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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 33
50. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Ende laut, Belgien out
Die Ära Mortier endete turbulent
Was für Aufregungen: Die Fledermaus, das nationale Amüsier-Heiligtum zerrupft und zerstampft,
Hofmannsthals Ariadne eine nervlich strapazierte Trinkerin, Figaros Hochzeit zwischen
Modeschaufenstern und heutigem Outfit, Verdis Don Carlo inmitten abstrakter Gestänge
am Ende seiner zehnjährigen Salzburger Festspielintendanz wollte es Gerard Mortier noch einmal wissen:
Wie viel Regietheater verträgt das Festspielpublikum? Wer die Leserbriefspalten in den Zeitungen verfolgte,
konnte zum Schluss kommen: Am besten gar keines. Das würde bedeuten: Mortiers Salzburger Arbeit wäre
umsonst gewesen. Doch diese Schlussfolgerung ist auch nicht richtig. Sogar in der Fledermaus verstummten
von der dritten Vorstellung an die Buh-Rufer weitestgehend.
Was war geschehen? Jedem auch nur halbwegs Informierten war klar, dass Mortiers Fledermaus-Team
mit dem Regisseur Hans Neuenfels, dem Bühnen- und Kostümbildner Reinhard von der Thannen und dem Dirigenten
Marc Minkowski keine artige Operette auf die Bühne der Felsenreitschule stellen würden. Palimpsest
hießt das Stichwort: Der scheinbar heiteren Fassade des bürgerlichen Heldenlebens, das
sich vorwiegend in Seitensprüngen und kleinen Gemeinheiten präsentiert, wurde die Maske vom Gesicht
gerissen und zum Vorschein kam die grässliche Realität, die mit dem Amüsiertheater nur versteckt
werden sollte. Unmöglich aufzuzählen, was Neuenfels dazu alles einfiel: Seine Fledermaus
verschwindet förmlich in den Letzten Tagen der Menschheit, dem grandiosen Gesellschaftspanorama
des Karl Kraus, Musils Mann ohne Eigenschaften scheint hereinzugeistern, und die Figuren der Handlung,
diese aufgedrehten kleinen Mittelstandsbürger à la Eisenstein ist das nicht jene dumpfige
Schicht, aus der sich später das Personal des Nationalsozialismus rekrutierte, die freiwilligen Parteigenossen,
die manchmal, wie hier Eisenstein, zum Reichsmarschall in weißer Paradeuniform avancierten,
natürlich nur für einen Kostümball, aber wer weiß?
Die lustigen Weiber von Marthaler: Angela Denoke (Gräfin, rechts),
Christiane Oelze (links als Susanna) beschäftigen sich mit Cherubino Christine Schäfer.
Szene aus Marthalers Figaro-Inszenierung in Salzburg. Foto: Charlotte Oswald
Das Verfahren, klassische, populäre Operetten, wie heißt es immer: Aufzubrechen, ihren Zeithintergrund
und ihre Wirkungsgeschichte mit zu inszenieren, ist nicht neu. Béjart schickte schon in den sechziger
Jahren Lehárs Lustige Witwe, Hitlers Lieblingsoperette, in den Ersten Weltkrieg, garnierte
in Brüssel die Fledermaus mit Graf Dracula, der der Gesellschaft das Blut absaugt. Harry Kupfer
transportierte die Witwe zeitlich noch weiter nach vorn, ins Ufa-Kino des Dritten Reiches, und Peter
Konwitschny, das ist noch frische Erinnerung, ließ letzte Spielzeit die Csárdásfürstin
mit einem kopflosen Soldaten im Schützengraben tanzen.
atürlich liegt über Kálmáns Musik eine zarte Schwermut und Melancholie, so als ob er
durch seine Figuren spüren lassen wollte, wie ihn der Ausbruch des Ersten Weltkrieges deprimierte.
Aber Konwitschny übersah dabei, ebenso wie Neuenfels jetzt in Salzburg, dass selbst die besten Operetten
in ihrer Musik und szenischen Konstruktion zu fragil und im Ausrucksradius zu begrenzt sind, um Menschheits-
und Zeitpanoramen standzuhalten. So bleibt nur die Zerstörung, die sich selbst genügt. Das Unternehmen
leistet so nicht einmal das, was man eine Denunziation nennen könnte, und die Musik spielt keine gravierende
Rolle mehr, läuft halt so mit und nebenher, quasi als Erinnerungsposten, wie in einer Bilanz.
Immerhin bewirkte die Aufführung in den Medien den Ausbruch alter Hassgefühle: Mortier wurde wieder
als Belgier apostrophiert, was als ärgster Schimpf gedacht ist. Es sind dieselben Leute, die
in der Fledermaus von Neuenfels aus der Operette in die Wirklichkeit überführt werden:
So gesehen funktioniert die Aufführung, bei aller Problematik ihrer Dramaturgie, auch entlarvend: Theater
als Enthemmer. Man kann das als eine eigene Qualität nehmen.
Die Empörung des Publikums hielt sich bei den beiden anderen Hauptärgernissen im Vergleich zum Fledermaus-Tumult
in überschaubaren Grenzen. Christoph Marthalers Le nozze di Figaro-Inszenierung verordnet der
Oper die ästhetischen Merkmale des Regie-Tandems Marthaler/ Anna Viebrock. Figaros Hochzeit findet heute
statt, zwischen Schaufenstern, in denen Hochzeitskkleider ausgestellt sind, vor der Pförtnerloge des Standesamtes
und den Türen für H und D. Über der Szene, auf schmalen Brettern, hütet ein alter Musiker
seine Schafe, steht ein ausrangiertes Cembalo auch das ein Erinnerungswert an arkadische Zeiten. Zu den
Rezitativen steigt der alter Schäfer herab, spendiert Klänge von Keyboard oder Gläsern , während
um ihn herum die Liebe zur Ware degeneriert. Marthaler spielt gleich Figaro lässt sich scheiden
mit, so hoffnungslos ist alles. Dazwischen wird auch gealbert, wenn die Damen Gräfin und Susanna dem putzigen
Cherubino an die Wäsche gehen. Marthaler jongliert mit Handlung, Personen und Versatzstücken in bewährter
Manier, sehr musikalisch und präzis in Abläufen und Gesten, doch hängt die einstmals feudale
Geschichte doch irgendwie wie ein abstraktes Handlungsmobile gleichsam in der Luft, die auch durch die Musik
(Sylvain Cambreling mit der Camerata Salzburg) keine festere Konsistenz gewinnt.
Ambitioniert auch die dritte neue Premiere: Ariadne auf Naxos von Richard Strauss. Jossi Wieler
und Sergio Morabito als Regisseur und Dramaturg putzten sich zum Lesen von Libretto und Noten die Augen und
siehe da, sie wurden fündig: Die leichtfertige Zerbinetta ist nicht länger die Repräsentantin
der Opera buffa, die die trauernde Seria-Singstatue Ariadne aufzuheitern versucht, sie ist vielmehr Schwester,
Alter ego, Kumpel für die todessüchtige Heroine, die sich in einer Nervenheilanstalt, deren Ausstaffierung
durch Anna Viebrock täuschende Ähnlichkeit mit Direktionsetage und Foyers des Festspielhauses suggeriert,
gleichmäßig ins Jenseits zu trinken bemüht. Am Schluss geht sie allein seitwärts die Treppe
ins Unsichtbare hinunter, während der Tenor Bacchus der Tänzerin Zerbinetta durch die Tür im
Hintergrund nachzusteigen scheint. Aus dem personifizierten Formenspiel mit tradierten Operntypen bei Strauss
und Hofmannsthal wird hier ein analytisches Psycho-Drama, in dem die Dramatis personae stärker individualisiert
erscheinen als sonst. Das ist als Interpretation immerhin plausibel, zumal das Konzept in dieser Aufführung
durch die vokale Besetzung legitimiert wird: Deborah Polaski als Ariadne, die virtuose, spielgewandte Natalie
Dessay als Zerbinetta, die großartige Susan Graham als Komponist und der zuverlässig strahlende Jon
Villars als Bacchus, dazu die fulminant aufspielenden Wiener Philharmoniker unter Christoph von Dohnanyi
das besaß absolutes Festspielformat. Publikumsreaktion: Jubel für die Musik, heftige Teil-Ablehnung
für die Inszenierung. Auch spontane Reaktionen können zu Ritualen erstarren.
Ruhiger verlief die Adaption der anderen Inszenierungen: Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk
verlor in Peter Mussbachs Darstellung weitgehend das Grelle, Groteske, Schockierende, stimmte mehr einen großen
Klagelaut an: Wie die Menschen das Leben verlieren: Lebendige Tote sind alle und die Toten scheinen noch das
bessere Los getroffen zu haben. Valery Gergiev ließ die Wiener Philharmoniker mächtig aufspielen,
sonor und auch markant, doch fehlten auch der Musik manchmal die schärferen Kontraste. Janáceks
Jenufa in der Felsenreitschule, vom amerikanischen Filmregisseur Bob Swaim übersichtlichen
in großen realistischen Szenen und Bildern inszeniert, besaß in Karita Mattila in der Titelpartie
und Hildegard Behrens als Küsterin vokale Zentren, während John Eliot Gardiner Janáceks Musik
zu einer weichgetönten Klanglandschaft einebnete, wovor ihn auch die Mitwirkung der Tschechischen Philharmonie
nicht bewahren konnte.
Nimmt man noch die Wiederaufnahmen von Mozarts Cosi fan tutte in der virtuosen, intelligenten
Inszenierung von Hans Neuenfels (brillant die Wiener Philharmoniker unter Lothar Zagrosek) und Verdis großbesetzten
Don Carlo in Herbert Wernickes Inszenierung (mit Neil Shicoff als Carlo und Thomas Hampson als Rodrigo)
sowie Verdis doch arg biederen, von den Osterfestspielen übernommenen Falstaff hinzu (Regie:
Declan Donnellan, Maazel mit den Wiener Philharmonikern, Bryn Terfel in der Titelpartie), dann ergibt sich in
der Summe ein recht buntscheckiges Opern-Bild für Mortiers letzte Saison in Salzburg, buntscheckig nicht
allein in den szenischen und musikalischen Handschriften, sondern auch in der Qualität der Produktionen.
Oper live birgt immer auch ein Risiko. Dass Mortier in seiner Zeit in Salzburg dieses Risiko nie gescheut hat,
macht eine seiner persönlichen Qualitäten aus.
Gerhard Rohde
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