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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 27
50. Jahrgang | Juli/August
Hochschule
Motivationsspritzen für den musikalischen Nachwuchs
Die Rektorenkonferenz deutscher Musikhochschulen diskutierte
in Rostock Zukunftsfragen
Ende Mai ging in Rostock wieder einmal eine Rektorenkonferenz
deut-scher Musikhochschulen zu Ende, zusammen mit einem Wettbewerb,
der in der Geschichte der professionellen Musikausbildung bereits
auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Zweimal im Jahr
finden Begegnungen zwischen den 23 Musikhochschulen statt, bei denen
die Leistungen von Vertretern der Musikhochschulen selbst beurteilt
werden. Nach außen hin ist dieser Wettbewerb eher eine Leistungsschau
im engeren Sinne, für die Rektorinnen und Rektoren bietet er
aber vor allem Möglichkeiten zu Erfahrungsaustausch, Meinungsbildung
und nicht zuletzt zum kritischen Hinterfragen sowohl altbewährter
Traditionen als auch von neuen Entwicklungen und Perspektiven.
Damit nimmt er in der Hochschullandschaft eine besondere Position
ein, auch deswegen, weil die in der Bildungs- und Hochschulpolitik
vehement eingeforderten Elemente Wettbewerb und Profilierung
bei Musikhochschulen längst gängige Praxis sind. Wenn
wir einen Augenblick verweilen bei dem Begriff Wettbewerb,
so bezeichnet er ein Ausleseverfahren, an dessen Ende nach festgelegten
Kriterien die so genannte beste oder herausragendste Leistung steht.
Eines sollte bei aller Euphorie um den Gewinner aber
klar sein: Es handelt sich aus der Natur der Sache heraus immer
um eine Leistung im herkömmlichen Rahmen nach dem Motto: dasselbe
wie immer, aber schneller, lauter, perfekter. Selten handelt es
sich um eine wirklich innovative Leistung, eine, die neue Maßstäbe
setzt oder gar ein Umdenken erfordert.
Ohne die Leistungen im Einzelnen kritisieren zu wollen scheint
es geboten, in einer Zeit, in der wir alle aufgefordert sind, auf
die gesellschaftlichen Veränderungen flexibel zu reagieren,
bestimmte Entwicklungen offen und kritisch zu beobachten. Wie kommt
es zum Beispiel, dass bei den Wettbewerben der letzten Jahre fast
ausschließlich ausländische Studierende erfolgreich waren?
Zum Bundeswettbewerb in Rostock war beispielsweise im Fach Klavier
nur ein einziger deutscher Teilnehmer von den 23 Musikhochschulen
gemeldet worden. Von den insgesamt 27 angemeldeten Pianisten sagten
11 kurzfristig wieder ab, 9 davon mit der Begründung, sie hätten
das frisch komponierte Pflichtstück nicht (rechtzeitig) bewältigen
können.
Dies führt leider zum einen zu der Feststellung, dass die
Klavierausbildung sich nach wie vor hauptsächlich dem traditionellen
Repertoire widmet und sich nur marginal mit der zeitgenössischen
Musik beschäftigt, und zum anderen, dass sich die Qualitätsauslese
nach Kriterien vollzieht, in denen uns der musikalische Nachwuchs
etwa aus Ost-Europa und Ost-Asien überlegen zu sein scheint.
Es kann nicht daran liegen, dass die Studienbewerber aus diesen
Ländern etwa begabter sind als unsere hiesigen. Musikalische
Begabung ist nicht quantizierbar oder beliebig erweiterbar, sie
ist eher eine relativ konstante Größe, ungefähr
gleich verteilt auf alle Völker und Nationen. Aus diesem Grund
gewinnt man nicht mehr Talente, indem man mehr Ausbildungsinstitute
gründet, dies aber nur nebenbei. Vielmehr ist festzuhalten,
dass auf der einen Seite die Ausbildung für einen musikalischen
Beruf oder gar eine solistische Karriere in den entscheidenden Entwicklungsphasen
zwischen Vorschulalter und Abitur in den genannten Ländern
stark, in Deutschland eher gering ausgeprägt ist.
Auf der anderen Seite muss man mit Sorge feststellen, dass die
Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche, sich frühzeitig
aktiv mit Musik zu beschäftigen sprich: ein Instrument
zu lernen, sich drastisch verschlechtert haben. So können beispielsweise
die vielen Musiklehrer, die altersbedingt aus dem Schuldienst ausscheiden,
wegen rückläufiger Lehramtsstudenten-Zahlen nicht einmal
annähernd ersetzt werden.
Pessimistische Prognosen besagen, dass die bereits seit Jahren
bestehende Erosion an den Musikschulen sich in den nächsten
Jahren noch erheblich verschlechtern wird: Die Kommunen haben immer
weniger Geld, als erstes werden Subventionen für Jugendmusikschulen
gestrichen et cetera. Hier ist die wechselseitige Bedingtheit von
musikalischer Breitenbildung und Spitzenförderung aufs Höchste
gefährdet, Strukturen brechen weg, die für Jahrzehnte
nicht mehr reparabel sind.
Was können nun aber wir Musikhochschulen leisten, um die Situation
zu verbessern? Dies und andere Themen wurden in der Rostocker Konferenz
ausführlich diskutiert. Mit Sorge wurde zum Beispiel festgestellt,
dass der Beruf des Musikers zumindest momentan in Deutschland an
einem riesigen Image-Verlust leidet. Lern erst mal was
Richtiges! Es gibt ja keine Stellen mehr
mit diesen Beurteilungen unserer erfolgsorientierten Gesellschaft
wird es den aufwachsenden und aufstrebenden musikalischen Jungtalenten
erst einmal ausgetrieben, sich für eine Musikerlaufbahn zu
entscheiden. Natürlich kommen da die Musikhochschulen leicht
in den Verdacht, sich selber künstlich am Leben zu erhalten!
Andererseits: 12.000 Musikstudenten bundesweit ist das für
Deutschland zu viel?
Die Hochschulen sind heute aufgefordert, den künftigen Absolventen
mehr Rüstzeug auf den Weg zu geben, gegebenenfalls auch so
genannte Schnittstellenkompetenzen erwerben zu können für
Berufsprofile, in denen übergreifende, die herkömmlichen
Fachgrenzen sprengende Fähigkeiten verlangt werden. Das wären
etwa das Verlagswesen, Agenturen, Musikjournalismus, Musikermedizin,
Musiktherapie et cetera. Auch hier befindet sich der Arbeitsmarkt,
allein schon durch die explosive Entwicklung der neuen Medien, in
einem Umwandlungsprozess, der uns nicht nur Angst, sondern auch
Mut machen sollte.
So sollten wir einerseits unserem Nachwuchs durch Spitzen- und
Breitenförderung Motivationsspritzen geben, um bereits frühzeitig
mit den Möglichkeiten, mit, von und für die Musik zu leben,
vertraut zu werden, andererseits über Wahlfächer, Weiterbildungs-
und Ergänzungsangebote bis hin zur Neuentwicklung interdisziplinärer
Curricula denjenigen, die bereits im Studium sind, auch die Möglichkeit
geben, sich in Richtung künstlerische Höchstleistung
oder auch in Richtung einer Breitenkompetenz ausbilden
zu lassen.
In diesem Sinne hat sich die Rektorenkonferenz der Musikhochschulen
auch diesmal mit Themen befasst, mit dem Ziel, die Ausbildung für
professionelle Musiker weiterzuentwickeln und zu verbessern. Dies
nicht nur in der Konferenz selbst, wo die Debatte zu den wichtigen
Fragen naturgemäß nur in zeitlich begrenztem Rahmen stattfinden
kann, sondern auch und gerade in den zahlreichen kleineren Arbeitsgruppen,
welche über das ganze Jahr verteilt tagen.
So steht die Gesamtkonferenz im ständigen Austausch mit der
Arbeitsgemeinschaft Schulmusik, so gibt es Arbeitsgruppen zur Verbesserung
der Dirigierausbildung und zur Erarbeitung eines internationalen
Credit-Point-Systems für Musikhochschulen, um die Vergleichbarkeit
und Anerkennung von Studienleistungen und -abschlüssen zu fördern,
nicht zuletzt auch dahingehend, durch Mobilität der Musikstudenten
die Internationalität der Musik oder gar ihre völkerverständigende
Funktion auch weiterhin aufrechtzuerhalten.
Mirjam Nastasi, Rektorin der Hochschule für
Musik Freiburg/Breisgau