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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 52
50. Jahrgang | Juli/August
Nachschlag
Bach mit Busen
Wer erinnert sich noch an die finnische Geigerin Linda Lampenius?
Vor zwei Jahren wurde das 28-jährige Ex-Playboymodel als die
neue Klassik-Hoffnung der EMI vorgestellt. Heute kennt sie kaum
noch einer, auch eine Namenskosmetik (Linda Brava!) und eine Debüt-CD
mit Geigen-Schnulzen hat daran nichts geändert. Was ist da
schief gelaufen? Hat die EMI das Marktpotenzial für geigende
Sexbomben über- oder den durchschnittlichen Sachverstand der
Hörer unterschätzt? Tatsache ist, dass nichts mehr auf
dem Klassikmarkt so ist, wie es einmal war. Der Boom, den die Einführung
der CD vor zwanzig Jahren auf dem Klassikmarkt auslöste, ist
längst verebbt.
So ist es kein Wunder, dass man schon seit einiger Zeit versucht,
die bewährten Vermarktungsstrategien der U-Musik auch für
die E-Musik nutzbar zu machen. Was früher nur für Sängerinnen
wichtig war, gilt mittlerweile auch für Instrumentalisten:
Es kommt aufs Aussehen an. Gerade Geigerinnen und Cellistinnen werden
heute fast so stark über ihr Dekolleté vermarktet wie
über ihre musikalischen Qualitäten. Schließlich
ist ein sexy Outfit ja auch allemal einprägsamer als ein perfektes
Legato. Zwar wurde bei Linda Lampenius offenbar die Grenze dessen,
was noch als leidlich seriös gelten kann, weit überschritten.
Man sollte aber nicht meinen, etablierte Klassikstars wären
nur nach rein künstlerischen Kriterien aufgebaut worden. Anne-Sophie
Mutter etwa hat einen großen Teil ihres Erfolgs nicht nur
ihrem Geigenspiel, sondern auch ihren extravaganten Roben zu verdanken
schulterfrei als Markenzeichen. Nigel Kennedy pflegt auch
jenseits der 40 noch das sorgsam aufgebaute pubertäre Punkerimage,
so lächerlich das allmählich auch wirken mag. Immerhin
verkaufte sich seine Aufnahme von Vivaldis Vier Jahreszeiten
sage und schreibe 1,5-millionenmal im Klassikbereich ist
das eine sensationelle Zahl. Normalerweise geht eine neue CD eines
noch wenig bekannten Künstlers tausend- bis fünfzehnhundertmal
über die Ladentheke, zehntausend Stück gelten auch für
bekanntere Musiker als gute Auflage kein Vergleich mit den
Umsätzen, die im Popbereich erzielt werden. Besonders brisant
ist die Sitaution für junge Pianisten: Der Markt ist übersättigt,
an Nachwuchs mangelt es nicht. Jährlich werden Dutzende großer
Wettbewerbe ausgetragen, deren Gewinner allesamt auf eine Weltkarriere
hoffen. Die ist aber ohne die Unterstützung durch eine große
Plattenfirma äußerst unwahrscheinlich.
So bastelt man am besten früh an einem unverwechselbaren Profil.
Ein kleiner Skandal und ein Dandy-Image wie bei Ivo Pogorelich können
nützlich sein, ein Ruf als Horowitz-Nachfolger und Supervirtuose
(Volodos!) auch. Wer aber einfach nur großartig Klavier spielt
und durchschnittlich aussieht, dürfte es schwer haben. Ob Charakterköpfe
wie Alfred Brendel oder Svjatoslav Richter heute als junge, unbekannte
Pianisten noch einen Schallplattenvertrag erhalten würden?
Allerdings lässt sich auch eine Behinderung karrierefördernd
verwerten: Der blinde Tenor Andrea Boccelli ist als Sänger
drittklassig, erzielt dank cleverer Vermarktung aber Verkaufszahlen,
von denen seine sehenden Kollegen nur träumen können
nicht einmal vor Verdi-Arien schreckt Boccelli mittlerweile mehr
zurück. Noch schwerer als mit der Marktpositionierung neuer
Interpreten tut sich die Klassikbranche aber mit der Verwertung
der Massen an älterem Material, die bleischwer in den Schallarchiven
liegen. Hier sind mittlerweile die letzten Schamgrenzen gefallen.
Ist man schon seit längerem daran gewöhnt, alte Karajan-
oder Solti-Aufnahmen in neuer Verpackung mit Titeln wie Klassik
zum Träumen oder Musik für romantische Stunden
offeriert zu bekommen, so gibt es jetzt scheinbar keinerlei künstlerische
Skrupel mehr. Wer glaubte, mit der CD Moshammer´s Classics,
immerhin mit Aufnahmen von Topstars wie Placido Domingo oder Leonard
Bernstein, sei das untere Ende der Peinlichkeitsskala erreicht,
so hat Sony Classical mit der Reihe Für Stunden mit Lebensstil
den Offenbarungseid einer Industrie geleistet, der das Wasser bis
zum Hals stehen muss: Hier wird bloß noch mittels einfältiger
Al-literation zusammengeschmissen, was nie und nimmer zusammengehört.
Satie für stille Stunden mag ja noch angehen, aber
Barock zum Bügeln, Bach zum Brunch,
Beethoven als Betthupferl und, als Krönung, Puccini
zur Pasta? Warum nicht gleich Brahms für Bescheuerte?
Oder Vivaldi für Vollbusige? Da könnte man
doch glatt Linda Lampenius wieder ins Spiel bringen.