[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 42
50. Jahrgang | Juli/August
Jazz, Rock, Pop
Das Geheimnis des Erfolges heißt Spaß
30 Jahre Enthusiasmus: Matthias Winkelmann und das Jazzlabel
enja
Es fing schon lange vor der Firma an. Matthias Winkelmann, ein
Frankfurter Knabe an einem Internat im Odenwald, entdeckte seine
Liebe zur Musik: Das erste, worauf ich total abgefahren bin,
war Louis Armstrongs ,West End Blues. Dann hatte ich aber
bald ein tief greifendes Musikerlebnis und das war meine erste Charlie-Parker-Platte.
Für mich war es ein Moment der Wahrheit, denn ich wusste: Das
ist es obwohl es für mich als Vierzehnjährigen
erst einmal weit über meinem Horizont lag.
Matthias Winkelmann: das Feuer
lodert noch immer. Foto: W. Patrick Hinely
Immerhin, das Fünkchen war übergesprungen und das Feuer
begann, langsam zu lodern. Zurück in Frankfurt zog Winkelmann
durch die damals noch lebendigen Clubs, hörte sich internationale
Jazz-Größen an und lernte sogar selbst ein wenig Trompete.
Allerdings reichte der jugendliche Übermut noch nicht, um daraus
die Konsequenz des professionellen Umgangs mit Musik zu ziehen.
Der Teenager studierte Volkswirtschaft und Soziologie, machte sein
Diplom und versuchte sich an verschiedenen kleineren Jobs. Und durch
viele Zufälle war er in München hängen geblieben.
In der Ende der Sechziger agilen Jazz-Stadt an der Isar boten sich
neue Perspektiven: Mich hatte eigentlich Entwicklungshilfe
interessiert, das war damals das Thema. Doch dann lernte ich im
Türkenkeller, wo damals jeden Donnerstag Jazz gespielt
wurde, Horst Weber kennen. Dort trafen sich auch die Leute des Max
Greger Orchesters wie Benny Bailey oder Don Menza, die danach hungerten,
einmal die Woche aus der BigBand herauszukommen. Horst hatte bereits
gute Kontakte nach Japan, einem der Schlüsselländer für
Jazz. Wir beschlossen, unser Glück zu versuchen. Mit geliehenem
Geld und dem Pianisten Mal Waldron, der bereits eine bekannte Figur
in Fernost war, nahmen wir im Sommer 1971 eine Platte auf, die wir
auf Lizenzbasis tatsächlich dort absetzen konnten. Der
Anfang war gemacht. Und enja records kam voller Enthusiasmus ins
Rollen: Ich borgte mir 25.000 Mark von meinem Vater. Denn
einem gerade fertigen Studenten hätte damals keine Bank auch
nur eine Mark gegeben, um Jazz zu produzieren. Innerhalb von zwei
Jahren konnte ich den Betrag zurückzahlen und war unheimlich
stolz darauf. Allerdings kamen bald ganz andere Probleme auf uns
zu. Wir hatten zwar schöne Aufnahmen, haben sogar Folder gedruckt,
die wir an die Plattenläden schickten. Nur kam leider überhaupt
keine Antwort. Daher warf ich mich in meinen alten VW, fuhr direkt
zu den Leuten und bot die Sachen persönlich an. Langsam wurde
mir klar, dass zu einer Platte neben dem Produzieren auch noch das
Vertreiben und die Verlagsarbeit gehören. Winkelmann
lernte schnell.
Es dauerte keine drei Jahre und er pendelte regelmäßig
zwischen New York und München hin und her, um den Musikern
auf der Spur zu bleiben und sie zu Aufnahmen zu überreden.
Er erkannte aber auch das Potenzial vor Ort und schaffte es als
Stammgast des in den frühen Siebzigern weltbekannten Jazz-Clubs
domicile, seine Künstler vor Ort zu rekrutieren.
So entstand innerhalb kurzer Zeit ein Katalog mit Stars der Szene
von Ray Anderson bis Attila Zoller, der über drei Jahrzehnte
hinweg auf rund 600 Titel angewachsen ist. Obwohl sich Horst Weber
1986 mit seinem Zweig der Firma von Winkelmann trennte, in kleinem
Umfang weiter machte und aufgrund der Namensgleichheit seines Unternehmens
zunächst für Verwirrung sorgte, platzierte sich enja records
gemeinsam mit den Münchner Kollegen von ECM an der Spitze der
deutschen und internationalen Jazz-Independents. Alljährlich
veröffentlicht das Label rund 20 CDs, hinzu kommen Lizenzen
an großen Aufnahmen oder Sammlungen wie den Archivalien von
Ernst Knauff, dem ehemaligen Wirt des domicile, die
noch der Auswertung harren. Speziallabels wie Blues Bacon (für
Blues), Tip Toe (für Weltmusik) und enja nova (für Crossover-Projekte)
haben das stilistische Spektrum erweitert, so wie überhaupt
der Jazz bei enja von kernigem Mainstream à la Abraham Burton
über afrikanische Kultursymbiosen nach Art von Abdullah Ibrahim
bis zu genreübergreifenden Experimenten des Oud-Spielers Rabih
Abou-Khalil reichen. Mit augenzwinkerndem Understatement angesichts
der Vielfalt seiner Künstler formuliert Winkelmann daher sein
Firmenmotto: Im Prinzip produziere ich die Sachen, die mir
Spaß machen. Das ist der einzige Luxus, den ich mir leiste.
Anders gesagt: Bloß nicht sich beirren lassen! Das ist das
Geheimnis des Erfolges.