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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 23
50. Jahrgang | Juli/August
Bücher
Auf der Flucht vor der braunen Gefahr
Die Arbeitsgruppe Exilmusik Hamburg widmet sich dem Schicksal
von Frauen
Lebenswege von Musikerinnen im Dritten Reich
und im Exil, Arbeitsgruppe Exilmusik Hamburg (= Schriftenreihe
Musik im Dritten Reich und im Exil, Bd. 8; herausgegeben
von Hanns-Werner Heister und Peter Petersen), von von Bockel Verlag
Hamburg 2000, 418 S., 48 Mark.
Die Pianistin Edith Kraus nahm 1987 in Jerusalem die Klavier-Sonate
Nr. 6 von Viktor Ullmann auf, über 40 Jahre zuvor hatte sie
dieses Werk zur Uraufführung gebracht als Lagerinsassin
in Theresienstadt. Die Konzerte, die sie im so genannten Vorzeigeghetto
der Nazis gibt, retten die einstige Schülerin Artur Schnabels
vor dem Transport ins Vernichtungslager Auschwitz. Im Mai 1945 kehrt
sie zurück nach Prag, wandert vier Jahre später mit ihrem
Mann und ihrer kleinen Tochter aus nach Tel Aviv. Dort konzertiert
die gebürtige Wienerin mit Werken Theresienstädter Komponisten
und unterrichtet an der Universität. Trotz ihrer 88 Jahre ist
Edith Kraus bis heute pädagogisch tätig.
Einer von 14 Lebensläufen, die von der Arbeitsgruppe
Exilmusik am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität
Hamburg mit bewundernswerter Akribie rekonstruiert wurden. Eine
winzige Auswahl nur aus der namenlosen Masse unterdrückter,
ins Exil getriebener oder ermordeter Musikerinnen im Dritten
Reich. Und doch steht jeder einzelne Lebenslauf exemplarisch
für das unbekannte Schicksal vieler. Den Jüngeren, wie
Edith Kraus, gelingt es meist, nach 1945 ihre musikalische Arbeit
mit Erfolg wieder aufzunehmen. Die Tschechin Zuzana Ruzicková
etwa, Jahrgang 1929, überlebt als jüdisches Kind vier
NS-Konzentrationslager. In Auschwitz verrichtet sie Feldarbeit,
im KZ Neuengamme bei Hamburg leistet sie Aufräumdienst in der
zerbombten Hansestadt mit bloßen Händen. Nach
Kriegsende holt sie mit eisernem Willen die versäumte Zeit
nach und schafft vielen Widrigkeiten zum Trotz eine internationale
Karriere als Cembalistin. Für die älteren Künstlerinnen
und Komponistinnen dagegen lässt sich der Bruch in der Biografie
nicht mehr so leicht kitten.
Etwa für Gitta Alpár, um 1900 in Budapest geboren.
Sie macht zunächst Karriere als klassische Koloratursopranistin
an der Berliner Staatsoper, dann begeistert sie in der Metropole
als Operettendiva im Léhar-Duett mit der Jahrhundertstimme
Richard Tauber: Wir wollen wandern wies uns gefällt,
denn uns gehört doch die ganze Welt. Am 28. März
1933 verkündet Joseph Goebbels im Hotel Kaiserhof vor der versammelten
Berliner Theater- und Filmprominenz, die Juden unter ihnen seien
nicht mehr erwünscht. Gitta Alpár, Jüdin und in
so genannter Mischehe mit dem Filmschauspieler Gustav
Fröhlich verheiratet, verlässt noch in derselben Nacht
Berlin und emigriert nach Budapest, dann nach Wien und London. Von
1939 bis zu ihrem Tod 1991 lebt sie in den USA, Engagements bleiben
aus. Der einst umjubelte Operettenstar, den kein Geringerer als
Karl Kraus als souveränste Operettengestalt Berlins
feierte, stirbt in völliger Vergessenheit.
Der Hamburger Band bringt noch zwei weitere Beispiele dieser Mischehen.
Stets sind es die Frauen, die, anders als Gustav Fröhlich,
couragiert zu ihren jüdischen Partnern halten: Cissy Kraner,
noch heute als Diseuse in Österreich zu erleben, folgte ihrem
Geliebten, dem Operetten- und Chansonkomponisten Hugo Wiener, ins
Exil nach Kolumbien. Und die Hamburgerin Ilse Fromm-Michaels wird
wegen ihres jüdischen Mannes mit Sippenhaft bestraft.
Schon 1933 unterliegen ihre Kompositionen einem Aufführungsverbot.
Auftreten darf die international bekannte Pianistin auch nicht mehr,
dabei hatte sie unter Arthur Nikisch und Wilhelm Furtwängler
gespielt. Zwar erhält Ilse Fromm-Michaels nach dem Krieg eine
Professur an der Hamburger Musikhochschule, ihr kompositorischer
Elan aber ist gebrochen.
Die im ambitionierten Hamburger von-Bockel-Verlag erschienene biografische
Essaysammlung vorwiegend junger Autoren schließt keine
Lü-cke, wie es im Nachwort treffend heißt, sie
will auf eine große aufmerksam machen. Und dies
ganz zu Recht, denn die musikalische Exilforschung, ohnehin erst
seit den 80er- Jahren existent, hat die Kategorie des Geschlechts
bisher ignoriert.
Dass Frauen sich im Dritten Reich und im Exil offenbar
anders verhielten als viele männliche Kollegen, dass sie oft
die Ersten waren, die die braune Gefahr wirklich erkannten
und zielstrebig die Emigration der ganzen Familie vorbereiteten,
zeigen viele der hier vorgestellten Lebenswege überdeutlich.
Oft auch waren Musikerinnen im Exil gezwungen, ihre traditionelle
Rolle aufzugeben und neue unkonventionelle Wege zu beschreiten,
wobei sie nicht selten Pionierarbeit leisteten. Vally Weigl etwa,
Pianis-tin und Klavierpädagogin aus Wien. In New York mit 55
Jahren auf sich allein gestellt, entdeckt sie die Musiktherapie
für sich und etabliert bis ins hohe Alter den Arbeitsbereich
Tanztherapie an führenden Kliniken der US-Metropole. Oder die
1921 im badischen Kippenheim geborene Pia Gilbert. Für sie
bedeutet das Exil geradezu eine künstlerische Befreiung, die
den Weg ebnet zu einer Karriere im Bereich des Modern Dance: für
Martha Graham und zahlreiche andere Choreografen schreibt sie Partituren,
und unter ihrer Ägide werden Tanzabteilungen an großen
amerikanischen Universitäten eingerichtet.
Eine Biografie, in der sich die Erlebnisse des Exils gleich zweimal
bündeln, gehört zu Leni Alexander, 1924 in Breslau geboren.
Als jüdisches Mädchen mit ihrer Familie aus Deutschland
nach Chile vertrieben, erleidet sie zur Zeit der Diktatur Pinochets
ein zweites Mal Verfolgung und Exil. Heute lebt und arbeitet die
Komponistin Neuer Musik, die bei Olivier Messiaen und bei Bruno
Maderna studiert hat, in Chile, Frankreich und Deutschland. Zahlreiche
Hörstückekünden von den Erlebnissen der Vertreibung.
Exil das bedeutete aber zumindest die gelungene Flucht vor
der NS-Diktatur. Auch einer Lebensspur, die abrupt endet, folgt
das Buch: dem Weg der jungen Wiener Konzertgeigerin Alma Rosé.
Sie kommt April 1944 in Auschwitz um. Dort leistete sie vom August
1943 bis zu ihrem Tod musikalische Schwerst- und Zwangsarbeit als
Leiterin des Lager-Orchesters mindestens zwölf Stunden
tägliches Üben, Marschmusik am Lagertor, Konzerte am Abend
und sonntags. Es war Alma Rosés ganzer Wunsch, dass ihrem
Vater, Arnold Rosé einem führenden Violin-Virtuosen
seiner Zeit, der mit Gustav Mahler, Bruno Walter und Adolf Busch
zusammen musizierte von ihrer musikalischen Arbeit im KZ
berichtet würde. Im Londoner Exil erfuhr Arnold Rosé
von der letzten musikalischen Tätigkeit seiner Tochter.