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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 55
50. Jahrgang | Juli/August
Dossier: Neue Wege für junge Ohren
Elementare Aura und routinierte Animation
Das Künstlerkollektiv Flandern und das Timna Brauer Ensemble
präsentierten Kinderkonzerte hautnah
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst
und leer... Leer? Und was ist mit den Rohren, Pfeifen, Rädern,
Drehorgeln, Be-cken, Zimbeln, Rasseln, Klappern und Ratschen? All
diesen Krimskrams haben die Künstler aus Flandern in den Gärtnersaal
des Weikersheimer Schlosses geschleppt.
Terra heißt ihr Musiktheater, das am Kongress
Premiere feiern durfte. Erde, Feuer, Luft und Wasser die
vier Elemente reproduziert mit altbewährten und ext-raordinären
Klangerzeugern, einer Tänzerin und Szenografen. Ehe man Zeit
bekommt, sich den Klang der Kuriositätensammlung auszumalen,
ertönt bereits ein Leierkasten. Das Stück hat begonnen.
Zwei junge Schauspieler streifen über die Bühne und ziehen
einen Schweif aus Seifenblasen hinter sich her. In ihren Kostümen
sehen sie aus wie zwei knuffige Erdwichtel. Gegluckse und Gejohle
in den vorderen Reihen, in denen die Kinder sitzen. Die Jagd auf
die Schaumkugeln ist eröffnet.
Drückte kräftig
auf die Wagnertube: Yoram Mesuere. Foto: Lievenbrück
Lisbeth Janssen, die Tänzerin, kommt herein. Sie kommt nicht
nur herein. Eine unfassliche Aura. Der Tonmantel der Musiker Yoram,
Xenia und Henk Mesuere, die Kulisse, sie zaubern eine Stimmung,
die ungezähmt und doch charmant anmutet. Und bevor man sich
in der rohen Poesie der Erde verliert, braust einem das nächste
Element in und um die Ohren. ...Wir sehen die Luft in andauernder
Bewegung. Nicht nur die Luft. Mit Bändern und Reifen
wirbeln die Darsteller umher, zucken zu dem Trommelfeuer aus Kutu
Wapas, Regenmachern und Holzklötzen. Gigantische Windräder
verwandeln den Raum in das Zentrum eines Hurrikans. Der rote
Faden durch dieses Labyrinth ist Improvsation und Magie, schreiben
die Künstler über ihr Werk. Muss wohl so sein: Das, wofür
der liebe Gott eine komplette Woche benötigte, vollbringen
die Mitglieder des Künstlerkollektivs in einer Dreiviertelstunde.
Sie schaffen eine Welt voll Mystik, Fantasie und Farbe. Man wünschte
sich, Kind zu sein, um hemmungslos abtauchen zu dürfen, ohne
sich hinterher dafür genieren zu müssen.
Diese Möglichkeit bot sich später, beim Abschlusskonzert
des Kongresses. Na gut, dann seid ihr eben alle Kinder,
erklärt Timna Brauer, nachdem sie die erdrückende Übermacht
der über Dreißigjährigen erkannt hatte. Jene lassen
sich nicht lange bitten. Von wegen Kiddies groove much better
adults groove at least as well hätte der
Programmtitel lauten müssen.
Die älteren Semester legen eine erstaunliche Flexibiltät
an den Tag. Beim Farbenraten sind ihnen die wenigen anwesenden Kinder
trotzdem überlegen. Elias Meiri und sein Keyboard kreieren
die ganze Pigmentpalette. Und was ist das für eine Farbe?,
will Timna Brauer wissen. Gelb, überplärrt
ein Wonneproppen die übrigen zaghaften Stimmchen. Nein,
rot. Naja, die paar Frequenzen hin oder her. Ein wenig mehr
Spielraum hätte man der Fantasie ruhig lassen dürfen.
Mit jener sind Brauer und ihr Ensemble gut bestückt. Cello,
Violine, Schlagzeug, Keyboard und nicht zuletzt Timna Brauers wandlungsfähige
Stimme führen die Zuschauer durch die Kulturen der Weltmusik.
Wiener Walzer, ein Stückchen Kleine Nachtmusik, Klezmer, arabischer
Bauchtanz. Mit konventioneller Routine präsentierten sie ihre
Interpretation traditioneller Werke. Ein Großteil der gespitzten
Lauscher schien bei dem einstündigen Spektakel ihren Spaß
zu finden. Besonders bei der unvermeidlichen Schlusspolonaise.
Mit einer Djembe in der Hand mäandert der exotische Percussionist
durch Stuhlreihen, vorbei an minder gelösten Zaungästen.
Hinter ihm her trampelt die bunte Meute. Und unversehens der Gedanke:
der nächste Urlaub geht nach Afrika.