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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 1
50. Jahrgang | Juli/August
Leitartikel
Balanceakt zwischen Geist und Materie
Eindrücke von der GEMA-Generalversammlung in München
· Von Barbara Haack
Der GEMA geht es gut. Mit diesem einleitenden Satz
zum Geschäftsbericht des Vorstandsvorsitzenden Reinhold Kreile
anlässlich der diesjährigen GEMA-Mitgliederversammlung
war bereits vieles gesagt. Es folgte eine beeindruckende Übersicht
über Rekordzahlen, über Ertrags- und Ausschüttungssteigerungen
zugunsten der Urheber. Um 49,3 Millionen Mark konnte die Verteilungssumme
im Jahr 2000 gesteigert werden, wobei sich die Marktschwäche
im Tonträgerbereich auch hier bemerkbar macht: im Gegensatz
zu den Sparten U, E und Radio/Fernsehen
erlebte die Tonträgerlizenzierung eine wenn auch geringe
Einbuße. Von Zahlen war viel die Rede während
dieser drei Münchner Tage: kaum verwunderlich bei einem Unternehmen
GEMA, das sich auch Inkasso-Gesellschaft nennt. Aber
ist die GEMA ausschließlich dazu da, Geld einzutreiben, zu
verwalten und auszuschütten?
In der Satzung der GEMA ist unter dem Titel Zweck des Vereins
von Rechten die Rede, vom Schutz des Urhebers und von den Bedürfnissen
der kulturellen Musikpflege, die berücksichtigt werden sollen.
Von Einnahmen und Auszahlungen kein Wort. Hier zeigt sich der Spagat,
den eine Verwertungsgesellschaft tagtäglich üben muss.
Zunächst ist die GEMA Anwalt des Urhebers und seines Rechts
und damit ein Schutzpatron immaterieller Werte. Dies klingt nach
einem hohen Ideal und ist es auch. Das deutsche Urheberrecht
ist eine Errungenschaft, die erheblich zur Entwicklung und Entfaltung
eines reichhaltigen Kunst- und Kulturschaffens beiträgt. Es
gehört in der Tat geschützt.
Der GEMA geht es gut.
Der aufmerksame Beobachter einer GEMA-Generalversammlung allerdings
vernimmt kaum etwas von solch hehren Hintergründen. Vielmehr
ist die Rede von Tarifen, Verteilungen und Hochrechnungsverfahren.
Hier geht es offensichtlich um rein materielle Werte. Gewiss: die
wirtschaftliche Vergütung künstlerischen Schaffens gilt
als Basis eben desselben aber ist doch nicht allein selig
machend. Als Solidargemeinschaft präsentiert sich die GEMA
jedenfalls nicht, allenfalls als Profitgemeinschaft. Und da sind
Differenzen vorprogrammiert: zwischen den Kleinen und den Großen,
zwischen Urhebern und Verlagen, zwischen den Mitgliedern der GEMA
und Der GEMA, weil erstere nicht immer begreifen, dass
sie die GEMA selber sind und diese als Verein mit einer demokratischen
Satzung selbst gestalten können und sollen. Insofern können
Aufsichtsrat und Vorstand zwar Impulse geben und Vorschläge
machen, sind aber letzten Endes auf den Input ihrer Mitglieder angewiesen.
Die böse GEMA gibt es nicht, aber vielleicht eine,
deren Teilhaber die Inhalte ihres Schaffens manchmal aus den Augen
verlieren. Die positive Reaktion der Versammlung auf die Mitteilung,
auch die GEMA habe einen Beitrag in die Stiftungsinitiative Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft eingezahlt und zwar unabhängig
von der Rechtsfrage, ob bei der STAGMA, der Rechtsvorgängerin
der GEMA im Dritten Reich, Zwangsarbeiter beschäftigt waren,
mag immerhin als Zeichen dafür gedeutet werden, dass auch Komponisten,
Verleger und Textdichter nicht nur an den eigenen Geldbeutel denken.
Der Hörer kommt
quasi nicht vor.
Noch etwas fällt auf beim Studium des Geschäftsberichts:
der Hörer, der doch eine wichtige Rolle in der Verwertungskette
spielt, kommt quasi nicht vor. Vom Urheber ist selbstverständlich
die Rede, von Partnern wie den ausländischen Verwertungsgesellschaften
und von Gegnern wie der Firma Hewlett-Packard. Natürlich auch
von den Verwertern, aber diese sind in der Regel Veranstalter, die
wiederum ein ökonomisches Interesse an der Musik haben. Dabei
sind die Mitglieder der GEMA in zweifacher Hinsicht auf den Endabnehmer
ihrer Produkte angewiesen. Zum einen ist er es, der letzten Endes
die Eintrittskarten und CDs kauft, die wiederum mit der Verwertungsgesellschaft
abgerechnet werden. Zum anderen aber ist er auch der Abnehmer des
Produkts im immateriellen Sinne, derjenige, der die geistige Leistung
der Urheber zu würdigen weiß. Dass der Applaus das Brot
des Künstlers sei, gilt zwar heute dank der Leistungen
aller Kämpfer für das Urheberrecht weit weniger
als in früheren Zeiten. Nach wie vor aber sind gerade Kunstschaffende
auf Zuspruch, Lob und Kritik ihrer Rezipienten angewiesen. Es stände
einer GEMA-Generalversammlung gut an, sich einmal über heutige
und zukünftige Hörer Gedanken zu machen. Sie befände
sich in guter Gesellschaft mit anderen Kräften des deutschen
Musiklebens, die freilich längst nicht so mächtig, so
kapitalkräftig und häufig auch nicht so effektiv sind
wie sie selbst. Für die gemeinsame Sache, nämlich Erhalt
und Ausbau eines vielfältigen und qualitativen Musikschaffens
wie -rezipierens, wäre es jedoch sicher nützlich, wenn
die GEMA solche Kräfte wie Musikverbände und Ausbildungsinstitutionen
zukünftig verstärkt als Partner betrachten würde.
Im Übrigen könnten diese Partner mit dem hohen
Maß an Glaubwürdigkeit, das sie in der Regel in der Öffentlichkeit
besitzen dann auch ein kleines aber feines Gewicht darstellen
in den großen Kämpfen, die Verwertungsgesellschaften
heute und in Zukunft gegen mächtige Gegner auszukämpfen
haben.
Im Dienste des Urhebers
Dass es vielerlei Schauplätze gibt, auf denen sich GEMA-Aufsichtsrat
und -Vorstand derzeit im Dienste des Urhebers tummeln, war der zweieinhalbstündigen
Rede des Vorstandsvorsitzenden unschwer zu entnehmen. Denn nicht
nur das reine Zahlenwerk klang eindrucksvoll, sondern auch die Vielzahl
an Themen, die die GEMA beschäftigen und die Erfolge, die im
vergangenen Geschäftsjahr erzielt wurden. Ganz aktuell konnte
Reinhold Kreile auf das Urteil des Landgerichts Stuttgart im Verfahren
gegen Hewlett-Packard hinweisen, das einen entscheidenden Schritt
in der Frage der Vergügungspflicht für Geräte der
digitalen Musikvervielfältigung darstellt. Hier geht es um
die Frage, wie die private Vervielfältigung von Musik, die
früher per Audio-Kassette erfolgte, heute aber per CD oder
direkt übers Internet geschieht, einen angemessenen Beitrag
zur Urheberrechtsvergütung beiträgt. Nachdem es bisher
nicht möglich war, eine Harmonisierung des Urheberrechtsschutzes
in diesem Bereich auf europäischer Ebene zu erreichen, darf
jedes Land auch in Zukunft seine eigene Regelung beibehalten. Dem
Verfahren der GEMA gegen HP stand also nichts mehr im Wege. Ist
die Urheberrechts-Abgabe beim Kauf eines analogen Vervielfältigungsgeräts
seit vielen Jahren anerkanntes Gesetz, so setzen sich Hersteller
digitaler Geräte gegen eine solche Abgabe zur Wehr. Das Gericht
schloss sich in seinem Urteil der Auffassung der GEMA an: CD-Brenner
sind vergütungspflichtig im Sinne von Paragraf 54 des Urheberrechtsgesetzes.
Die Behauptung der Gegner, durch zukünftige Technologien werde
bald eine individuelle Einzelkontrolle für jeden Musiknutzer
möglich, wies das Gericht zurück.
Hewlett-Packard & Hochrechnung
PRO
Gegen das Urteil legte die Firma HP Berufung ein nichtsdestotrotz
gibt es Hoffnung auf eine außergerichtliche Einigung zwischen
den Parteien. In der Frage der Online-Linzenzierung kündigte
GEMA-Chef Kreile einen Entwurf für einen Verteilungsplan
C an, der neben den Verteilungsplänen für das Aufführungs-
und Senderecht und für das mechanische Vervielfältigungsrecht
die Vergütungen für den Online-Bereich regeln wird. Damit
sei die GEMA für den Zeitpunkt gerüstet, an dem die digitale
Verbreitung von Musik nennenswerte Erträge einbringen werde.
Dann können wir den neuen Providern aus der Sicht der
Verwertungsgesellschaften nur zurufen: Wir sind schon da!
Lediglich für die Verteilung der Einnahmen durch Klingeltöne
von Handys, die schon heute beachtlich sind, legte Kreile einen
Vorschlag vor: immerhin gibt es für das Jahr 2000 bereits eine
Summe von über einer Million Mark zu verteilen. Erneut ging
es auf der Generalversammlung um das neue Hochrechnungsverfahren
PRO, dass vor zwei Jahren eingeführt wurde, weil es eine gerechtere
Abrechnung der gesamten zur Verfügung stehenden Verteilungssumme
verspricht, gibt noch immer Anlass zur Diskussion obwohl
es inzwischen vom Landgericht Berlin bestätigt wurde: Solange
keine noch präzisere und damit gerechtere Lösung gefunden
wird, gilt PRO als das beste Abrechnungsverfahren. Eine Rückkehr
zum alten Verfahren ist mit diesem Urteil nicht mehr möglich.
Die GEMA präsentierte sich in München als ein überaus
erfolgreiches Unternehmen mit einer Kompetenz der Verantwortlichen,
die manchem Musikverband zu wünschen wäre. So glaubt man
gerne den Worten des Vorsitzenden: Der GEMA wird es auch weiterhin
gut gehen!