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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 22
50. Jahrgang | Juli/August
Bücher
Neue Töne in Musikschulen
Multidimensionale Wege im Instrumentalunterricht
Gerhard Wolters: Wege aus der Eintönigkeit. Multidimensionaler
Instrumentalunterricht. Oder: Die Wiederentdeckung und Weiterentwicklung
(fast) vergessener Unterrichtsformen. Musikverlag Zimmermann.
Frankfurt am Main 1999. 2. Auflage 2001, 328 Seiten
.noitakinummoK tsi kisuM Musikunterricht unter einem neuen
Blickwinkel mag zunächst fremd erscheinen. Lässt man sich
jedoch näher auf ungewöhnliche Perspektiven ein, lösen
sich so manche Probleme traditioneller Unterrichtsformen fast von
alleine und die Musik rückt wieder in den Mittelpunkt.
Musik ist Kommunikation. Alleine zu musizieren gleicht demzufolge
einem Selbstgespräch. Wer gemeinsam musiziert, kommuniziert
gleich auf mehreren Ebenen, und hier setzt Gerhard Wolters
Konzept ein: der multidimensionale Instrumentalunterricht, der Aspekte
umfasst, die nicht unbedingt Alltag in Musikschulen sind. Unterricht
mit mehreren Schülern, auch verschiedenen Alters (teilweise
sogar mit Eltern) und unterschiedlichen Niveaus, Erlernen verschiedener
Instrumente, mehrere Lehrkräfte für eine Gruppe, flexible
Handhabung von Zeit und Raum diese Dimensionen greift Wolters
in seinem Buch auf und erläutert seine Wiederentdeckung
und Weiterentwicklung des Musikunterrichts, der mehrgleisig
in verschiedene Richtungen geht. Wiederentdeckung nimmt
hierbei Bezug auf umherreisende Musikanten, Gaukler und Spielleute,
die im Mittelalter von Stadt zu Stadt tingelten und wie selbstverständlich
mehrere unterschiedliche Instrumente gekonnt beherrschten.
Die Idee ist eine neue Form des Unterrichts, weg von 30-minütigem
Einheitsbrei im Einzelunterricht mit gelangweiltem Schüler,
gefrustetem Lehrer und musikalisch fragwürdigen Erfolgen. Gerhard
Wolters, seit 1993 Leiter der Musikschule Borken, machte aus der
Not eine Tugend, als er die nötigen Einsparmaßnahmen
an seiner Musikschule kreativ und konstruktiv anging. Unterricht
mit zwei Schülern oder in kleinen Gruppen bringt neben Kostenersparnis
auch mehr Motivation. Von der herkömmlichen Massenabfertigung
im Gruppenunterricht unterscheidet sich Wolters Konzept darin, dass
auch unterschiedlich weit fortgeschrittene Schüler zusammen
musizieren, so kann der Anfänger Tipps vom alten Hasen
bekommen, während der Lehrer wiederum mit einem anderen Schüler
arbeitet; wenn dann noch verschiedene Instrumente im Spiel sind,
wird der Unterricht doppelt lebendig, Instrumente können ausprobiert
werden, Transponieren wird zur Selbstverständlichkeit. Unkonventionelles
Umgehen mit Unterrichtszeit und Übungsräumen eröffnet
neue Möglichkeiten.
Konkrete Beispiele: Das Einspielen oder Wiederholen der Hausaufgabe
kann im getrennten Raum ohne Lehrer dem eigentlichen Unterricht
vorangehen; im Anschluss an den Unterricht kann Erlerntes im Nebenraum
alleine nochmals gespielt und gefestigt werden; ebenso kann ein
Klavierschüler nach dem eigenen Unterricht oder zu einem anderen
Zeitpunkt in der Woche eine weitere Unterrichtsstunde lang beispielsweise
eine Geigenschülerin oder eine Blockflötengruppe begleiten
und erhält somit zusätzlichen kostenfreien Unterricht,
der zudem großer Ansporn zu üben ist, denn wer Melodieinstrumente
begleitet, will natürlich auch zeigen, was er kann. Den Kombinationsmöglichkeiten
sind keine Grenzen gesetzt. Unterrichten zwei Lehrer eine Gruppe
mit gemischten Instrumenten, profitieren auch die Lehrer gegenseitig
vom Konzept und den Ideen des anderen eine einzige kontinuierliche
Weiterbildung.
Klingt vielleicht utopisch. Unmöglich, weil Lehrerkollegen
nicht mitmachen? Was tun, wenn in der Musikschule zu wenig Räume
sind? Kann man Eltern das zumuten? Skeptikern und potenziellen
Kritikern wird von vornherein der Wind aus den Segeln genommen.
Mit überzeugend-rhetorischer Eloquenz werden die einzelnen
Kapitel dargestellt, Beispiele aus Praxis und Alltag einer Musikschule
untermauern Wolters Konzept (auch die finanziellen Fragen
werden immer wieder angesprochen) und stellen in lebensnaher Form
Zusammenhänge her zwischen Absicht, Realität und Effekt.
Tabellen, Querverweise aus Pädagogik und Lernpsychologie sowie
zahlreiche Zitate liefern darüber hinaus ein wissenschaftliches
Fundament. Der klare Aufbau des Buches und vor allem das flexible
Grundgerüst der Idee ermöglichen, nach Vorlieben zunächst
vielleicht auch nur einen der Ansätze herauszugreifen, auszuprobieren
und Schritt für Schritt neue Dimensionen zu gewinnen.