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nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 36
51. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Mausetot?
Zur Diskussion über alte Neue Musik
Die Debatten über den Protest von Thomas Christoph Heyde und Péter Köszeghy gegen Strukturen
heutiger Festivals Neuer Musik (siehe nmz 12/01 01/02 und 2/02) scheinen noch nicht erschöpft. Beim
Stuttgarter Éclat-Festival wurde spontan eine Gesprächsrunde zum Thema arrangiert (unser
Bild, Bericht über das Festival auf den Seiten 33/34), in der Zeitschrift Musik Texte setzte
sich Reinhard Oehlschlägel äußerst kritisch mit den Argumenten der beiden Protest-Autoren auseinander.
Zu beiden Anlässen nehmen Köszeghy und Heyde im Folgenden noch einmal Stellung. Wir bringen ihren
Text in Auszügen.
Die so genannte Neue Musik ist Vergangenheit. Eine Epoche geht langsam aber sicher zu Ende,
ist vielleicht schon zu Ende... Deswegen distanzieren wir uns von dieser so genannten Neuen Musik.
Sie ist tot, ist Vergangenheit... Wir gehen kontinuierlich in die nächste Epoche. Ähnlich wie Schönberg
seine Dodekaphonie gegenüber Institutionen der damaligen Zeit und gegenüber dem Publikum verteidigte
(wobei er es leichter hatte: das Streitobjekt war objektiver nureine Kompositionstechnik,
die neu war; seine Komponistenseele blieb im romantischen Ausdruck stecken), möchte ich die Innovation
der Musik des 21. Jahrhunderts verteidigen gegen die Schlafgeister der alten Neuen Musik.
Unsere Zeit ist, bezogen auf die Kompositionsproblematik, ähnlich der Zeit Ende des 19. und Anfang des
20. Jahrhunderts. Damals komponierten sicherlich auch viele Komponisten im Stil von Richard Strauss, Wagner
und anderen richtungsweisenden Komponisten, das heißt genauer: sie versuchten so zu komponieren. Das Ergebnis
davon war: die Komponisten arbeiteten mit toter Materie. Der einzige, der diese Musik-Suppe
durchbrochen hatte, war Schönberg und er hatte ja, wie man weiß, auch viel Ärger mit
der Alt-Herren-Riege.
So wie in diesem postromantischen Zeitalter die Epochen beziehungsweise Standpunkte der Komponisten zum geschriebenen
Werk aufeinander prallten, so ist der jetzige Übergang ebenfalls Zusammenprall und gleichzeitig fließend
ohne konkrete Stunde Null. Die ältere Generation merkt entweder nichts oder, wenn sie
Bewegung wahrnimmt, ist sie beleidigt oder verärgert, weil sie damit ihre eigene Endlichkeit wahrnehmen
muss Alle, die diese Art der Neuen Musik noch als lebendig betrachten, alle, die diese Bezeichnung
noch für nötig halten, bleiben in der Tradition dieser Musik stecken wie damals in der Übergangszeit
nach der Romantik viele Vertreter der älteren Komponisten-Generation, die diese Gratwanderung nicht wahrnehmen
wollten. Diese antiquierte Neue Musik, die keine Innovation mehr zeigt, sondern im Kreis persönlicher Interessen
in ihrer eigenen Struktur stecken geblieben ist, ist gefangen in sich selbst: in diesem politisch so korrekten
Komponistenverhalten und durch dieses Verhalten gegenüber der Musik verrinnen die letzten Atemzüge
dieses Zeit-Musik-Körpers
Und ähnlich, wie in der Utopie von Mahnkopf (Kritik der Neuen Musik - Eine Streitschrift,
Bärenreiter Verlag) eine neue Epoche (die Musik des 21. Jahrhunderts) beschrieben wird, werden wir
und alle jene Komponisten, die das antiquierte System nicht bedienen wollen, nach etwas Grenzüberschreitendem
suchen, die Inhalte zu bieten haben, die beim Komponieren Verantwortung gegenüber jeder Note haben und
nicht Modeerscheinungen folgen, die sich nicht durch die Auftrags- und Festivalpolitik der Neue-Musik-Herren
ablenken lassen in diesen Weg der Musik des 21. Jahrhunderts einbiegen und auf diesem Wege voranschreiten
und dabei schmunzelnd den Untergang der Neuen Musik und deren meisten Vertreter betrachten.