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nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 38
51. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Über das Werdende, die Seele, die Stille
Das Berliner Festival UltraSchall mit positiv-buntem Panorama
Auf Bewährtes kann UltraSchall, das von den Berliner Rundfunksendern veranstaltete Festival für neue
Musik mit dem kleinen n, im vierten Jahr seines Bestehens zurückgreifen: Seine kontrastreiche Programm-Mischung,
zum Etablierten wie zum Experimentellen gleichermaßen offen und in angesagten Locations wie in traditionellen
Musentempeln dargeboten, findet zielsicher ihr Publikum. Musik der Gegenwart, wie auch der Titel
einer langjährigen verdienstvollen Konzertreihe des Senders Freies Berlin lautet, läuft hier zunehmend
auf heutzutage real komponierte (improvisierte, gesamplete, installierte) und gehörte Musik hinaus, und
sei sie von Gegenwart im utopischen Sinne noch so weit entfernt. Die Welt ist alles, was der Fall ist
und das ist ja auch schon eine ganze Menge.
Den Anfang jedoch machte eine Provokation, krasse Negation alles Nachfolgenden. Die Rückkehr der Wirklichkeit
The Return of the Real propagiert der in Schweden lebende Komponist Dror Feiler: die
perfekten Klänge und Strukturen von traditioneller, populärer und Neuer Musik haben den Hörer
abgestumpft, in Passivität und Konformität gezwungen, einer Zirkulation der Sauberkeit
unterworfen, deren potenziellen Faschismus es aufzubrechen gilt durch eine Demokratie der
Klänge, das unreine, befleckte Geräusch. So erzitterten 50 Minuten lang die Fenster der ehrwürdigen
Sophiensäle in ihren eisernen Halterungen vom gigantischen Lärm durch Blechtonnen geschmirgelter Bohrmaschinen,
kreischender Saxophone und Maschinengewehr-Samplings. Politisierung der akustischen Umgebung, wie
Feiler meint, Authentizität oder doch nur Verdoppelung des uns täglich überschwemmenden akustischen
Unrats, trotz des großherzigen Angebots von Ohrstöpseln die Veranstalter lehnten ausdrücklich
die Haftung für Hörschäden ab reine akustische Gewalt? Die Alternative dazu muss ja nicht
unbedingt die Hochglanz-Sinfonik eines George Benjamin sein, die zum Festival-Abschluss ebenfalls heftig beklatscht
wurde. Für die Qualität seines Gesamtwerks handwerkliches Können, glänzende Instrumentation,
Vielseitigkeit auch als Dirigent und Pianist verlieh das Deutsche Sinfonie-Orchester Berlin dem 40-jährigen
Briten den neu geschaffenen Arnold-Schönberg-Preis. Ein von diesem Klangkörper brillant gespieltes
Werk wie Ringed by the flat Horizon, von der dramatischen Fotografie eines Gewitters über der
Wüste von New Mexiko inspiriert, bedient allerdings derart hemmungslos die Klang- und Bildvorstellungen
eines konservativen Publikums, dass einem nicht unbedingt der Name Schönberg dazu einfällt. Benjamins
Ausbildung bei Olivier Messiaen schärfte gewiss seinen Sinn für effektvoll ausgehörte Klangfarben,
doch das ist alles zu trivial bunt, die Flöten zu süß, die Harfen zu glitzernd Kaufhausmalerei.
Befremdlicher noch in seiner antimodernen Haltung, wenn auch weniger auf einen vermeintlichen Publikumsgeschmack
schielend, der Sonnengesang des Heiligen Franz von Assisi von Sofia Gubaidulina, in Dramaturgie
und sensitiver Mikrostruktur zwar ebenfalls gut gemacht, doch in gebetsmühlenartiger, nur von
den jeweiligen Obertönen gewürzter Dreiklangsstruktur und brünstigem Mönchsgemurmel
schlichtweg ein frommer Mummenschanz. Doch Toleranz gegenüber den abstrusesten Gedankenwindungen, solange
sie sich nur als Privatsache aufführen, ist das Gebot der Stunde. Sie kann dann auch Wolfgang
Rihm beanspruchen, dessen uraufgeführtes Werk Astralis im selben Konzert des Rundfunkchors
Berlin bedeutend weniger Zustimmung erntete. Von Zeit zu Zeit verstößt Rihm ja gerne gegen den ihm
zugeschriebenen Personalstil verstörend ist diese Vertonung des Gedichts, das Novalis dem zweiten
Teil seines Heinrich von Ofterdingen voranstellte, zweifellos. Sie trifft mit diffusen Reibeklängen
der Stimmen, die konventionelle Harmonien immer wieder verunklaren, mit sparsamer Paukengrundierung, die trotzdem
einen neuen Klangraum aufspannt, und sehr beredten Einwürfen eines Solocellos dennoch sehr genau den Ton
von Verunsicherung, des unter den Füßen schwindenden Bodens, der Entgrenzung von Raum und Zeit, den
der Text kaum fassbar benennt.
Ungleich frischer und plastischer allerdings Rihms frühes Klavierstück 7, in seiner zornigen
Beethoven-Attitüde einer der originellsten Beiträge zur schon klassischen Langen Nacht des Klaviers.
Die gab sich gerade in Novitäten von Rebecca Saunders, Karin Haußmann, Charlotte Seithers,
Harald Münz ein wenig blass. Dass Klang nicht alles ist, um den man sich hier mit archaisierenden Floskeln
ebenso wie mithilfe raffiniert verfremdender Zuspiel-CDs bemühte, zeigte auch das Porträtkonzert für
Rebecca Saunders: Gerade weil die junge Engländerin so farbenprächtige, kraftvolle, geradezu rollenhaft
dramatisierende Klangkombinationen findet wie in ihrem Quartett für Klarinette, Akkordeon, Kontrabass und
Klavier von 1998, ermüden immer gleiche Abläufe fulminant-komplex einsetzender, danach sich auffächernder
und zerfallender Gesten. Auch ihr Spieluhr-Tick, so märchenhafte Atmosphäre er zu zaubern vermag,
nutzt sich langsam ab. Wirkt die Musik von Fabien Lévy authentischer und unverbrauchter, weil man sie
überhaupt nicht kennt, oder doch durch ihren anderen geistigen Zugriff? Auch der 32-jährige Franzose,
zurzeit Stipendiat des DAAD in Berlin, gibt sich keineswegs ungefällig, zumal in Hérédo-Ribotes
für Solobratsche und 51 Orchestermusiker, von Barbara Maurer und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
unter Fabrice Bollon uraufgeführt. Diese filigran gearbeitete Partitur gewinnt auch rhythmisch-motorische
Brisanz, angeregt von außereuropäischer Musik. Ethnologie, so gab der ehemalige Schüler von
Gérard Grisey in einem weiteren Porträtkonzert über sich Auskunft, sei wesentliche Quelle zur
Entwicklung einer neuen musikalischen Grammatik, welche das strukturalistische Parameter-Denken
überwindet, zugleich aber auch einer politischen, die dissidence zur eigenen Gesellschaft integrierenden
Kunst. Doppelleben wird so zum kreativen Begriff, in zwei so betitelten Stücken als Montage
heterogener Klang- und Spielebenen von orientalisch angehauchten Saxophon-Melismen, einem brodelnden, Straßenszenen
mit Kirchenglocken entnommenen Untergrund, Vexierspielen zwischen Fagottist und Sänger.
Wenig Ultraschall-Vorstöße in Innenwelten wie ins Grenzenlose bot das einst aus
einem ex negativo hervorgegangene Festival, eher ein realistisches Panorama des Gegebenen. Alles
wird gut, selbst für die Neue Musik auf dem wackeligen CD-Markt, solange es so engagierte Labels wie Kairos
Records gibt. Das vermittelte zumindest eine Podiumsdiskussion, auf der Barbara Fränzen (Kairos), Eleonore
Büning (FAZ), Dirk Hühner (SFB) und Peter Hirsch (Dirigent) die chaotische Unbeeinflussbarkeit
einer Verbreitung des Unpopulären konstatierten. Mal klappt es, mal nicht.
Dazu gehörte die Präsentation scheinbar unverwüstlicher traditioneller Gattungen bis hin zum
Klarinettenquintett, besonders überzeugend beim Lied des 21. Jahrhunderts: Claudia Barainsky
und Salome Kammer standen jeweils für ungebrochenen Stimmausdruck und sprachorientiertes Experiment ein,
letztere mit dem köstlichen, sich um die Börsenkurse sorgenden Zwischen Blick Hinter Grund
des Eisler-haft zur Popularmusik he-rüberzwinkernden Rudi Spring. Im Übrigen waren die tiefgreifendsten
Erlebnisse bei den Klassikern zu haben: Helmut Lachenmanns in wohltuendem Schwarzweiß schraffiertes
Orchesterstück Klangschatten mein Saitenspiel, Giacinto Scelsis den Einzelton aufbohrende
Streichquartette, Salvatore Sciarrino mit der zerbrechlich überwältigenden Schönheit seiner Aspern
Suite und diverser Notturni und Polveri laterati für Klavier, begeistert
begeisternd vorgetragen von Marino Fomenti und gestreut zwischen Texte Platons, über das Werdende, die
Seele, die Stille.