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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 11
50. Jahrgang | Juli/August
Kulturpolitik
Nicht alles, was subventioniert wird, ist Kunst
In Berlin veranstaltete die Kulturpolitische Gesellschaft ihren
ersten Bundeskongress
Die Ankündigung des ersten Kulturpolitischen Bundeskongresses,
mit dem die in Bonn ansässige Kulturpolitische Gesellschaft
e.V. in Verbindung mit der Bundeszentrale für politische
Bildung, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Berliner Akademie
der Künste ihr 25-jähriges Jubiläum beging,
hatte eine derart große Resonanz bei Künstlern, (Kultur-)Politikern,
Kulturmanagern, Wissenschaftlern und Kulturredakteuren aller Medien,
dass die Kapazität von 400 Teilnehmern nicht nur ausgeschöpft
wurde, sondern zahlreiche weitere Anfragen abschlägig beschieden
werden mussten. Eine Dokumentation soll noch vor Jahresende erscheinen
und die nächste Tagung bereits in zwei Jahren stattfinden.
Die Kunst gehört ins Zentrum der Kulturpolitik.
Diese scheinbar lapidare Feststellung traf Oliver Scheytt, Präsident
der Kulturpolitischen Gesellschaft und ansons-ten Kulturdezernent
der Stadt Essen, in seiner Eröffnungsrede des Bundeskongresses
unter dem Motto kunst. macht.kulturpolitik, der am 7./8.
Juni in Berlin stattfand, und sie schimmerte leitmotivisch durch
viele Referate, Podiums- und Diskussionsbeiträge der Tagung
hindurch. Es sind, genau genommen, zwei Aspekte von Kunst, die damit
ins Visier genommen werden: Kunst sollte sich immer sowohl als das
Außerordentliche wie auch als etwas Lebendiges und damit immer
Neues definieren.
Scheytt warnte davor, dass Kulturpolitik sich, zumal unter dem
Druck leerer Kassen, auf die Bestandspflege der kulturellen
Infrastruktur reduziere. Jens Jessen, Feuilletonchef der Zeit,
nannte das die einseitige Förderung alter Kamellen,
und Christoph Stölzl (CDU), der gerade erfahren hatte, dass
die ihm verbleibenden Tage als Berliner Kultursenator an den Fingern
abzuzählen waren, erläuterte: Solange traditionelle
Kultureinrichtungen immer weiter zuerst gefördert würden,
könne all das, was sich nicht in diesen Rahmen fügt, lediglich
mit kleinen Restbeträgen bedacht werden. Dabei, so Stölzl,
höhlen Tarifverträge, etwa für Orchestermusiker,
die Kunst wie Termiten von innen her aus. Da aber auch
die Off-Kultur auf Staatsknete angewiesen sei, würde er dafür
plädieren, wenigstens zehn Prozent des Kulturetats frei, nämlich
projektbezogen auf Antrag, zu vergeben.
Die Unstetigkeit der Subventionierung sollte vergrößert
werden, meinte Stölzl, und seine Hamburger Kollegin Christina
Weiss (SPD) stieß in eben dieses Horn: Die Mittelverteilung
in der Kultur erfordere erheblichen Mut; gerade der Mut zu Neuem
sei unendlich wichtig, wenn auch das Neue sich im richtigen Verhältnis
mit dem Bewährten mischen müsse. Zuvor hatte bereits Gerard
Mortier, Noch-Intendant der Salzburger Festspiele und bereits auf
dem Wege ins Ruhrgebiet, in seinem thematischen Aufriss
sein Credo in ganz ähnlichen Worten geäußert: Das
kulturelle Erbe muss immer wieder gebrochen, nämlich
neu und anders dargestellt werden. Im Umkehrschluss bedeutet das:
Ein Kulturbetrieb, der lediglich routiniert die Nachfrage der verbliebenen
Abonnenten bedient, ist eben keine Kunst.
Die Subventionierung der Künste ist keine Quantitätenfrage,
auf diesen Punkt brachte es Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender
der VIVA Media AG, und plädierte für eine striktere Einhaltung
des Subsidiaritätsprinzips: Auf dem Markt der Künste sollte
aus öffentlichen Mitteln nur gefördert werden, was
sich nicht schon selbst verkauft. Damit war im Forum Neues
Publikum für die Kunst... nach dem Zerfall des Bildungsbürgertums
auch die Frage nach der Rezeption, nach dem Verhalten der Öffentlichkeit
gegenüber dem Angebot angerissen, eigentlich auch die Frage
nach der Vermittlung von Kunst im Sozialisationsprozess nicht
als traditionelles Bildungsgut, sondern als Lebensprinzip und Element
der Persönlichkeitsbildung. Die Kulturschaffenden selbst
müssen bei den Jugendlichen die Neugierde wecken, ihnen die
Bedeutung von Kunst vermitteln, meinte dazu Christina Weiss.
Im Übrigen aber blieb die wichtige Frage nach dem neuen Publikum
weit gehend unbeantwortet; vielleicht bedürfte es für
ihre Erörterung auch einiger anderer Experten.
Beinahe zeitgleich, aber nicht im Rahmen dieses Kongresses, hatte
Reinhold Brinkmann, Musikwissenschaftler und frisch gekürter
Siemens-Musikpreisträger, in einem Aufsatz (Schwanengesang,
im Berliner Tagesspiegel, vom 2. Juni 01) aus dem Trend
der von ihm beobachteten Müdigkeit des Publikums angesichts
eines ständig schrumpfenden Repertoires gefolgert, die
klassische Musik werde im 21. Jahrhundert verschwinden.
Selbst wenn man seiner Analyse der Entwicklung in vielen Punkten
nicht folgen kann, so macht auch er zu Recht darauf aufmerksam,
dass die Verantwortung für die Lebendigerhaltung und ständige
Erneuerung des Kunstbetriebs, besser: des Künstlerischen in
der Gesellschaft, keineswegs nur bei denen liegt, die für die
Finanzierung zu sorgen haben, sondern in erster Linie bei den Künstlern
selbst sowie bei denen, die Kunst in unterschiedliche gesellschaftliche
Sphären transportieren sollen. Künstlerisches zu vermitteln
heißt, andere mit dem Bazillus der Begeisterung für das
So-noch-nie-Dagewesene zu infizieren, sei es als Rezipienten oder
als Ausübende.
Wer die vom Deutschen Musikrat und einigen seiner Mitgliedsverbände
veranstalteten Wettbewerbe Jugend musiziert erlebt hat,
der hat immer wieder beobachten können, wie Kinder und Jugendliche,
sofern sie von guten Lehrern geführt werden, die magische Linie
zum Künstlerischen hin überschreiten, wie sie, solo oder
im Ensemble und nahezu unabhängig von ihrer Altersstufe, in
ihrer konzent- rierten Leistung plötzlich abheben in eine Erlebnis-
und Erfahrungswelt, in der die üblichen Normen materiell zielgerichteten
Lernens oder spaßorientierten Freizeitverhaltens gleichermaßen
obsolet erscheinen, weil dort andere Maßstäbe gelten.
Vom diesjährigen Bundeswettbewerb Jugend musiziert
in Hamburg hatte man unmittelbar Anschluss an den Kulturpolitischen
Bundeskongress in Berlin, terminlich ebenso wie inhaltlich. Bundespräsident
Johannes Rau hatte im vergangenen Jahr beim Bundeswettbewerb in
Berlin geäußert, Kunst und Kultur seien nicht wie
Sahne auf dem Kuchen, die man dazu nimmt, wenn es einem gut geht,
sondern ... die Hefe im Teig. Den Teilnehmern am Kulturpolitischen
Kongress schrieb er bei einem Empfang im Schloss Bellevue ins Stammbuch:
Wir brauchen einen Zugang zum Erbe, wir brauchen einen Zugang
zum Neuen und wir brauchen, drittens, einen Zugang zu Fremdem.
Man möchte auch diesem Satz des Bundespräsidenten freudig
zustimmen, nur mag er ungewollt euphemistisch sein: Für allzu
viele Zeitgenossen fällt das kulturelle Erbe wie das künstlerisch
Neue ohnehin mit dem Fremden zusammen, zumal dann, wenn es nicht
gleich vordergründig Fun macht.
Mit Kunst das Außergewöhnliche fordern und fördern
aber zugleich auch eine Öffentlichkeit herstellen, die
das Außergewöhnliche sucht und ihm die Sinne öffnet,
das wäre wohl ein Fazit beider Veranstaltungen und die gemeinsame
Forderung an alle, die Kunst, Macht, Kulturpolitik ausüben,
gestalten und miteinander in Beziehung setzen.
Michael Jenne
Zitate
Kultur kann ein Zugang zu Fremden sein
Durch Kunst und Kultur finden wir zu unserer Identität und
durch sie verstehen wir uns selber besser. Kultur ist immer schon
Begegnung, Dialog, Austausch, wechselseitige Befruchtung, Vermischung
gewesen.
Wenn wir heute allerdings vom Dialog der Kulturen reden
nicht nur im internationalen Maßstab, sondern auch im eigenen
Land dann meinen wir etwas anderes als die bloße
Übernahme fremder Stilelemente. Wir meinen damit den wirklichen
Austausch mit Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, von denen
viele inzwischen schon seit Jahrzehnten bei uns leben.
Natürlich können Kulturen keine Dialoge führen.
Das können nur Menschen. Wir meinen eine echte Begegnung
mit all dem, was den anderen bestimmt, was ihn ausmacht, was seine
Hoffnungen und Sehnsüchte, was seine Angst und seine Ehrfurcht
ausdrückt.
Als die Kulturpolitische Gesellschaft vor 25 Jahren
gegründet wurde, hat kaum einer geahnt, wie notwendig ein
solcher Dialog der Kulturen eines Tages werden würde. Ich
glaube, dass es zu den ganz wichtigen kulturpolitischen Aufgaben
gehört, diesen Dialog vor Ort, mit all den Initiativen, die
es überall gibt, zu führen. Auszüge aus dem Grußwort von Bundespräsident
Johannes Rau
Zur Bundeskulturstiftung
Wir haben uns schon in den 70er-Jahren für die Idee der Nationalstiftung
von Günter Grass und Willy Brandt eingesetzt. Der Bund braucht
ein Instrument aktiver Kulturförderugn, das im Einvernehmen
mit der Kulturstiftung der Länder eingesetzt werden kann.
Der Akzent, die zeitgenössischen Künste zu unterstützen,
unabhängig von regionalen und sonstigen Proporzfragen, kommt
zur richtigen Zeit. Als wir vor zwei Jahren mit der Planung für
diesen Kongress begonnen haben, hätten wir es nicht für
möglich gehalten, wie aktuell unser Thema heute sein würde.
Aus der Eröffnungsrede von Oliver Scheytt, Präsident
der Kulturpolitischen Gesellschaft