[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 37
51. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Idyllische Obertonlandschaften
Schneid-Uraufführung mit Siegfried Palm in München
Das Münchner Rodin-Quartett veranstaltet im Max-Joseph-Saal der Residenz seine eigene Kammermusikreihe.
Wenn große Veranstalter keinen Platz mehr in ihren Abo-Zyklen für ein Streichquartett der nicht allerersten
Reihe des internationalen Musikgeschäfts haben, dann muss man sich sein Publikum eben legitimerweise selbst
rekrutieren. Auch bei den Ro-dins, die immerhin seit 1993 in der jetzigen Besetzung zusammen konzertieren, geht
das bislang nicht ohne Kompromisse mit dem vermeintlich extra-konservativen Geschmack des Kammermusikpublikums
ab. Alle Musik nach Brahms scheint in den fünf Münchner Konzertterminen dieser Saison verpönt
mit der Ausnahme von Schostakowitsch, worüber man sich an geeigneter Stelle einmal Gedanken machen
sollte. Das Rodin-Quartett hat in den letzten Jahren vor allem durch sein Interesse am Quartett und Kammermusikschaffen
der Musikerfamilie Lachner Verdienste erworben. Neben den Quartetten des mächtigen Münchner Generalmusikdirektors
und Schubert-Jugendfreunds Franz Lachner waren auch die von Bruder Ignaz zu entdecken.
Jede Regel verträgt aber auch einmal eine Ausnahm: Die Rodins hatten zum zweiten Termin der Saison
Cello-Doyen Siegfried Palm unter dem Motto Schubertiade eingeladen. Palm war es, der quasi jedem
namhaften Komponisten der 60er- und 70er-Jahre Werke fürs Cello abverlangt hat. Als Cellist brachte er
es gar harsch kritisierte Jahre auf den Intendantenstuhl der Deutschen Oper Berlin. Der einst mächtige
Mann ist erschütternd alt geworden. Beugte sich Palm einst kraftstrotzend übers Griffbrett, um dem
Instrument alle das schöngeistige Publikum so verstörende neuen Spieltechniken zu entlocken, so lugt
er nun allenfalls listig hinter diesem Versteck hervor. Und so hat sich auch sein Spiel verändert. Der
bestimmende, oft cholerisch aufbrausende Ton ist einer zarten, dennoch rhythmisch ungemein gespannten Akuratesse
gewichen, die den außerordentlichen Klang von Palms Grancino-Instrument für sich sprechen lässt.
Es dauert bis zum Andante-sostenuto-Trio von Schuberts C-Dur-Quintett, bis Palms Zurückhaltung auf seine
Kammermusik-Partner übergreift. Dann aber öffnen sich doch noch Schuberts dynamische Abgründe,
die Pannen werden entschieden weniger. Das Rodin-Quartett setzt in der extrem scharfen Akustik des Saals viel
zu sehr auf direkten und süffigen Zugriff. Wer sich hier planlos in die Noten hineinkniet, braucht sich
kaum wundern, wenn er vor allem Primaria Sonja Korkeala in Gefahr bringt. Im einleitenden D-Dur-Quartett von
Schubert hielt sich die Zahl der Phrasen mit und der ohne Intonationspannen annähernd die Waage. Das sollte
Warnung genug sein.
Palm und die Rodins lernten sich beim Jugendfestspieltreffen in Bayreuth schätzen. Dort entstand mit
dem Komponisten Tobias PM Schneid auch die Idee zu einem Stück: Ritual Fragment. In memoriam
lotet in idyllischer Bewegung Obertonlandschaften aus, durch die sich absteigende Leitern wie kleine Bäche
schlängeln. Ganz selten stören ein klirrender Kratzer oder ein angerissenes Wummern, die durch die
Instrumente hindurch wandern, den kanonischen Frieden. Mehrmals trifft sich das Quintett zu einem wundervoll
ausregistrierten Schlussakkord, der in eine kleine Generalpause mündet, worauf die nächste
Strophe dieses Rituals beginnen kann. Die nicht ganz perfekte Uraufführung traf doch den Geist des Stücks
und konnte das dem Publikum auch unwidersprochen vermitteln. Eine kurze Einführung hätte die
Stimmung eventuell noch mehr gelockert, auch deshalb, weil das Programmheft den Titel des Stückes nicht
nannte und nur die Uraufführung annoncierte. Man kann angesichts des Titels in Schneids ganz
vorsichtig Klänge aushörendem Werk einen neo-tonalen Gegenentwurf zur Strophik von Boulez
Rituel. In memoriam Bruno Maderna erkennen. Doch Schneid hält sich mit Bedeutungszuweisungen
für seine Musik zurück, obwohl ein wenig programmmusikalisches Unterfutter auch der Aufmerksamkeit
für sein Komponieren in solcher Umgebung nur nützen könnte.
Zusammen mit Siegfried Palm zu musizieren ist sicher kein einfaches Unterfangen. Doch das Rodin-Quartett und
sein Publikum profitieren in einer solchen Begegnung hörbar: Hier werden eingespielte Sicherheiten aufs
Spiel gesetzt.