Gewiss doch: am 11. September ließ eine Bande ruchloser Terroristen mithilfe amerikanischer Flugzeuge
das hehre Gebäude, den Stolz der Nation, in Flammen aufgehen, und noch am gleichen Tage betrauerte das
Volk viel Tausende Tote. Denen sollten in kurzer Zeit noch Zehntausende folgen. Der Anführer der Terroristen-Bande
hieß Augusto Pinochet. Tatort: Santiago de Chile, 1973.
So mag denn jeder Mensch, selbst jeder Komponist seinen eigenen Moment der Apokalypse erlebt haben: Coventry,
Rotterdam, Dresden, Hiroshima, Pjöngjang oder Hanoi in Schutt und Asche, Millionen Tote. An solchen Momenten
ist das barbarischste aller Jahrhunderte überreich gewesen, und es ist schwierig auszumachen, ob einer
von ihnen eine welthistorische Zäsur war. Selbst der Schlacht im Teutoburger Wald vor nahezu
2.000 Jahren wurde erst im 19. Jahrhundert welthistorische Ehre zuteil. Das römische Imperium, dem amerikanischen
in vieler Hinsicht so ähnlich, dauerte noch Jahrhunderte fort.
Wie grauenhaft auch die Zeitläufte, sie sind kein Anlass zur Selbststilisierung. Wie wir uns
im freien Fall, in Sekundenschnelle und vor den Augen von Milliarden befinden, haben diese Milliarden
ebenso wenig wahrgenommen wie unsere Musik. Schon der Appell ans (Komponisten-)Wir ist der ebenso
linkische wie gefährliche Versuch, einen äußeren Anlass zur Konstituierung einer ästhetischen
Kollektivität zu missbrauchen, die ein Widerspruch ist, den keine entwickelte Musik ertragen kann.
Hüter und Hirten hat dieses fiktive, von Mahnkopf gebetsmühlenhaft beschworene Wir schon
gar nicht nötig. Vor allem die Hirten nicht, die angesichts der Genialität des Bösen
auch noch vor dessen vermeintlicher technischer Perfektion erstarren: Mit Hitlers (übrigens von amerikanischen
IBM-Maschinen!) bis ins kleinste Detail geplanter reibungsfreier Tötungsmechanik lässt
sich der Kamikaze-Terror gegen die Twin Towers wahrhaftig nicht vergleichen, es sei denn, man hätte von
technischer Logistik nicht die geringste Ahnung.
Wo solche Ahnungslosigkeit in eine Sentimentalität umschlägt, die einer Courths-Mahler wohl angestanden
hätte, wird sie schier unerträglich. Dass Russland der Nato beitreten will: die Tschetschenen
jauchzen vor Freude, dass die arabische Welt wachsam wird, wissen deren Historiker schon seit hundert
Jahren, dass Indien und Pakistan beginnen, miteinander zu sprechen sehen wir tagtäglich in
den Medien, wo sie einander zur Sau machen, und angesichts dieses Puppentheaters soll die Menschheit nun lernen
Ideologien zu überwinden und zu einem Gleichgewicht der Kulturen zu finden, in dem wir uns
alle wohlig kuscheln können, auch das hoffentlich nicht mehr so hungernde Afrika. Propheten
solch mystischer Einswerdung hatte der arabische Philosoph al-Farabi schon vor 1.000 Jahren des Altweibergewäschs
geziehen. Mit seinen New-Age-Visionen haut Mahnkopf genau in die Kerbe der von ihm so beargwöhnten Postmoderne,
doch lässt sein arbiträrer Entschluss, dass sich seine Musik jetzt erst recht ändern muss
auf jene ästhetische Orientierungslosigkeit schließen, die das Wesen der Postmoderne ist. Glücklich
der Komponist, der sich Mahnkopfs postuliertem Wir beharrlich verschließt. Musik, die ihr
Ich noch nicht einmal stammeln kann, sollte vom Wir geflissentlich schweigen.