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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 9
50. Jahrgang | Juli/August
Kulturpolitik
Streiten wider das Dicke-Backen-Klischee
Dreiländergespräch der Laienmusikverbände auf
dem Bodensee
Der europäische Musikrat lud im Rahmen des 3. Deutschen Bundesmusik-festes
zu einem Dreiländergespräch über die Imageprobleme
der Laienmusik auf das Motorschiff Graf Zeppelin auf
den Bodensee. Unter der Gesprächsführung von Marlene Wartenberg
vom Europäischen Musikrat trafen sich am runden Tisch die Fachleute
Harald Huber, Vizepräsident des Österreichischen Musikrates,
Jakob Stämpfli, Präsident des Schweizer Musikrats und
Heini Füllemann, Mitglied des Zentralkomitees des Schweizer
Blasmusikmusikverbandes. Von deutscher Seite komplettierte Stefan
Liebing, Generalsekretär des Baden-Württembergischen Blasmusikverbandes
das hochkarätige Podium.
Wollen die Amateurmusik attraktiver
machen (v.l.): Marlene Wartenberg, Harald Huber, Stefan Liebing
und Heini Füllemann.
Foto Doris März
Schon die Eingangsstatements zeigten deutlich, dass die Laienmusik
in den drei Ländern mit weitgehend gleichen Problemen kämpft.
Die moderne Musik bricht mit Traditionen und stellt die Schlaginstrumente
in den Vordergrund. Es entstehe eine world music, wie
sie Harald Huber nannte. Die Jugend genieße heute eine gute
musikalische Ausbildung. Egal ob diese Aufgabe von den Musikschulen
oder Musikvereinen übernommen wird, entscheidend sei die Qualität
mit der die Musikanfänger mit dem Kulturgut Musik in Berührung
gebracht werden, betonte Huber.
Die Amateurmusik sei die Wurzel allen Musizierens und deshalb
gehe keine Förderung ins Leere, gab Stämpfli zu bedenken.
In der Schweiz finde man eine Vielfalt von Harmoniemusiken, Brass
Bands, Schauorchestern und sinfonischen Blasorchestern vor, dazu
kämen zwei landesweite Jugendblasorchester. Die Eingangslehrgänge
würden von den Landesverbänden getragen, dann wechsle
man auf das Konservatorium und danach fänden die Musiker an
drei Standorten fachspezifische Möglichkeiten für das
Studium Blasorchesterleitung. Es gibt in der Schweiz viele Bläser,
betonte Stämpfli: nicht weil sie nichts besseres können,
sondern weil sie an die Faszination Bläsermusik glauben.
Wir sind auf dem besten Weg, die Laienmusik attraktiv
zu machen, meinte Heini Füllemann. Wir pflegen gute Musik,
die trösten und Freude machen kann, wir spielen für Jung
und Alt und, nicht zu vergessen, zur eigenen Freude. Mut zur Pluralität,
forderte Huber. Die Musik, so meinte er, sei eine wesentliche und
freudvolle Sache, die nicht in Gut und Böse eingeteilt werden
sollte, sondern in ein sowohl als auch. Damit erledigen
sich die unseligen Repertoirediskussionen von selbst. Das Problem
sei es, den Strukturwandel nach draußen zu transportieren,
warf Stefan Liebing ein. Blasmusik, Bierzelt und alkoholselige Prositmusiker,
die lautstark Dicke-Ba-cken-Musik verbreiten sind in der Öffentlichkeit
als Klischeebild fest verankert. Kann ein professionelles Marketingkonzept
die Akzeptanz der Blasmusik im 21. Jahrhundert verändern? In
der Konkurrenz um die Jugendlichen, die von Sport, Disco und anderen
Funaktivitäten umworben werden, müsse die Musik attraktiver
angeboten und verbreitet werden, so Liebing.
Das sei die Aufgabe der Verbände, die ein attraktives Netzwerk
von Informationen und Aktivitäten anbieten müssen und
die Jugendlichen rechtzeitig in die Verantwortung mit einbinden
sollten. Einen Verein zu führen bedeute heute, ein mittleres
Wirtschaftsunternehmen im Ehrenamt zu betreiben. Spendenrechtliche
Fragen sind zu beantworten, dazu kommen Problemstellungen aus arbeitsrechtlichen
und wirtschaftsrechtlichen Wissensgebieten, für die ein Vereinsvorsitzender
ein Jurastudium absolvieren müsse, um schnelle Entscheidungen
richtig fällen zu können.
Die erfolgreiche Vereinsführung der Zukunft wird auf professionelle
Medienarbeit und sachkundiges Marketing nicht verzichten können,
meinten die Fachleute.
Einig waren sich die Podiumsteilnehmer mit dem Publikum: Die Musik
soll kulturelles Erbe pflegen, Neues aufzeigen und Freude verbreiten.
Nur dann kann sich die Amateurmusik den Stellenwert erobern, den
sie verdient. Die Musikräte haben die Aufgabe, den Vereinen
professionelle Hilfestellung zu geben. Die Politik ist für
die geeigneten Rahmenbedingungen zuständig.
Das Schauorchester aus Weimar umrahmte das Podiumsgespräch
mit flotten Rhythmen.