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nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 14
51. Jahrgang | März
Deutscher Kulturrat
Kulturelle Bildung in der Wissensgesellschaft
Von der Zukunft der Musikberufe · Von Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz
Der Deutsche Kulturrat untersuchte in den letzten Jahren im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung die Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Kulturberufe in allen
künstlerischen Sparten. Es wurde analysiert, inwiefern sich die Kulturberufe durch den Einsatz neuer Technologien
verändern und wie Aus- und Weiterbildung auf die Veränderungen reagieren muss. Wird der Computer den
Pinsel ersetzen? Wird in der Zukunft nur noch auf elektronischen Instrumenten musiziert? Werden künftig
im Theater vornehmlich Videoaufnahmen von Künstlerinnen und Künstlern zu sehen sein? Oder bleibt alles
beim Alten? Und wie muss die Ausbildung und die Weiterbildung in den Kulturberufen aussehen?
Auf der einen Seite standen die Optimisten, die große Erwartungen in die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien
setzten und erwarteten, der gesamte Kulturbetrieb werde sich ändern. Die Barrieren zwischen Kunstproduzenten
und -konsumenten schienen eingeebnet zu werden. Die neuen Technologien ermöglichten es scheinbar jedem,
ein Kunstwerk zu produzieren und zu verbreiten. Darüber hinaus wurde erwartet, dass mehr Menschen Zugang
zu Kunst und Kultur erhalten und damit der Traum von Kultur für alle ein Stück näher
rücken würde.
Die Pessimisten auf der anderen Seite sahen salopp gesprochen den Untergang des Abendlandes
voraus. Sie befürchteten, dass Kenntnisse in den alten Techniken verloren gingen. Dass weniger und nicht
mehr Menschen sich Kunst und Kultur nähern, dass das Internet eine Sogwirkung entfaltet und so viele Zeitressourcen
beansprucht, dass die so genannten traditionellen künstlerischen Ausdrucksformen und Veranstaltungsorte
an Bedeutung verlieren.
Heute kann man feststellen, dass beide Optimisten und auch Pessimisten nicht Recht hatten. Die
neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sind zu einem festen Bestandteil des Alltags geworden. Das
Versenden von Informationen oder von Dokumenten per E-Mail, das Einholen von Auskünften und Informationen
aus dem Internet hat längst den Reiz des Außergewöhnlichen verloren. Die neuen Technologien
haben weder dazu geführt, dass die Theater und Konzertsäle leer sind. Sie haben aber auch nicht dazu
beigetragen, dass jeder ein Künstler wird.
Neue Medien sind zu den alten hinzugetreten. Damit ist genau die Entwicklung eingetreten, die bereits bei der
Einführung und Etablierung anderer Medien zu beobachten gewesen ist. So kam das Fernsehen zum Hörfunk
hinzu. Der Hörfunk ist dadurch keineswegs obsolet geworden. Er hat vielmehr neue Funktionen im Rahmen der
gesamten Mediennutzung erhalten. So wird voraussichtlich in einigen Jahren der Umgang mit dem PC und dem Internet
selbstverständlich sein und Medienkompetenz sich unter anderem darin erweisen, die unterschiedlichen Medien,
also Buch, CD, Fernsehen, Hörfunk, Internet, jeweils so auszuwählen, dass ein möglichst hoher
Nutzen für den jeweiligen Nutzer entsteht.
Mit Blick auf die künstlerische Aus-einandersetzung befinden wir uns, was die neuen Medien betrifft, jedoch
erst am Anfang einer Entwicklung, auch wenn bereits seit einigen Jahren mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien
experimentiert wird. Ähnlich wie sich der Film in seinen Anfangszeiten am Theater orientierte und die Kinos
als Filmtheater oder Filmpaläste einen ähnlichen Genuss wie Theater versprachen, rekurriert auch die
Medienkunst noch auf Vorgefundenem und hat noch keine eigene Formensprache entwickelt. Auch die Literatur im
Netz baut auf Erzählstrategien auf, die bereits seit Jahrhunderten gelten. Das gemeinsame Schreiben von
Texten ist mithilfe neuer Informations- und Kommunikationstechnologien vielleicht technisch einfacher durchzuführen.
Es ist aber keine neue literarische Ausdrucksform, da es hierfür seit Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche
Vorbilder gibt.
Beispiel Berufsfeld Musik
Die Sparte Musik, als die ausdifferenzierteste künstlerische Sparte, hat in der Studie des Deutschen
Kulturrates einen wichtigen Stellenwert. Von der festen Anstellung in einem Ensemble bis zur Selbstständigkeit
sind alle Arbeitsverhältnisse in der Sparte Musik vertreten. Die Anforderungen an die Qualifikation der
Musikerinnen und Musiker richten sich je nach Beschäftigungsverhältnis. Mitglieder eines Spitzenorchesters
müssen andere Voraussetzungen erfüllen als Mitglieder eines Stadttheaterorchesters.
Die Musikerinnen- und Musikerausbildung für die so genannte Ernste Musik beginnt bereits im Kindesalter.
Wer nicht frühzeitig ein Instrument erlernt, hat kaum realistische Chancen, die Aufnahmeprüfungen
an den Musikhochschulen mit Erfolg absolvieren zu können. Ein wohldurchdachtes und stringent durchgeführtes
Wettbewerbssystem ermöglicht frühzeitig das Erkennen und anschließende Fördern junger Talente.
Kaum einer der heute bekannten Solomusikerinnen und -musiker hat in seiner Kindheit nicht am Wettbewerb Jugend
musiziert teilgenommen und dort einen Preis erhalten.
Diese frühe Förderung von Talenten, die vom Deutschen Musikrat, dem Dachverband der Musikverbände
in Deutschland, organisiert und getragen wird, ist für alle anderen künstlerischen Sparten vorbildlich.
Eine Erweiterung der bestehenden Förderung in der musikalischen Entwicklung ist die Förderung mit
Blick auf die spätere Berufswahl. In Beratungsgesprächen sollen den Jugendlichen die Chancen, aber
auch die physischen und psychischen Voraussetzungen der professionellen Musikerinnen- und Musikerlaufbahn nahe
gebracht und damit die Berufswahl begleitet werden.
An die frühe Förderung der angehenden Musikerinnen und Musiker schließt sich bei den professionellen
Musikerinnen und Musikern im Bereich der so genannten E-Musik ein Studium an einer der 24 Musikhochschulen in
Deutschland an. Voraussetzung für die Aufnahme einer künstlerischen Musikausbildung ist das erfolgreiche
Bestehen der Aufnahmeprüfung. Die Hochschulreife wird nicht zwingend vorausgesetzt.
Die Hochschulausbildung in Musik orientiert sich zum überwiegenden Teil, wie die Gesprächsrunden
des Deutschen Kulturrates und Einzelgespräche mit Hochschullehrern und Rektoren von Ausbildungsstätten
im Rahmen der Studie ergaben, am klassischen Repertoire der Opern- und Konzerthäuser. Neue Musik spielt
bei der Ausbildung ausübender Künstlerinnen und Künstler eine untergeordnete Rolle. Bei den Komponistinnen
und Komponisten ist die Auseinandersetzung mit den modernen künstlerischen Ausdrucksformen dagegen selbstverständlich.
Neue Medien sind daher ein Studienbestandteil im Fach Komposition.
Die geschilderte Ausbildung der ausübenden Künstlerinnen und Künstler ist solange bedarfsorientiert
und folgerichtig, wie der größte Teil der Absolventen auch tatsächlich den angestrebten Beruf
des Orchestermusikers oder Chorsängers ergreifen kann. Die Deutsche Orchestervereinigung hat jedoch darauf
hingewiesen, dass den 5.000 Absolventen der deutschen Musikhochschulen in den letzten Jahren nur 850 zu besetzenden
Stellen an deutschen Orchestern gegenüberstanden. Das heißt vollkommen unabhängig von der eigenen
Leistung hatte weniger als ein Fünftel der ausgebildeten Orchestermusikerinnen und -musiker überhaupt
eine Chance, eine Stelle im angestrebten Beruf zu finden.
Der Abbau von Orchestern wird diese Situation in den nächsten Jahren verschärfen, auch wenn durch
Pensionierungen Lücken in Ensembles entstehen. Für die Ausbildung heißt dies, dass den Studierenden
Alternativen zur Orchestertätigkeit aufgezeigt werden müssen. Sie müssen das Rüstzeug erhalten
als Selbstständige in kleinen Ensembles zu spielen, sie müssen Qualifikationen in der Musikpädagogik
erwerben, sie sollten sich mit der so genannten Gebrauchsmusik befassen. Verschiedene Musikhochschulen haben
auf diese Herausforderung reagiert und legen in den Studienordnungen fest, dass neben der Musikausbildung in
Nebenfächern und Wahlfächern zusätzliche Qualifikationen erworben werden, die das spätere
Tätigkeitsspektrum erweitern. Im Hinblick auf die Gebrauchsmusik gibt es eine Schnittfläche zu den
neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, die in den oben genannten Berufsfeldern keine oder zumindest
eine untergeordnete Rolle gespielt haben.
Erfahrungen im Umgang mit neuen Technologien und zwar hier musik-, rundfunk- und filmspezifischen Anwendungen
sind erforderlich, um in diesem Bereich tätig zu werden. Hier bestehen Berührungspunkte mit der Tätigkeit
der Tonmeister, die in ihrer Ausbildung Ingenieur- und Musikwissen verbinden. Die Filmakademie Baden-Württemberg
in Ludwigsburg bietet einen speziellen Studiengang Film- und Sounddesign, in dem selbstverständlich
auch die Nutzung und Anwendung neuer Technologien bei der Musik- beziehungsweise Geräuschherstellung vermittelt
wird.
Wichtig sind Kenntnisse in der Anwendung neuer Technologien mit Blick auf Managementfragen. Absolventen müssen
mit Internet und E-Mail umgehen können, um sich selbst vermarkten zu können. Dies gewinnt an Bedeutung,
wenn sie selbstständig sind. Die Ausbildungssituation im Bereich der so genannten Unterhaltungsmusik stellt
sich vollkommen anders dar als in der so genannten Ernsten Musik. Zwar wurden an einigen Musikhochschulen Studiengänge
für Jazz- oder auch Popularmusik etabliert, die sich aber in erster Linie an angehende Musiklehrer und
-lehrerinnen richten. Der Weg des Pop- oder Jazzmusikers verläuft nach wie vor zum überwiegenden Teil
vom Laien über den semiprofessionellen zum professionellen Musiker oder Musikerin. Wettbewerbe auf der
regionalen Ebene und die Bereitstellung von Infrastruktur sind hier die geeigneten Förderinstrumente auf
dem Weg zum professionellen Musiker. Kulturpolitische Entscheidungen wie der Auftrag an soziokulturelle Zentren,
einen größeren Teil des Mittelbedarfs durch Eigeneinnahmen zu decken, haben einen direkten Einfluss
auf die Nachwuchsförderung im Rock- und Popbereich. Wenn in einem soziokulturellen Zentrum eher eine Disko
veranstaltet wird, weil dadurch höhere Einnahmen erzielt werden als durch Auftritte bislang unbekannter
Gruppen, fallen Auftrittsorte und damit auch Möglichkeiten der Entwicklung weg. Da in diesem Bereich das
learning by doing eine zentrale Rolle spielt, ist die Bereitstellung von Infrastruktur eine der
wichtigen Möglichkeiten der Ausbildungsförderung. Rock- und Popmusiker haben sich zwar auf Landesebene
in den verschiedenen Rockinitiativen zusammengeschlossen und auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Rock leistet
wichtige koordinierende Arbeit, dennoch ist das Fördersystem nicht in Ansätzen mit dem der so genannten
E-Musik vergleichbar. Dies gilt neben Fragen der musikalischen Entwicklung auch für die Vermittlung von
Markt- sowie Managementkenntnissen.
Da Rock- und Popmusik von ihrem Wesen her vielfach mit elektronischen Instrumenten gespielt wird, haben die
neuen Technologien selbstverständlich das Equipment dieser Bands verändert. Ebenfalls haben sich die
musikalischen Stile gewandelt, Techno, HipHop und andere Musikstile bedienen sich selbstverständlich der
neuen Medien. Ebenfalls die Clubmusik, die wiederum nur in kleinen Auflagen produziert wird und sich an ein
kleines Publikum richtet.
Eine weitere wichtige Veränderung, die aber weniger den künstlerischen Prozess als vielmehr die Verbreitung
betrifft, ist die Möglichkeit von Bands, selbst CDs zu brennen. Bis vor einigen Jahren war die Erstellung
des ersten Tonträgers der Flaschenhals für Bands, um bekannt zu werden. Die neuen technischen Möglichkeiten
haben diesen Flaschenhals der Erstellung von Tonträgern deutlich verbreitert. Junge Gruppen können
relativ problemlos ihre CDs selbst brennen. Den Markteintritt bedeutet dies aber noch nicht. Es kommt vielmehr
darauf an, andere davon zu überzeugen, dass die Musik hörenswert ist. Auftritte zu erhalten, um dann
vielleicht den Sprung in das Radio zu schaffen.
Fasst man diese kursorische Betrachtung des Musikarbeitsmarktes und der Musikerausbildung zusammen, so ergibt
sich folgendes Bild:
in der so genannten E-Musik erfolgt die Ausbildung in einem langen Ausbildungsweg vorwiegend entlang des
traditionellen Kanons; neue Medien spielen keine oder zumindest eine untergeordnete Rolle; Handlungsbedarf
mit Blick auf die Aus- und Weiterbildung besteht hier in erster Linie in der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten
in Arbeitsfeldern außerhalb der Theater und Konzerthäuser, da die Einstellungschancen gering sind;
neue Medien haben in der Gebrauchsmusik und im Selbstmarketing eine Bedeutung,
in der so genannten U-Musik gibt es bis auf einige Ausnahmen keine geregelten Ausbildungsgänge; die
Übergänge vom semiprofessionellen zum professionellen Arbeiten sind fließend; der Umgang mit
Technik ist traditionell selbstverständlich, durch neue Medien ergeben sich neue technische Möglichkeiten
aber auch neue künstlerische Ausdrucksformen.
Olaf Zimmermann, Gabriele Schulz
Kulturelle Bildung in der Wissensgesellschaft Zukunft der Kulturberufe.
Hg. von Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz.
Format DIN A 5, broschiert, 628 Seiten, ISBN 3-934868-07-x, 25,90 Euro,
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