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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 35
50. Jahrgang | Juli/August
IG Medien
Fachgruppe Musik
Politisch Lied ein großes Jammertal
Von Rock gegen Rechts bis ,,Festival Musik und Politik
Nein, an eine Renaissance des politischen Liedes glaubt Karl-Heinz
Ocasek nicht. Der Einmannbetreiber des Labels Barbarossa, einst
Mitglied des Berliner Oktoberklubs und Produzent beim VEB-Plattenmonopol,
verdient dennoch recht gut am politischen Liedgut der Vergangenheit.
Seine sogar beim Aufbau-Verlag erschienene CD-Sammlung mit Pionier-,
Kinder- und FDJ-Liedern wird er reißend los, ebenso das vom
Eulenspiegel-Verlag herausgegebene Liederbuch Fröhlich
sein und singen. Ocasek sieht es als Standardliederbuch
zum Nachsingen am Lagerfeuer oder bei Partys, wo die alten Lieder,
die einst die Diktaturkinder mit Widerwillen bei Fahnenappells oder
Republikgeburtstagen sangen, lebendig gehalten werden.
De noch zu Zeiten des Faschismus Geborenen greifen freilich lieber
zur Ernst-Busch-Chronik mit Songs aus den 20er-Jahren. Amiga-Mitarbeiter,
die mit ihrem Label bei dem Major BMG unterkamen, geben zu, dass
sich mit politischen Liedern immer noch ein besseres Geschäft
machen lässt als beispielsweise mit Ostrock. Warum wohl klebt
eine beachtliche Zahl von Neubundis unbemerkt von der Öffentlichkeit
in ihren Stuben und privaten Fes-ten die Scherben der Vergangenheit
zusammen? Um die Wessis zu ärgern, denen moralisierende Kampfeslieder
weitgehend fremd sind und die mit Hannes Wader jammerten Ja
auch dich haben sie schon immer betrogen? Wo aber findet die
Auseinandersetzung mit dem kämpferischen Singsang in der Tiefe
wirklich statt?
Das Festival des politischen Liedes, das im vergangenen
Jahr seinen 30. Geburtstag feierte, wäre ein guter Ort gewesen.
Mittlerweile heißt das Treffen roter Sänger Festival
Musik und Politik. In den letzten Jahren unternahm das Festival
halbherzige Versuche, der eigenen Vergangenheit Herr zu werden.
So etwas wie Trauer, die den Schmerz über die zerbrochenen
Ideale von einer humanen sozialis- tischen Gesellschaft deutlich
machte, kam kaum auf. Die Mehrheit der heute 40- bis 55-jährigen
Sänger mag nicht wahrhaben, dass ihre Ideologie nicht durch
Überzeugungskraft die Oberhand gewonnen hatte, sondern mit
dem Sieg der Roten Armee über Ostdeutschland gekommen war.
Sie lachen spöttisch über Honecker, Ulbricht und all die
anderen Väter so, als hätten die nichts mit ihnen
zu tun. Als hätte der Oktoberklub nicht alljährlich mit
dem Chor der Berliner Parteiveteranen auf einer Bühne die Einheit
der Generationen demonstriert.
Es hat etwas Traurig-Depressives um diesen singenden Vortrupp
der Einheitspartei. Die meisten Mitglieder fügten sich und
besangen die Ideale ihrer Eltern. Auch wenn die Lieder sachte rhythmisch
aufgemotzt waren, knüpften sie mit ihren weltverbesserischen
Texten an die Arbeitersängerbewegung der 20er-, 30er-Jahre
an. In wohl behüteter Geborgenheit aufgewachsen, folgten die
jungen roten Sänger trotz Aufmüpfigkeit, trotz
gelegentlicher Verbote letztlich dem Diktat der alten Herren.
Parteidisziplin zählte und Selbstzensur. Die Angst, sich nach
dem Ende der DDR der eigenen Vergangenheit ehrlich zu stellen und
sich von ihr zu lösen, ist über zehn Jahre nach der Wende
immer noch spürbar. Es hat wohl seine Logik, das da nichts
Neues gedeihen kann.
Und im Westen? Auch da nichts Neues. Hier rockte Udo Lindenberg
kürzlich für Rock gegen Rechts. Noch 1987
freute sich der Panikro- cker in einem offenen Brief an Erich Honecker,
der er die berühmte Lederjacke beilegte: Ist es nicht
geil, dass es bei euch so viele Kids gibt, die keinen Berater-Vertrag
mit Valium und Durchängolin haben... Diese Kids sind keine
Krawallisten und Randaleure, die stehen genauso wie du auf RocknRoll
und Locker-drauf-sein.
Nun schreibt Lindenberg, der seinen Schlapphut immer mehr vor
die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille zieht, einen Brief an
die Nazis. Vor allem an die in Ostdeutschland so, als habe
sich nur die einstige rote Repub-lik in braune Farbe getaucht. Und
das aus heiterem Himmel heraus. Vermutlich sind auch Kinder der
Kids von damals dabei, die er mit gewaltig-blumigen Worten trotzig
angreift: Auf deutschen Boden will ich keine Wiedergeburt
der braunen Zombies sehen, nicht mehr einen Ferngesteuerten aus
der stinkenden, braunen Kloake des Gestern, nicht mehr einen Verräter
an den Menschenrechten, nicht mehr einen hirntoten rechtsextremen
Terroristen. Deshalb also singt er harte Lieder wie Haut
die Glatzen auf die Schnauze und Sie brauchen keinen
Führer für die Bunte Repub-lik Deutschland.
So, als rechtfertige rechte Gewalt die von links. So, als hätten
die Linken die Wahrheit für sich gepachtet. Zusammen mit reichen
Stars im reifen Alter wie Nena, Jule Neigel oder Nina Hagen steht
der Hotel-Bewohner Udo auf der Bühne gemeinsam mit Alibi-Youngstern
wie der Gruppe Reamonn und den Söhnen Mannheims und ausgewählten
Ostkollegen wie den Grand-Prix-Schockern Knorkator oder dem Nachwuchs
Last Generation. Schirmherr der Aktion, die einen Schulterschluss
zwischen Politikern auf nationaler und regionaler Ebene und Leitfiguren
wie Udo Lindenberg anstrebt, ist diesmal Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse. Jener Mann, der sich jüngst im gediegenen
Berliner Grunewald wunderte, dass Schüler keine rechte Lust
auf eine Diskussion über rechte Gewalt in Ostdeutschland zeigen.
Was ist nur los in dieser vereinten Republik Deutschland?
Helfen Parties im Stile der 80er-Jahre etwa gegen die Gefahr von
rechts in einem Deutschland 2001? Oder tarnen sie sich gar unter
dem Deckmantel des Guten um ihre Umsätze anzukurbeln?
Rein zufällig hat Lindenberg gerade ein neues Album auf den
Markt gebracht. Und so mancher Manager freut sich über jeden
Gig, der ein breites Medienecho garantiert obwohl sein Schützling
für den guten Zweck auf die Gage verzichtet.
Wie interessant wäre es doch, aus Lindenbergs Mund zu hören,
was er davon hält, dass die Zillertaler Türkenjäger
eine rechte Band übrigens aus Westdeutschland
seinen Sonderzug nach Pankow über Mekka fahren
lässt. Nein, er hat sich nicht gewehrt gegen rassistische Zeilen
wie niemand will euch sehen mit eurer fremden Kultur, mit
der stört ihr uns nur. Zumindest ist es nicht bekannt.
Hätte er sich getraut, diesen rechten Musikern persönlich
zu sagen: Diese Unbelehrbaren brauchen nichts weiter als die
volle Härte unseres Rechtsstaates? Schafft linke Gewalt
als Antwort auf rechte ein weltoffenes, supertolerantes Land,
das sich wohl nicht nur unser aller Udo so sehr wünscht?
Und wie stehts um den Streit innerhalb der linken Rockszene?
Es scheint kein Zufall zu sein, das sich gerade die Drei Highligen
ein zeitliches Bündnis aus den Rock für den
Frieden-satten Sängern Dirk Michaelis, André Herzberg
und Dirk Zöllner immer mehr aus der Live-Aktion gedrängt
fühlte und letztendlich selber absagte, weil die drei eine
andere Vision haben. Die von einem neuen Wir-Gefühl, das dem
Einzelnen genügend Raum lässt. Ein Wir-Gefühl,
das nicht vereinnahmt gegen etwas, sondern das ein von jedem mittragbarer
Kompromiss für etwas ist.
Der Niedergang des politischen Liedes ist wohl ein Zeichen für
gespaltene Gefühle im vereinigten deutschen Land. Und es scheint,
als würde die Spaltung fortdauern und mit ihr ein unterschwelliger
Generationenkonflikt.
Die Kinder linker Eltern, so offenbarte das Festival Musik
und Politik, wollen vor allem eins nicht: ihren Alten zuhören.
Respektlos ging das junge Publikum aus dem Saal, als zum Beispiel
Kai Degenhardt mit Liedern voller Antipop seine durchaus
beachtenswerten Zeilen mit einer monoton-starren Musik unterlegte.
Bei jungen linken Bands wie Knarf Rellöm aus Hamburg jedoch,
wo sich überlaute tanzflurgetestete Diskoknaller mit Revoluzzerparolen
und schrägen musikalischen Collagen paaren, ist nur noch Bewegung
angesagt. Das war kein Sozialismus. Das war Spießerkram,
schrie der Sänger. So, als wolle er der linken Elterngeneration
in den Kopf beißen. Egal, ob die nun depressiv mit ihrer Ost-Vergangenheit
hadert oder die einstigen Ideale gegen Konsum und Karriere getauscht
hat.
Rechte Kids dagegen hören umso intensiver ihren Großvätern
zu. Jenen etwa, die heute Hallen voll Musikantenstadl-Musik füllen.
Kaum wahrgenommen von der Öffentlichkeit, ist der Rechtsrock
die erfolgreichste politische Musik der letzten Jahre. Rund anderthalb
Millionen Tonträger schwirren unter den Jugendlichen
trotz Razzien, trotz Verbote. Texte über das dritte und angestrebte
vierte Reich, das Militär, Germanenglauben, über Volk,
Heimat und Vaterland werden mit einer meist dilettantischen Musik
transportiert. Egal, ob in weiblich-romantischer oder männlich-aggressiver
Pose. Wieder mal ist Kunst Waffe in Deutschland Tendenz steigend.
Ob uns das passt oder nicht. Es rächt sich eben, die Schattenseiten
der Vergangenheit zu verdrängen. Die gebiert ohnehin nur Doppelzüngigkeit
und die so gern übersehene ganz alltägliche Gewalt.