Vermarktung von Kinder-
und Jugendkonzerten die Zufriedenheit und damit Bindung des Publikums
beziehungsweise auch den notwendigen betriebswirtschaftlichen Deckungsgrad
zu erreichen, berücksichtigen wir neben der künstlerischen
Gestaltung alle Elemente zeitgemäßen Marketings und gezielter
Öffentlichkeitsarbeit. Die künstlerische Qualität
eines Kinderkonzerts garantiert noch nicht zwangsläufig den
angestrebten Absatz, ebenso wie stringente Marketingstrategien nicht
automatisch zu einem gelungenen künstlerischen Erlebnis für
den Besucher führen. Nur eine ständige Kommunikation zwischen
Dramaturgie und Marketing lässt künstlerische und betriebswirtschaftliche
Qualität prosperieren.
Im breiten Umfeld von Angeboten für die Zielgruppe Kinder
und Jugendliche dazu zählen Markenturnschuhe und Softdrinks
ebenso wie der Computer und die musikalischen Hörgewohnheiten
herrscht ein Verdrängungswettbewerb. Die jeunesse konkurriert
als Musikveranstalter nicht nur mit anderen Kulturbetrieben, die
eigene Kinder- und Jugendprogramme anbieten, sondern mit einer Fülle
von jugendorientierten Produkten.
Die Werbung muss die Sprache der Kinder und Jugendlichen kennen
und ihre Lebensanschauungen verstehen, um auf künstlerische
Angebote aufmerksam zu machen und die Zielgruppe zu erreichen. Verständnis
und Kenntnis dürfen jedoch nicht dazu verleiten, den jugendlichen
Sprachduktus zu kopieren. Als Anbieter eines langlebigen, zeitlosen
Produktes vermeiden wir im Rahmen unserer Kommunikation
bewusst den anbiedernden Nutzen jugendbewegter Sprache und die unkommentierte
Übernahme aktueller Trends. Die jeunesse Österreich veranstaltet
keine Konzerte für Rollerskater, die in der Halfpipe fahren.
Wer Trends kreieren will, wird zumeist nicht viel erreichen. Trend
kann man werden, aber es gibt leider keine gültigen
Regeln für dessen Herstellung.
Ein gelungenes Kinderkonzert bietet uns unter Einbeziehung von
Presse, Öffentlichkeitsarbeit und Marketing die Möglichkeit,
nicht nur die Kunden von morgen kennen zu lernen, sondern diese
bereits zum Publikum von heute zu machen. Unsere Zielgruppe sind
nicht nur musikbegeisterte Kinder, die bereits einen Zugang zu Musik
haben, sondern alle, die bereit sind, sich auf etwas Neues einzulassen.
Man soll einem Kind beim Hören wie im Selbermusizieren
das Beste, das Allerbeste zeigen, sagt der Komponist und Pädagoge
Herbert Zipper. Dazu möchte die jeunesse Österreich beitragen.