Mit Erstaunen muss registriert werden, dass nicht nur in den Boulevard-Magazinen Stern oder Focus
unreflektiert die Ereignisse vom 11. September 2001 in New York mit der Tötungsmaschinerie des 3. Reichs
in Zusammenhang gebracht werden, sondern nun auch in der nmz von einem Komponisten, der von den Printmedien
gerne gefragt werden wollte, was er zu dem Terroranschlag zu sagen hat. Es erübrigt sich, auf die Haltlosigkeit
dieses Vergleichs näher einzugehen, doch sollte auf den Schaden hingewiesen werden, den Komponisten vom
Schlage Mahnkopfs mit derartigen Äußerungen anrichten können; Mahnkopf hat es in seinem Artikel
treffend formuliert: Eine ganze Musikszene, deren Beitrag zur allgemeinen Kultur seit den 70er-Jahren
stetig sinkt, wird in Verruf gebracht. Damit waren jedoch Stockhausens Äußerungen zum 11. September
2001 gemeint, wider Willen hat sich Mahnkopf ebenfalls in Verruf gebracht.
Mir drängt sich das Bild von Viktor Ullmann auf, der in Theresienstadt wirklich unsäglich gelitten
haben muss, der wirklich an der absolut untersten Existenzgrenze künstlerisch tätig war und irgendwie
auf die alltägliche Bedrohung reagieren musste, dem das Komponieren vielleicht überhaupt das Leben
ermöglicht hat und der keine Möglichkeit hatte, sich politisch konkret zu äußern. Dieses
Bild steht über Mahnkopfs selbstgefälligem und schlagzeilenhaften Aufruf zur Politisierung der Neuen
Musik und verweigert sich in jeder Hinsicht dem von ihm gewünschten Zusammenhang mit dem Terroranschlag
vom 11. September 2001.
Der Autor hat sich mit seinem hybriden Vergleich als Intellektueller disqualifiziert und man fragt sich, wen
es eigentlich interessiert, was Mahnkopf noch so denkt. Die Klientel der Musiker, Musikpädagogen, Musikwissen-schaftler
et cetera, die die nmz regelmäßig lesen und nunmehr in ihrer politischen Passivität durch einen
solchen Artikel rehabilitiert werden? Mahnkopfs Ansinnen, die Ansichten der Künstler in der
Presse zu vertreten ist anmaßend und entmündigend zugleich, zumal er sich einklingt in die massive
Kritiklosigkeit der Boulevardpresse gegenüber der israelischen Kolonialisierungspolitik Scharon lernt...
und die ewigen Lobpreisungen des besonnenen Verhaltens der Amerikaner: Nicht zuletzt lernt
Amerika....
Und was lernt Claus-Steffen Mahnkopf? Er spürt, dass sich seine Musik ... jetzt erst recht ändern
müsse, dass die Komponisten von unserer angemaßt privilegierten Position, immer anders
zu denken, Abstand nehmen, um sich wieder der Realität anzunähern.... Ganz abgesehen davon,
dass Mahnkopf sich hier völlig unverständlich als Stellvertreter für die Ansichten der Künstler
darstellt, ist zu fragen, warum nicht bereits während des Golfkrieges oder der Angriffe Amerikas auf Libyen
die Komponisten ihre privilegierte Position hätten verlassen müssen? Weil, wie Mahnkopf
schreibt, nunmehr ökonomisch brisantere Zeiten vor uns liegen. Der Autor glaubt doch nicht
im Ernst, dass es für jemand anderen außer dem afghanischen Volk, dessen ökonomische Situation
wahrscheinlich schon immer brüchig war, ökonomisch brisant werden würde! Zieht
man jedoch seinen Vergleich zum Nazireich in Betracht, so wird plötzlich klar, wo der Ursprung für
Mahnkopfs eurozentrische Fantasien liegt. Wenn es sich hierbei um den kulturellen Diskurs handelt,
von dem laut Mahnkopf das weitere politische Handeln abhängt, dann ist zu empfehlen, dass sich
heraus- und zurückgehalten wird mit derartigen Meinungsäußerungen.
Genmanipulation, Paranoia der Gegenwart, radikale Unsicherheit gegenüber der Zukunft sollen
die Themen der Neuen Musik werden. Komponisten als Demonstranten gegen die Zivilisationsriten der westlichen
Welt? Dann bitte aber auch als Verfechter der Völkerverständigung, als Historiker mit Spezialgebieten
wie etwa der Geschichte der Säkularisierung im Christentum und deren Einfluss auf den Islam, als Philosophen
und so weiter. Mahnkopf hat die Bodenhaftung verloren und hält dem mehrdimensionalen politischen und historischen
Diskurs, der nach dem 11. September stattfindet, nicht stand.
Das verlangt auch niemand. Aber wenn man sich anbietet, eine dermaßen komplexe Aufgabe zu übernehmen,
für die Künstler zu sprechen, die Wissen, Integrität und Weitsicht verlangt, dann
kann erwartet werden, dass man dieser Komplexität und Weitsicht auch gerecht wird.
Mahnkopfs zweifelhafter Mut, seine einfache und unbekümmerte Weltsicht zu publizieren, legt den Verdacht
nahe, dass er sich im Schutze einer Fachzeitschrift in Sicherheit wähnt und Hinterfragung nicht zu fürchten
hat. Um so bedenklicher wäre es, wenn eine seriöse Wochen- oder Tageszeitung seinem voreiligen Angebot
nachgekommen wäre; sowohl für die Zeitung, als auch für Mahnkopf.