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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 16
50. Jahrgang | Juli/August
Rezensionen
Mäuse und Motten
Neue CDs mit Klassik und Jazz für Kinder
Als Inspektor Maus den Gorgonzola- Club betrat, spielten
gerade die Rockfours mit Paul Appenzeller am Kontrabass,
Buddy Parmesan am Schlagzeug, Duke Emmental am Klavier, Charlie
Camembert am Saxophon und Dizzy Cheesy an der Trompete. Star des
Abends war die berühmte Ella Mozzarella... Um
einen Käse-Diebstahl großen Stils geht es in Inspektor
Maus, einem Käse-Krimi mit Mäuse-Jazz für
Leute ab acht Jahre. Das Panama-Ensemble mit seinem Erzähler
Gregory Charamsa hat eine der wenigen neueren CDs produziert, die
junge Nachwuchs-Ohren für den Jazz gewinnen wollen; und eine
der zahlreichen, dem Erbe von Peter und der Wolf verpflichteten,
die Kinder durch die musikalische Untermalung und Umrahmung von
Hörspielen durch Stimmungsausdeutung und Tonmalerei an ernste
Musik heranführen wollen. Eine Reihe neuer CDs macht sich nun
auf den zwar schon oft beschrittenen, nichtsdestotrotz aber steinigen
Weg ins Kinderland. Mit dem Wunsch, Begeisterung für anspruchsvolle
Musik zu wecken, als schweres und manchmal unhandliches Gepäck,
geht es auf eine Gratwanderung zwischen noch offener Aufnahmebereitschaft
und unverdorbenen Hörgewohnheiten der Kinder einerseits
und der drohenden Überforderung ihrer Konzentrationsfähigkeit
und ihres Aufnahmevermögens andererseits.
Der Münchner Trompeter Franz-David Baumann gründete 1989
das Panama-Ensemble, das auf CDs und in Konzerten Geschichten erzählt
und diese dabei musikalisch ausdeutet. Neben klassischer Ensemblemusik
gehören dabei nicht zuletzt auch zeitgenössische Kompositionstechniken
zum Repertoire. 1998 gab es für das Ensemble den Deutschen
Schallplattenpreis für Inspektor Maus: Der gewiefte
Kriminalisten-Mäuserich Inspektor Marlowe ermittelt in der
Halbwelt verrauchter Clubs und unheimlicher, verlassener Hafenviertel.
Unterstützt und begleitet wird er dabei nicht nur von seinem
Assistenten namens Watson, sondern auch von den Jazz-Kompositionen
Franz-David Baumanns. Entlang des roten Fadens einer Kriminalgeschichte
Martina Schrötter schrieb sie in Anlehnung an Bernard
Stones Inspector Mouse können Nachwuchs-Hörer
miterleben, wie Jazz-Musik die auftretenden Protagonisten charakterisiert,
Spannung verstärkt und die Schauplätze der Geschichte
vor dem geistigen Auge entstehen lässt. Kurze Instrumentalsoli
der Rockfours-Musiker, denen übrigens eine Käse-Sucht
nachgesagt wird, stellen die beteiligten Instrumente vor. Witz und
Liebe zum Detail werden hörbar, und auch wenn eine Geschichte
für 8-Jährige und Ältere durchaus noch etwas mehr
Krimi-Kitzel vertragen hätte und die Musikeinspielungen mitunter
etwas lang geraten: Ein plastischer Käse-Krimi mit eingängig-groovendem
Mäuse-Jazz schließt den Magen.
Inspirierte Tonmalerei und Stimmungsausdeutung prägen auch
zwei weitere neuere Hörspiel-Produktionen des Panama-Ensembles:
Der Rattenfänger von Hameln nach einem Kinderbuch
von Barbara Bartos-Höppner, im vergangenen Jahr ebenfalls mit
dem Deutschen Schallplattenpreis bedacht, sowie Der Trommler
nach den Gebrüdern Grimm, beide an Neugierige ab fünf
Jahren gerichtet. Klassische Ensemble-Musik, ebenfalls aus der Feder
von Franz-David Baumann, versorgt die Protagonisten mit spezifischen,
wiedererkennbaren Themen und lässt eintauchen in Stimmungen
von Geheimnisfülle und Spannung (Rattenfänger), von Tatendrang
und Wechselbädern aus Hoffnung, zwischenzeitlicher Enttäuschung
und neu erwachendem Durchhaltewillen (Trommler).
Die streckenweise recht brutale, von raubeiniger Grimmscher
Holzhammer-Pädagogik geprägte Urfassung des Trommler-Märchens
wurde von Erzähler Gregory Charamsa entschärft
und gekürzt. Vordringliche Botschaft wird die Mentalität
und Vorgehensweise des Trommlers: Mut und Liebe zu Menschen und
Musik lassen ihn bei seinem ausweglos erscheinenden Bestreben durchhalten,
drei Königstöchter aus der Gewalt der bösen Hexe
zu befreien und vor allem die notwendige Hilfe von anderen
finden, ohne die er alleine machtlos wäre. Von besonderer Kunstfertigkeit
ist bei den Produktionen die Integration freitonaler und improvisatorischer
Passagen in die ansonsten traditionelle Musik.
In ihrer Länge von rund einer Stunde, ihrem gehobenen Anspruch
an die Musik und dem Mut zu ruhigen Passagen, die ein gewisses Maß
an Zuhörer-Fähigkeiten erfordern, wirken die Panama-Produktionen
wie ein bewusstes Gegenstück zu den fortwährend flimmernden
Bilderfetzen der MTV-Ästhetik. Unterstützung kommt dabei
von der Edition Seeigel: Und der Igel schwimmt doch!
heißt die neueste Produktion aus der Reihe Klassik-Hörbücher
für Kinder. Eine Geschichte vom Anders-Sein und
vom Wachsen nennt die Edition die Geschichte von Ute Kleeberg
(Erzählung) und Uwe Stoffel (musikalische Leitung). Ein kleiner
Nachwuchs-Igel tut etwas, was für alle anderen Igel geradezu
ein Tabu ist: Er springt in den See und schwimmt.
Einzelne Erzählabschnitte kommen im Wechsel mit exquisit ausgesuchten
Klaviertrios in der Besetzung mit Klarinette und Fagott zu Gehör.
Werke von Carl Philipp Emanuel Bach, Eric Satie, Béla Bartók,
Paul Hindemith, Erich Wolfgang Korngold und anderen leisten eine
gelungene, die Fantasie anregende akustische Verdeutlichung der
vorgetragenen Handlung und ihrer Stimmungen. Erzähler Axel
Grube geht mit faszinierender und dabei unprätentiöser
Stimme und gekonntem Erzählton ebenso eindringlich zu Werke
wie die drei Musiker. Das Ergebnis ist eine Erzählung von gepflegter
Stille, die mit ihrer Vielfalt an Stimmungsnuancen und ihrem Klangfarbenreichtum
einen großen Beitrag zu sensibilisiertem Hörverhalten
leisten kann.
Kinder, so der Panama-Ensemble-Chef Franz-David Baumann,
sind das kritischste Publikum der Welt. Ein Grund
mehr, akribisch darauf zu achten, dass es ihnen nicht so ergeht
wie seinem Mäuse-Inspektor Marlowe, der, was ihn zu einem echten
Sympathieträger auch für Erwachsene macht, immer einen
etwas melancholischen Zug hat, obwohl er früher ein lebenslustiger
Jazz-Posaunist war. Doch dann fiel er durch die Aufnahmeprüfung
am Konservatorium und es kam, wie es kommen musste: Er trennte sich
von seiner Posaune und seine Freundin, die schöne Betty
Brie, verließ ihn. Und so scheint denn auch für
musikalische Hörspiele für Kinder zu gelten, dass diejenigen
am besten sind, die auch Erwachsenen gefallen.
Eike Brunhöber
Diskografie
Franz-David
Baumann, Panama-Ensemble: Inspektor Maus, Deutsche Grammophon
Junior 457 372-2 Der
Rattenfänger von Hameln, Deutsche Grammophon Junior 459 847-2 Der
Trommler, Deutsche Grammophon Junior 469 957-2 Ute
Kleeberg/Uwe Stoffel: Und der Igel schwimmt doch!, Edition Seeigel,
ISBN 3-9804507-7-5 (über den Buchhandel zu beziehen)