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nmz 2001/07-08 | Seite 43
50. Jahrgang | Juli/August
Jazz, Rock, Pop
Nachschub
Von den Rändern her
Man könnte es auch zynisch betrachten: Der beste Star ist
der Anti-Star. Am meisten Beachtung findet der, der sich verweigert
oder zumindest rar macht. Die suggestivste PR-Strategie ist die,
die sich permanent selbst dementiert. Aber vermutlich meint es Thom
Yorke genauso bitterernst wie Kurt Cobain: Er will den Erfolg, aber
nicht seinen Preis. Er will für die Kids all over the world
und ein paar versprengte bohemienistische Intellektuelle der Held
ihrer Wünsche sein und scheut dann doch davor zurück:
keine Macht für niemand; dafür Subversion, ewige Revolte,
eine Suche, die sich nie zufrieden gibt und ein Festhalten
an Idealen, von deren Unmöglichkeit man sich längst überzeugen
konnte. Wie Nirvana nach Nevermind, versuchte auch Radiohead
nach dem 97er-Mega-Seller OK Computer einen Erfolg zu
unterlaufen, der ihnen selbst unheimlich war, weil er Kommerz und
Kult zu verbinden schien. Die, die nur Teil einer Jugendbewegung
sein wollten, waren plötzlich die Mitte der Welt, Cash-Kühe
für die Industrie und role-models für alle, die das eigene
Leben gern delegieren und als pure substitutes ihrer
Heroen konsumieren. Aber die Wurzellosigkeit eines globalisierten
Erfolgs erzeugt einen regressiven Impuls: Cobain wollte zurück
in utero, Thom Yorke zumindest zur Peripherie, wo er
herkam und wo alles Neue sich ereignet.
Kid A war das Projekt einer absichtsvollen Verkleinerung
und Verjüngung das grandios fehlschlug: die Millenniums-CD
von Radiohead, als avantgardistische Verweigerung gedacht oder zumindest
inszeniert, wurde zur Nummer eins selbst im Traumfabrik-Land USA.
Die Botschaft: Authentizität zahlt sich aus; Experimente werden
belohnt. Selbst im Pop-Universum gibt es Erfolg nicht via Reißbrett,
sondern nur in immer neuen Aufbruchsbewgungen von den Rändern
her. Amnesiac (bei EMI), der rasche Nachfolger von Kid
A (und von Spöttern deshalb schon Kid B genannt),
ist Produkt derselben, sich über 18 Monate hin erstreckenden
Sessions und doch etwas Eigenes. Was Amnesiac
mit Kid A verbindet ist der endgültige Abschied
von Brit-Pop, das vorläufige Ende der Dominanz der Gitarren,
auch in ihrer schrägen Neo-Western-Variante à la Ennio
Morricone (der noch der geheime Pate hinter OK Computer
war), und eine Offenheit für Jazz und Electronica, die sich
freilich in Genre-Kategorien nicht mehr näher bestimmen lässt.
Charles Mingus, der jetzt als Vor-Bild bei Thom Yorke auftaucht,
war vor zwei Jahrzehnten schon der Mentor einer Joni-Mitchell-CD.
Aber das konnte man auch hören: die zerbrechliche Princess
of Folk mutierte zu einer leicht zickigen Post-Jazz-Queen. Mingus
wurde zur Matrix einer (gescheiterten) Reformulierung des Autoren-Songs.
Nichts davon bei Thom Yorke: bei ihm geht der Einfluss von Mingus
in einem raffinierten Sampling unter, das alles andere als maschinell,
ja auch nur zitierend ist. Mingus wird zum Motor für eine Musik,
von der er noch nichts ahnte. Radiohead ist anno 2001 vollkommen
synthetisch und artifiziell und bleibt doch Sprache der Subjektivität:
Thom Yorke schafft es wie kein anderer, Sound und Song zu verbinden;
bei ihm dient selbst noch das aufregendste Ambiente der puren Expression;
wobei das Wunder der ästhetischen Verarbeitung nicht zuletzt
darin besteht, dass im Werk das schlecht gelaunte und
zugleich naive der Yorkeschen Statements verschwunden ist.
Das geschundene Gutmenschentum, das Engagement für die immer
schon verlorene Sache, das Gemüt und Gesicht gleichermaßen
zerrüttet, teilt Michael Stipe mit Thom Yorke: beide entscheiden
sich, im Fall der Fälle, nicht für Dionysos, sondern für
den Gekreuzigten, beide haben auch, von den Rändern her,
den Weg in die Massenseele gefunden, indem sie ihr demonstrativ
beleidigt sind. Permanente low-fi-Paranoia scheint befeuernd und
besänftigend zugleich zu wirken. Anders aber als Radiohead
ist der Weg von R.E.M. immer überschaubar gewesen. Selbst Reveal
(bei WEA), von den Medien als Meisterwerk gefeiert, hat noch den
Charme der Mitt-80er-College-Radio-Anfänge, obwohl das Trio
aus Athens längst Stadien füllt und Stipes unverwechselbare
Stimme nicht mehr nur auf einem gleichbleibend-treibenden Gitarren-Bett
ruht, sondern von einer Fülle von Geräusch-Gimmicks umgeben
ist, die nur dekodieren muss, wer Lust dazu hat. Für alle anderen
fügen sie sich in den gewohnten R.E.M.-Sound und haben
bloß die Funktion, dass aus dem Vertrauten, das man will,
nicht der Überdruss wird, den man scheut.
Dass man Pop-Star werden kann, ohne seine Räudigkeit
zu verlieren, verkörpert keiner so drastisch wie Iggy Pop.
Schon Ende der 60er, Anfang der 70er hat er mit dem raw power-Sound
seiner Stooges die Blaupause für Punk geliefert. Seine Verweigerung
war aber selbst dort, wo sie pure Energie zu sein schien, immer
auch intelligent und vertrackt. Der Erfolg hat ihn nicht
gezähmt. Dem forever young konnte er gelegentlich
eine gespenstische Variante abgewinnen: Iggy als Mumien-Kid, das
schon alles hinter sich hat, dessen Souveränität gerade
darin besteht, dass es Erfahrungen nicht vermieden hat, sondern
sich zeichnen ließ. American Caesar
war sicher eines der Alben der 90er-Jahre: chartstaugliche Songs,
deren Grund ein narbiges Crooner-Pathos und eine existenzielle
Gebrochenheit ist, gegen die ein Nick Cave wie ein parfümierter
Poser erscheint. Beat Em Up (bei Virgin) ist dem gegenüber
Rückkehr zu den rohesten Anfängen, aber ohne alle Roots-Sentimentalität:
Iggy Pop gelingt es, anno 2001 die Vorgeschichte von Punk und schmutzigstem
Metal so zu zelebrieren, dass einem keine Sekunde lang der Gedanke
an Retro-Chic kommt. Und der Rebell in Iggy sagt in seinem Ginsburg-nahen
Howl der Musikindustrie, von der er lebt und die von
ihm lebt, die Meinung: Die Musik von morgen ist das, was ich
heute fühle. Für die owner of the future
in den Vorstandsetagen hat er nach wie vor nur aggressiven Spott
übrig.