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nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 36
51. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Pariser Himmel voller Hymnen
Karlheinz Stockhausen in der Cité de la Musique
Paris als Stockhausen-Heimspiel. Zumindest an diesem Konzertabend fliegen ihm die Herzen zu. Ganz anders bekanntlich
als zu Hause. Dort hat man ihm unlängst noch ist es gut in Erinnerung den Teppich unter den
Füßen weggezogen. In Hamburg im traurigen Monat September wars. Das Attentat von New York ein
Kunstwerk Luzifers? Soviel Verschrobenheit war zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr durch demokratische
Errungenschaften wie Kunstvorbehalt und Meinungsfreiheit abgedeckt.
Deswegen wartete man gespannt auf den ersten, postluziferischen Auftritt in der Stadt, die dem
Komponisten schon immer viel gegeben, viel bedeutet hat. Und siehe da: alle bösen germanischen Geister
schienen wie weggeblasen. Kein Pfeffersack weit und breit, der hier die Moral über die Musik gestellt hätte.
Konzertanter Sonnenschein im überfüllten Salle des concerts der Cité de la Musique,
der an diesem Abend fast wie das nachgestellte Theater aus Marcel Carnés unsterblichem Film Kinder
des Olymp aussieht. Volles Haus bis hoch in die Galerien, aus der vor allem das junge Publikum erwartungsvoll
herabschaut. Halb Paris ist gekommen. Weißhaarige Le Monde-Leser, grau-melierte Geschäftsmänner
mit Gattin und die young urbans, die noch professionals werden wollen. Allenthalben
Neugierde auf die Person. Stockhausen wie ist er so? Ganz sicher aber auch Neugierde auf eine Musik,
die in grauer Vorzeit entstand, als viele der jetzigen Hörer noch nicht einmal auf der Welt waren. Und
dann, nach 2 Durchgängen zu je 42 Minuten, unterbrochen von einem 20-minütigen Stockhausen-Vortrag,
ist das kleine Wunder perfekt. Das vereinte Projektorchester aus Ensemble Intercontemporain und Conservatoire
de Paris unter Peter Eötvös verzaubert an diesem Abend den Himmel über Paris. Als die Hymnen
in einem Pianissimo verhauchen, ereignet sich der sprichwörtliche Stecknadel-Effekt. Erst als Eötvös
die weit ins Orchester hineingestreckten Arme herunternimmt, löst sich die Anspannung in dankbarem, nicht
endenwollenden Jubel.
Dabei war diese Version des Werkes elektronische Musik mit Orchester von Stockhausen ursprünglich
nur eine Art Zugeständnis an die Konvention. Wie er im Programmheft für die New Yorker Uraufführung
im Februar 1971 nicht ohne polemische Spitze notiert, wolle er damit lediglich erreichen, dass dieses
Werk auch von den Menschen gespielt und gehört wird, die sich in sogenannten Symphoniekonzerten
treffen. So genannte Symphoniekonzerte. Die sind seitdem immer noch nicht ausgestorben, erfreuen sich
sogar, wie jetzt in Paris zu erleben, großer Beliebtheit.
Und tatsächlich ist auch dieses alte, als naiv gescholtene Stück Neuer Musik an diesem
Abend so neu, dass sich selbst die Kenner verwundert die Ohren reiben: So klingt Stockhausen? Ja, so kann er
klingen, wenn ein künstlerischer Wille wie der der Leitung des Ensemble Intercontemporain wirksam wird.
Denn selbst für den anspruchsvollen Stockhausen waren die Produktionsbedingungen traumhaft. Zehn Proben,
penibles Ringen um jede Note, jede Nuance. Dazu die hingebungsvolle Einstellung der Instrumentalisten, die von
Stockhausen am Ende überschwenglich gelobt werden: Merci à vous toutes.
Gemeint waren insbesondere die jungen Studenten des städtischen Konservatoriums, die eingeladen waren,
sich dem renommierten Klangkörper Ensemble Intercontemporain anzuschließen. Eine mutige Rechnung,
die aufging. Bis in den Konzertabend hielt der Esprit vor. Ein stets antreibender Peter Eötvös am
Pult, Stockhausen mit behutsamer Klangregie am Mischpult, bewirkten schließlich, daß der Funke sprang
und alle, wirklich alle, hingerissen waren von einer Musik, die sie so nicht kannten.