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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 25
50. Jahrgang | Juli/August
Pädagogik
Ein Abschied vom 19. Jahrhundert ist überfällig
Plädoyer für eine Reform der Instrumentallehrerausbildung
an den Hochschulen
In den Ausgaben April und Mai 2001 der neuen musikzeitung hat Christoph
Richter Wege zu einer Strukturreform des Musikstudiums gewiesen.
Beim diesjährigen VdM-Kongress in Leipzig referierte Michael
Koch zum Thema Lehrer lernen von ihren Schülern.
Dabei beleuchtete er auch die Ausbildungssituation der künftigen
Instrumentallehrer und zeigte Aspekte einer inhaltlichen Reform
des Studiengangs Instrumentalpädagogik auf. Dieser Abschnitt
findet sich, geringfügig überarbeitet, im Folgenden abgedruckt.
Das Studium der Instrumentalpädagogik ist auch heute noch
wesentlich davon gekennzeichnet, dass derjenige Studierende der
bessere ist, der sein Instrument besser spielt als seine Mitstudierenden,
nicht derjenige, der besser unterrichtet seit eh und je absurd
für einen Studiengang, der in erster Linie künftige Lehrer
ausbildet und nicht konzertierende Künstler. Das solistische
Instrumentalspiel besitzt also nach wie vor den höchsten Stellenwert
im Studium. (Nicht umsonst heißt es dort meist noch Hauptfach!)
Um diese Zustände zu ändern, das Studium also vom Kopf
auf die Füße zu stellen, braucht es eine Werteverschiebung:
Nicht mehr der lehrende Künstler darf das Idealbild sein, sondern
der als Musiker kompetente Lehrer muss es werden. Im 21. Jahrhundert
also endlich Abschied vom 19.!
Es hat den Anschein, dass eine solche Werteverschiebung in den
Ausbildungsinstituten bereits begonnen hat: Dort kommt es seit Jahren
mehr und mehr in Mode, Studierende unter Anleitung das Unterrichten
in der Praxis üben zu lassen. Dabei scheint das favorisierte
Modell des Unterrichtspraktikums das Mentorenmodell zu sein: Das
Unterrichten-Üben der Studierenden wird in die Musikschulen
der Umgebung ausgelagert, überantwortet den dort
als Mentoren fungierenden Musikschullehrern. Auf solche Weise können
sich Ausbildungsinstitute den eigentlich wesentlichen Inhalt des
Studiums der Instrumentalpädagogik das Unterrichten-Lehren
weiterhin vom Hals halten; Künstler und Theoretiker
werden in ihrem Elfenbeinturm nicht gestört. Dort findet zwar
nach wie vor Allgemein- und Fachdidaktik statt, doch die Verknüpfung
mit dem Unterrichtspraktikum der Studierenden gerät im Einzelfall
mangelhaft: Denn Didaktiker und Mentor sind verschiedene Personen,
die örtliche Trennung der Veranstaltungen tut ein Übriges.
Es ist klar, was an dieser Situation verändert werden muss:
Das Unterrichtspraktikum als das eigentliche Hauptfach gehört
zur Gänze in die Verantwortung der Ausbildungsinstitute; Didaktiker
und Mentor müssen die gleiche Person sein, diese sollte, um
nicht die Bodenhaftung zu verlieren, in gewissem Umfang auch Musikschulunterricht
erteilen müssen (Instrumentalunterricht auf Hochschulebene
zu geben scheint für diese Lehrkraft nicht so zwingend geboten);
alle Theorieveranstaltungen im pädagogischen Bereich müssen
mit dem Unterrichtspraktikum so eng verzahnt werden, dass ihre Inhalte
ohne größere Zeitverzögerung in das Praktikum transferiert
werden können. (Denn Theorie, die nicht alsbald in die Praxis
einfließen kann, wird vergessen. Jeder in der Ausbildung Tätige
weiß, dass Transfer ein frommer Wunsch bleibt, wenn er nicht
unter Anleitung und zeitnah geschieht.)
Das bedeutet nicht zuletzt, das Unterrichten-Üben der Studierenden
im Studium zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzen zu
lassen nicht erst nach drei, vier oder noch mehr Semestern,
wenn der Studierende sich endlich künstlerisch gefunden
hat. Natürlich darf das nicht auf Kosten der Ausbildungsqualität
in den übrigen Fächern gehen. Allerdings gehört die
Praxisrelevanz so mancher Studieninhalte (nicht unbedingt vorrangig
der Instrumentalfächer) einmal gehörig hinterfragt...
Nach ihrem Studium müssen Instrumentallehrer nicht nur allgemein-
und fachdidaktisch kompetent, sondern selbstverständlich auch
fähige Musiker sein. Um ihr Können und Wissen aber an
den Schüler zu bringen, benötigen sie in ganz besonderem
Maß Unvoreingenommenheit sowie gut entwickelte Wahrnehmungs-
und Kommunikationsfähigkeit.
Kommunikation umfasst weit mehr als Stimmbildung oder Sprecherziehung.
Aber auch sie kann geübt werden. In den Studiengang Instrumentalpädagogik
gehören demzufolge entsprechende Stundenkontingente.
Darüber hinaus benötigen die Studierenden Zeit und Gelegenheit
für die angeleitete Reflexion der eigenen Lernbiografie. Denn
wer als Instrumentallehrer das eigene Werden als Instrumentalist
nicht rückblickend durchdacht hat, wird immer wieder in die
Falle tappen, das Unterrichten seiner Lehrer nachzubilden. Eine
solche Auseinandersetzung mit dem eigenen Werdegang ist grundlegend
in Bezug auf die Ausbildung von pädagogischer Wahrnehmungsfähigkeit.
Und was die Unvoreingenommenheit anlangt: Alle, die Instrumentalschüler
und damit potenzielle Lehrer unterrichten, lassen in diesen ein
Bild vom Instrumentallehrer und seiner Arbeit entstehen. Schön,
wenn dieses Bild entsprechend geprägt wird!