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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 11
50. Jahrgang | Juli/August
Kulturpolitik
Die Jugend das unbekannte Wesen
Ältere Herren diskutieren in Essen über die Zukunft
der Klassik
Der Sohn des Musikkritikers macht Rockmusik. Klassische Konzerte
mag er nicht. Warum? Man müsste ihn fragen.
Das ging aber nicht, denn beim Essener Kongress Die Zukunft
der klassischen Musik Auf der Suche nach dem Publikum
erhoben bis kurz vor Schluss fast ausschließlich ältere
Herren die Stimmen. Und da diese Herren merkten, dass reines Spekulieren
über die abwesende Jugend keine sechs Stunden trägt, redeten
sie über etwas anderes. Plötzlich klang alles sehr schön.
Der Pianist und Musikprofessor Siegfried Mauser freute sich, dass
Neue Musik er versteht darunter alles, was in den letzten
hundert Jahren geschrieben wurde , öfter in Repertoirekonzerten
gespielt wird und viele Opernhäuser Kompositionsaufträge
vergeben. Karl Karst, ein Wellenchef (klingt nach Oberfriseur,
meint aber die Leitung des Kultursenders WDR 3), erläuterte
lange weilend die Rolle des Radios im Musikleben, und FAZ-Redakteur
Wolfgang Sandner der mit dem abtrünnigen Rock-Sohn
hielt einen anekdotenreichen Vortrag über Geschichte und Aufgabe
der Musikkritik.
Franz Xaver Ohnesorg, bald Intendant der Berliner Philharmoniker
und jetzt Leiter des im Anschluss eröffneten Klavier-Festivals
Ruhr, verfehlte das Thema am charmantesten. Ohnesorg sang ein Loblied
auf das wunderbare alte Publikum und gab viele Beispiele, wie gut
organisierte Musik die Menschen glücklich macht.
Erfolgreiche Konzertreihen würden von kreativen, charismatischen
Persönlichkeiten gestaltet und gehorchten nicht nur der Ökonomie,
das sei das Geheimnis. Und niemand musste zweimal raten, wen er
dabei im Haupt hatte.
Von fünf Referenten sprach wahrhaftig einer zur Sache. Stefan
Piendl, Geschäftsführer der BMG Classics, erläuterte
die Gesetze des CD-Marktes. Da kann eine begonnene Reihe noch so
durchdacht und verdienstvoll sein, wenn sie sich nicht verkauft
(oder der Musikrat nicht mitfinanziert) wird sie eingestellt. Mit
den Experten, die ihr Herzblut ins Programm hängen, kann die
Branche nichts mehr anfangen. Sie braucht Abwickler, die auf den
Euro schauen. Deshalb werden die Klassik-Abteilungen aufgelöst,
gerade ist Teldec dabei. So klar sagte Piendl das nicht, aus seinen
Worten war es aber leicht zu schließen. Da wird einem klar,
warum neue Interpreten sich bei körperlicher Eignung in Modelposen
und scharfen Klamotten auf den Covers räkeln. Klassik goes
Pop, oder sie fährt zur Hölle. So einfach ist das, zumindest
bei den jungen Käufern, denn Stars gibt es außer Anne-Sophie
Mutter und Cecilia Bartoli nicht, zumindest nicht zählbar.
Natürlich hatten auch die Weichspüler ein bisschen Recht:
Dramatisch ist die Lage der Klassik allgemein gesehen nicht. Immer
noch gibt es viele Veranstaltungen, die mehrfach verkauft werden
können. Trotzdem ist nicht von der Hand zu weisen, dass der
Trend zum Event geht. Aus Gewohnheit ins Konzert gehen wirklich
nur noch die Senioren, Jüngeren müssen die Veranstalter
Anreize bieten, die Gewissheit eines den Preis lohnenden Erlebnisses.
Über das Umfeld wurde viel zu wenig gesprochen. Das Essener
Aalto-Musiktheater ist nicht nur aufgrund der großen Leis-tungen
des GMD und Intendanten Stefan Soltesz voll, sondern auch wegen
des wunderbaren Baus. Hier fühlt man sich wohl und angeregt,
verkommene Stadttheater, vor denen man misstrauisch nach oben schaut,
ob da gerade kein Ziegelstein runter kommt, bieten das nicht. Sitzkomfort
ist enorm wichtig, eine anständige Bewirtung und die Abschaffung
des elitären Habitus. Doch da versucht man zurzeit noch die
Quadratur des Kreises, da viele Klassik-Afficionados sich gerade
durch die Abgrenzung definieren und Abendgarderobe und Diskussion
über Vergleichserlebnisse eben die Identität ausmachen,
die viele im Konzert suchen.
Dieses Dilemma meiner Ansicht nach zentral für die
Entwicklung des klassischen Musiklebens kam in Essen nicht
zur Sprache, weil den meis-ten Beteiligten die Parade der Eitelkeiten
wichtiger war. Und damit vergrault man noch den letzten Jugendlichen
aus dem Konzertsaal.