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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 37
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Musik in Städten
Dem Charme der Historie diskret zu Leibe rücken
Zum kulturellen Selbstverständnis Regensburgs in Zeiten beachtlicher Investitionen
Als die Spielzeitübersicht 2001/2002 in Umlauf kam, war es niemandem so recht aufgefallen, doch als es
die Lokalpresse zum Thema machte, regte sich Widerstand: Im Sitzplan des nach mehrjähriger Sanierung am
7. Dezember zur Wiedereröffnung bereiten Theaters am Bismarckplatz hieß die zentrale Repräsentierloge
nicht mehr Fürstenloge, sondern Bürgerloge. Eine Entscheidung von höchster
Stelle, hieß es (vom Oberbürgermeister selbst also), doch das war den Regensburgern dann doch des
Bürgerlichen zu viel. Inzwischen darf sie wieder beim alten Namen genannt werden, so wie einst, als das
Haus Thurn und Taxis die Plätze tatsächlich noch fest gemietet hatte und so seinen traditionellen
Beitrag zur Stadtkultur leistete.
Balsam fürs städtische Kulturbewusstsein: Das klassizistische
Theater verströmt nach der Renovierung wieder seinen herrschaftlichen Glanz. Foto: Peter Ferstl
Wie bei anderen neuralgischen Punkten städtischen Selbstverständnisses dürfte auch hier die
Grenze zwischen bloß nostalgischer Rückbesinnung und mehr oberpfälzisch sturem denn anarchisch
aufmüpfigem Ungehorsam schwer zu ziehen sein. So wie der Regensburger sich von seinem schwarzen OB nicht
den Ort der eines Tages wohl doch unvermeidlichen Stadthalle vorschreiben lässt, so reagiert er auch auf
demokratisch weniger direkt beeinflussbare Autoritäten empfindlich, wenn es an lieb gewonnene Traditionen
geht.
So wird die Feierstimmung angesichts des in Zeiten knapper Kulturkassen durchaus respektablen Kraftakts einer
über 50 Millionen Mark teuren Theater-Renovierung getrübt durch einen Intendantenwechsel, der sich
(wie in der Branche durchaus üblich) alles andere als nahtlos vollziehen wird. Denn der als Nachfolger
der seit 14 Jahren tätigen Marietheres List designierte Ernö Weil hat nicht nur weiten Teilen des
Balletts samt Chef, der Dramaturgie, sondern bis auf fünf Auserwählten auch dem Sängerensemble
gekündigt, beziehungsweise die Verträge nicht über die laufende Saison hinaus verlängert.
Die öffentliche Erregung darüber geriet angesichts der Kommunalwahlen im kommenden Frühjahr schnell
in politische Fahrwasser, so dass es dem derzeit in Pforzheim wirkenden Weil ein Leichtes war, das Ganze als
Sturm im Wasserglas abzutun, der auf Unkenntnis beruhe. Bei Amtsantritt zur nächsten Spielzeit
wird es für ihn also zunächst einmal darum gehen, die Verhältnisse nach innen und außen
wieder in konstruktive Bahnen zu lenken und dann mit inhaltlichen Schwerpunkten den Blick aufs Wesentliche,
die künstlerische Arbeit zurückzulenken. Dass Weil als Opernregisseur mindestens eine, maximal sogar
drei Produktionen pro Saison leiten wird, birgt neben der Gefahr einer Monokultur vielleicht auch die Chance,
den Musiktheaterinszenierungen das Profil zu geben, das man in der Ära List bisweilen schmerzlich vermisste.
Einer Ära, die jüngst vor allem von der erfolgreich in Besitz genommenen Ausweichspielstätte
Velodrom geprägt war, gelang es doch, ein neues, jüngeres Publikum aufs Theater neugierig
zu machen und in den durch bürgerliches Engagement und Mäzenatentum vor dem Verfall geretteten einstigen
Varieté-Tempel zu locken.
Als zusätzlicher Spielort bleibt das Velodrom dem seit zwei Jahren als kommunalem Unternehmen wirtschaftenden
Theater Regensburg erhalten und somit auch dem Philharmonischen Orchester, das im klassizis-tischen
Neuhaussaal zwar ebenfalls sein angestammtes Areal zurückerhält, dort aber aus Gründen des Platzes
und der Akustik großdimensionierte Sinfonik kaum präsentieren kann. Im Zuge des Aufstiegs zum B-Orchester
(freilich ohne die entsprechende Stellenaufstockung) und der deutlichen Verjüngung ist in den letzten Jahren
eine Qualitätssteigerung zu verzeichnen, die hoffen lässt, dass der heimische Klangkörper noch
stärker ins öffentliche Bewusstsein rückt. GMD Guido Johannes Rumstadt jedenfalls versteht es,
durch Untermischung der Programme mit manch Rarem und Zeitgenössischen (wie auf kammermusikalischer Seite
auch der traditionsreiche Musikverein) ein willkommenes Gegengewicht zum Klassik-Karussell zu präsentieren,
auf das die beiden großen Konzertreihen im Audimax der Universität ihr Klientel Jahr für Jahr
aufspringen lassen.
Doch wie weit lässt sich der Regensburger Kulturmensch überhaupt von den Hauptstraßen des Repertoires
weglocken? Können die mittelalterlich verwinkelten Gassen der Altstadt hier als Metapher für eine
weit verzweigte Neugier herhalten? Auf den Versuch käme es an, und so fehlt es auch nicht an Initiativen
kreativer Beweger, einer solchen Neugier erfolgreich Vorschub zu leisten. Die Kurzfilmwoche, die in diesen Tagen
beinahe vom Kulturstaatsminister persönlich eröffnet worden wäre, oder die in den vergangenen
Jahren zunehmend sich profilierenden Tanztage wären ebenso zu nennen wie das überregional wohl bedeutendste
Festival, die Tage Alter Musik mit ihren faszinierenden Programmen und den oft wegweisenden Europa-Debüts
von Ensembles aus Übersee.
Die vierte wichtige Kulturveranstaltung, das Bayerische Jazzweekend, kann als Fallbeispiel für eine konzeptionell
gelungene, im städtischen Kontext aber durchaus nicht ungefährdete Regensburger Initiative dienen.
Vor über 20 Jahren eher aus der Not geboren (die Chance das Festival, das heute in Burghausen stattfindet,
in Regensburg zu etablieren, scheiterte an seinerzeit wenig visionären Kulturbeamten), klingt die Idee
heute vollkommen einleuchtend: Anstelle einer Hand voll herumtingelnder Stars wollte man lieber einer möglichst
großen Zahl von Amateur- und Nachwuchsjazzern ein Podium bieten. Als mittlerweile über die Region
weit hinausweisende Veranstaltung hat das Weekend aber damit zu kämpfen, das die finanzielle Ausstattung
seitens der Stadt (50.000 Mark) nur eine symbolische Aufwandsentschädigung für die etwa 500 Musiker
erlaubt, die alljährlich die Plätze und Hinterhöfe der Altstadt beschallen. Die Einbeziehung
europäischer Nachbarländer, die mithilfe von Sponsoren in diesem Jahr erstmals erkennbares Profil
gewonnen hat, wird sich so auf Dauer wohl kaum etablieren können. Auch organisatorisch müsste das
Festival längst eine über das größtenteils ehrenamtlich geleistete Engagement durch Richard
Wiedamann und das Bayerische Jazzinstitut sowie den Jazzclub hinausgehende Verankerung im städtischen Kulturmanagement
erfahren.
Dort stehen die Zeichen aber eher auf einer möglichst breit gestreuten Verteilung eher bescheidener Mittel,
aus der aber immerhin die beachtliche Unterstützung herausragt, die das für Probenräume und Künstlerateliers
sowie als Veranstaltungsort im Rock-, Pop- und Jazzbereich genutzte Kulturzentrum Alte Mälzerei
erfährt. Die 250.000 Mark allerdings, die für den einfallslosen Regensburger Kultursommer
locker gemacht werden, zeigen, dass in den Köpfen städtischer Kulturpolitik noch immer das Streben
nach touristischer Attraktion das Entwickeln eigenständiger Ideen überlagert. Ob das historische Freiluft-Ambiente
allerdings ausreicht, um mit Justus Frantz Philharmonie der Nationen oder einem Aida-Spektakel vom Regensburger
Theater überregionales Interesse auf Dauer zu wecken, bleibt die Frage. Insofern relativiert sich ein Stück
weit auch der Anteil von 6,2 Prozent, den die Kultur im Gesamtetat der Stadt ausmacht.
Die spartenübergreifenden Themenschwerpunkte, die Kulturreferent Klemens Unger über jeweils ein Jahr
gespannt sehen will (2002: Mensch und Mittelalter; 2003: Regensburg und das 19. Jahrhundert), zeugen ebenfalls
eher von einem auf den diskreten Charme der Historie setzenden Kulturbegriff als vom High-Tech-Standort, den
man mit Blick auf BMW, Toshiba, Siemens und die Regensburger Hochschulen gerne beschwört. Letztere erfahren
mit dem Aufstieg der einstigen Fachakademie für katholische Kirchenmusik und Musikerziehung zur Hochschule
eine bedeutende Erweiterung des Potenzials und es ist zu hoffen, dass universitäre Musikwissenschaft und
-pädagogik die Chancen der Kooperation für eine verstärkte Präsenz ins städtische Kulturleben
hinein nutzen. Dieses setzt sich, abseits der Großveranstaltungen, natürlich aus den unterschiedlichsten
Mosaiksteinen zusammen, von denen neben vielen anderen unter musikalischen Gesichtspunkten die reiche Chorszene,
auf Ausbildungsseite die städtische sowie private Musikschulen und als berühmtester Exportartikel
natürlich die Domspatzen ihren wichtigen und mit großer Publikumsresonanz begleiteten Beitrag leisten.
Und letztere zehren ja auch nicht nur von vergangenem Ruhm...