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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 8
50. Jahrgang | Juli/August
Kulturpolitik
Offener Brief
Richard Wagners Walküre wird nun doch nicht auf
dem Israel Festival in Jerusalem im Juli aufgeführt. Unter
massivem Druck israelischer Politiker und Institutionen sagte die
Leitung der Festspiele das Konzert der Berliner Staatskapelle ab.
Stattdessen werde die Staatskapelle Berlin nun Schumanns 4. Sinfonie
und Strawinskys Frühlingsopfer spielen. Barenboim
hatte noch vor wenigen Wochen erklärt, er wolle sich dem politischen
Druck in Israel nicht beugen, am 21. Mai dann aber von missverständlich
interpretierten Äußerungen gesprochen und betont,
dass er keinesfalls vorhabe, missionarisch für
die Wagner-Aufführung zu kämpfen. Die nmz veröffentlicht
im Folgenden Barenboims offenen Brief.
Nach den Protesten in Israel hat mich die Leitung des Israel
Festivals gebeten, ein Alternativprogramm zu Wagners Walküre
vorzuschlagen. Ich bin der Bitte nachgekommen, weil ich das Publikum
nicht enttäuschen wollte. Obwohl es mir fern liegt, und ich
habe dies wiederholt gesagt, als Missionar für Wagners Musik
in Israel zu wirken, bedauere ich die Entscheidung des Festivals,
die Walküre abzusetzen und stattdessen ein anderes
Programm zu spielen. Selbstverständlich ist es nicht meine
Intention, irgend jemanden zu verletzen, und ich habe großes
Verständnis für die Sensibilitäten der Überlebenden
des Holocaust. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass es sich
hier um eine Frage der Demokratie handelt. Letzten Endes ist nicht
Wagners Musik selbst ein Problem für Menschen jüdischen
Glaubens, sondern die Assoziationen, die die Nationalsozialisten
schufen. Wagners Musik nicht zu spielen, gibt ihnen im Nachhinein
Recht.
Ich habe in den letzten Wochen viele Briefe bekommen, auch von
Überlebenden des Holocaust, die den Druck, der auf die Festivalleitung
ausgeübt wurde, nicht nachvollziehen können. Nicht zuletzt
sie haben mir bestätigt, dass es bei der Diskussion in der
Tat um ein Prinzip der Demokratie geht; nicht mehr und nicht weniger.
Die Kollegen der Staatskapelle Berlin und ich freuen uns sehr
auf die Reise nach Israel und auf die Gelegenheit, für das
wunderbare israelische Publikum spielen zu können.
Daniel Barenboim, künstlerischer Leiter und
Generalmusikdirektor, Deutsche Staatsoper Berlin, 1. Juni 2001