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nmz 2001/12 | Seite 12
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Forum

Wo Ahnungslosigkeit zur Sentimentalität wird

Zum Artikel „Das abrupte Ende einer trügerischen Siesta“, nmz 11/01, Seite 5

Gewiss doch: am 11. September ließ eine Bande ruchloser Terroristen mithilfe amerikanischer Flugzeuge das hehre Gebäude, den Stolz der Nation, in Flammen aufgehen, und noch am gleichen Tage betrauerte das Volk viel Tausende Tote. Denen sollten in kurzer Zeit noch Zehntausende folgen. Der Anführer der Terroristen-Bande hieß Augusto Pinochet. Tatort: Santiago de Chile, 1973.

So mag denn jeder Mensch, selbst jeder Komponist seinen eigenen Moment der Apokalypse erlebt haben: Coventry, Rotterdam, Dresden, Hiroshima, Pjöngjang oder Hanoi in Schutt und Asche, Millionen Tote. An solchen Momenten ist das barbarischste aller Jahrhunderte überreich gewesen, und es ist schwierig auszumachen, ob einer von ihnen eine „welthistorische Zäsur“ war. Selbst der Schlacht im Teutoburger Wald vor nahezu 2.000 Jahren wurde erst im 19. Jahrhundert welthistorische Ehre zuteil. Das römische Imperium, dem amerikanischen in vieler Hinsicht so ähnlich, dauerte noch Jahrhunderte fort.
Wie grauenhaft auch die Zeitläufte, sie sind kein Anlass zur Selbststilisierung. Wie „wir“ uns „im freien Fall, in Sekundenschnelle und vor den Augen von Milliarden“ befinden, haben diese „Milliarden“ ebenso wenig wahrgenommen wie unsere Musik. Schon der Appell ans (Komponisten-)„Wir“ ist der ebenso linkische wie gefährliche Versuch, einen äußeren Anlass zur Konstituierung einer ästhetischen Kollektivität zu missbrauchen, die ein Widerspruch ist, den keine entwickelte Musik ertragen kann.

Hüter und Hirten hat dieses fiktive, von Mahnkopf gebetsmühlenhaft beschworene „Wir“ schon gar nicht nötig. Vor allem die Hirten nicht, die angesichts der „Genialität“ des Bösen auch noch vor dessen vermeintlicher technischer Perfektion erstarren: Mit Hitlers (übrigens von amerikanischen IBM-Maschinen!) bis ins kleinste Detail geplanter „reibungsfreier Tötungsmechanik“ lässt sich der Kamikaze-Terror gegen die Twin Towers wahrhaftig nicht vergleichen, es sei denn, man hätte von technischer Logistik nicht die geringste Ahnung.

Wo solche Ahnungslosigkeit in eine Sentimentalität umschlägt, die einer Courths-Mahler wohl angestanden hätte, wird sie schier unerträglich. Dass Russland der „Nato beitreten“ will: die Tschetschenen jauchzen vor Freude, dass die „arabische Welt wachsam“ wird, wissen deren Historiker schon seit hundert Jahren, dass „Indien und Pakistan beginnen, miteinander zu sprechen“ sehen wir tagtäglich in den Medien, wo sie einander zur Sau machen, und angesichts dieses Puppentheaters soll die Menschheit nun lernen „Ideologien zu überwinden und zu einem Gleichgewicht der Kulturen zu finden“, in dem wir uns alle wohlig kuscheln können, auch das „hoffentlich nicht mehr so hungernde Afrika“. Propheten solch mystischer Einswerdung hatte der arabische Philosoph al-Farabi schon vor 1.000 Jahren des „Altweibergewäschs“ geziehen. Mit seinen New-Age-Visionen haut Mahnkopf genau in die Kerbe der von ihm so beargwöhnten „Postmoderne“, doch lässt sein arbiträrer Entschluss, dass sich seine „Musik jetzt erst recht ändern muss“ auf jene ästhetische Orientierungslosigkeit schließen, die das Wesen der Postmoderne ist. Glücklich der Komponist, der sich Mahnkopfs postuliertem „Wir“ beharrlich verschließt. Musik, die ihr „Ich“ noch nicht einmal stammeln kann, sollte vom „Wir“ geflissentlich schweigen.

Konrad Boehmer, Amsterdam

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