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nmz 2002/03 | Seite 51
51. Jahrgang | März
Dossier: Musikwirtschaft
In China wird das Pianoforte immer populärer
Die Messe Frankfurt organisiert erstmals die Music China 2002
Schlummern für die deutsche Musikindustrie trotz Geburtenkontrolle bei Millionen von Klaviereleven und
aufstrebenden Musikstudenten die unbegrenzten Absatz-Möglichkeiten? Dass es in China handfeste Chancen
für die deutschen Hersteller von Musikinstrumenten, Tontechnik und Musikalien gibt, glauben jedenfalls
die Frankfurter Veranstalter und Initiatoren der ersten von Deutschland aus auf chinesischem Boden organisierten
Musikmesse. Auf 83 Millionen Dollar schätzen sie den Umfang der Importe von Musikinstrumenten nach China
dieses Jahr. Viele Firmen, die schon Erfahrungen auf dem chinesischen Markt gesammelt haben, zeigen sich ebenfalls
optimistisch.
Die zweite Auslandsmarke der Messe Frankfurt GmbH wird vom 16. bis 19. Oktober 2002 in Shanghai stattfinden.
Winfried Baumbach, Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Musikinstrumentenhersteller (BDMH),
ist überzeugt, dass China einer der Zukunftsmärkte der nächsten zehn Jahre für
die von seinem Verband vertretene Branche ist. Auch für den Bereich Licht- und Tonanlagen sieht Wilhelm
P. Hosenseidl, Brand Development Manager der Music China bei der Messe Frankfurt GmbH, großes Bedarfspotenzial,
gerade durch die Olympiade 2008 in Peking.
Eine Fläche von 12.000 Quadratmetern steht der internationalen Musikindustrie in den 1992 eröffneten
Ausstellungsräumen des Shanghai International Exhibition Center (kurz INTEX) zur Verfügung.
Die Messe Frankfurt GmbH hat mit dem erfahrenen Shanghaier Messeveranstalter ein Joint Venture gegründet.
Innerhalb der Music China wird auch die nationale chinesische Musikindustrie ihre Messe abhalten. Zur Seite
steht den Organisatoren, neben einer Reihe von bedeutenden Regierungsorganen, die China Association of Musical
Instruments (CAMI). Wie üblich ist die Fachmesse an den letzten zwei Tagen der Öffentlichkeit zugänglich.
Westliche Instrumente gefragt
Vier Millionen Chinesen, so schätzt man bei INTEX, lernen zurzeit ein westliches Instrument. Die Generation,
die während der Kulturrevolution teilweise mehrere Jahre auf den Schulbesuch verzichten musste und statt
dessen bei den Bauern auf dem Land revolutionäre Erziehung verordnet bekam, sind jetzt die Eltern der Schulkinder
und Studenten. Gerade sie wollen die Fehler, unter denen sie selbst leiden mussten, nicht wiederholen. Im China
der wirtschaftlichen Öffnung haben sie nach und nach das Budget angespart, um ihren Schützlingen
und meist einzigen Kindern eine umfassende Ausbildung zu finanzieren. Dafür investieren sie sogar
einen Großteil ihres Einkommens nicht umsonst heißt die erste heranwachsende Generation der
Einzelkinder kleine Kaiser.
Wenn auch mit einem vollen durchschnittlichen Jahreseinkommen eines chinesischen Städters erst
nach knapp 40 Jahren selbst der günstigste Steinway-Flügel zu 40.000 Euro abbezahlt wäre, täuschen
die Statistiken. Gerade in den reichen Metropolen ballen sich viele Haushalte mit Einkommen nach westlichem
Standard, gepaart mit Lebenshaltungskosten, die ein Zehntel und weniger von denen in Deutschland betragen
vor der Einführung des Euro wohlgemerkt.
Zur Hauptklientel für die hochwertige und im Vergleich zu chinesischen Produkten teure deutsche
Wertarbeit gehören vorrangig staatliche wie auch private Musikinstitutionen. Schon heute spielt man
in chinesischen Orchestern Heckel-Fagotte und Alexander-Hörner. Der Ruf dieser Marken ist dort einschlägig
bekannt, weiß Winfried Baumbach.
Ein guter Name, ein Markenname bedeutet in China alles. Davon kann die deutsche Musikindustrie immens profitieren.
Mit Deutschland verbinden Chinesen vom Taxifahrer bis zur Geschäftsfrau zunächst zwei
Namen: Siemens (Ximensi) und Mercedes (Benshi für Benz). Deutsche Marken stehen stellvertretend für
überragende Qualität und technische Perfektion.
Das Projekt Music China 2002 wurde nicht erst wegen der Aufnahme des Landes in die Welthandelsorganisation
auf den Weg gebracht. Schon vor eineinhalb Jahren entwickelte die Messe Frankfurt GmbH die Idee, in China eine
Musikmesse auf die Beine zu stellen, und erste Pläne liegen noch Jahre davor. Die Märkte weltweit
zu beobachten ist eine unserer wichtigsten Aufgaben erklärt Cordelia von Gymnich, Bereichsleiterin
Kommunikations- und Freizeitmessen bei der Messe Frankfurt GmbH. Dabei haben die Organisatoren zum Beispiel
die Publikumsstruktur ihrer eigenen Musikmesse beobachtet. Daraufhin fiel die Entscheidung für den Standort
der ersten Musikmesse im Ausland auf St. Petersburg. Zu der kamen im Juni letzten Jahres 8.000 Fachhändler
und Musikbegeisterte aus 31 Ländern.
Ähnliche Besucherzahlen erwartet INTEX zur Music China in Shanghai. Eine Zahl, die im Vergleich zu
den fünf- bis sechsstelligen Besucherzahlen bei vergleichbaren Messen in Frankfurt bescheiden erscheint.
Trotzdem da sind sich Teilnehmer und Organisatoren einig ist eine Beteiligung an Messen vor Ort
besonders durch die erheblich höheren Besucherzahlen aus dem Mittelstand und von Privatpersonen für
einen erfolgreichen Markteinstieg unerlässlich. Wenn im Durchschnitt der Fachbesucher einer beliebigen
Messe in Frankfurt um die 200.000 Euro Einkaufsvolumen mitbringt, so liegt diese Summe bei den ausländischen
Besuchern mindestens bei 350.000 Euro, und oft weit darüber. Aber wir müssen auch an den Mittelstand
herankommen, erklärt von Gymnich.
Wachstum prognostiziert
Chinas Wirtschaftsstatistiken schreiben seit Jahren rosaroten Zahlen: das Wirtschaftswachstum wird in den
nächsten Jahren weiterhin stabil bei 7 Prozent erwartet. Das Volumen der gesamten Importe hat sich 2001
um 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert. Der Konsumgütermarkt wuchs um 10 Prozent. Dennoch
wird China für uns nie ein Massenmarkt werden räumt Winfried Baumbach ein. Aber wer sich
jetzt dort engagiert, wird mittelfristig Früchte ernten.
Für Steinway & Sons ist die Music China 2002 eine willkommene Gelegenheit, sich erstmals in der Finanzmetropole
Shanghai zu präsentieren. Der namhafte Hersteller von Klavieren und Flügeln hat die Eigenheiten des
chinesischen Marktes erkannt und ist dort seit 1998 auf Musikmessen präsent. Die systematische Erschließung
eines Kundenstamms durch direkten Zugang über ein Representative Office in Peking und bisher vier Handelsvertretungen
in ebenso vielen Metropolen funktioniert. Die Verkaufszahlen aller Steinway-Produkte stiegen seither vom
ein- bis zweistelligen Bereich auf fast 150 Stück im vergangenen Jahr, informiert Werner Husmann,
Direktor Marketing und Vertrieb bei Steinway & Sons Hamburg. Zum Vergleich: die Verkäufe nach Japan
lagen im gleichen Jahr bei 500 Instrumenten. Für 2002 plant Steinway, fünf weitere Handelspartner
in China einzusetzen. Husmann schätzt den Bedarf an Klavieren in China auf 500.000 im Jahr. Diese enorme
Nachfrage bedienen 23 chinesische Klavierfabriken, die zurzeit zirka 300.000 Exemplare pro Jahr herstellen.
Das sind andere Dimensionen als die 5.000 größtenteils in Handarbeit hergestellten Steinway-Instrumente.
Wir beliefern ein kleines, aber anspruchsvolles Segment von Kunden.
Joint Ventures und Eigenbau
Die 1956 gegründete Kantoner Perl River Piano Group ist der größte Klavierhersteller in China.
Von ihren rein industriell gefertigten Klavieren baute der Konzern 72.138 Stück allein im Jahr 2000, davon
9.000 in der Hochglanzfabrik, die aus einem 1995 besiegelten Joint Venture mit dem japanischen Yamaha Konzern
hervorgegangen ist. Damit hat das ambitionierte Unternehmen 60 Prozent Marktanteil in China und tätigt
50 Prozent der chinesischen Klavierexporte ins Ausland. Dazu liefen in der Fabrik am Delta des Perlflusses im
selben Jahr 60.000 akustische Gitarren, und ebenso viele Geigen und Blechblasinstrumente vom Band. Firmenpräsident
Tong Zhicheng ist besonders stolz darauf, dass seine Firma 1998 als erste in China für ihre Musikinstrumente
von der International Standards Association (ISO) 9001 zertifiziert wurde.
In der boomenden chinesischen Klavierproduktion sieht Husmann in keiner Weise Konkurrenz. Diese Klaviere
kosten um die 1.000 Euro und sind für ein ganz anderes Publikum. Man wird nicht nach der ersten Klavierstunde
gleich einen Steinway kaufen, erklärt Husmann. Um in China eine mittlere Preiskategorie anbieten
zu können, setzt Steinway auf die Boston-Klaviere und -Flügel. Boston ist der Name der nach einer
auf Steinway patentierten Konstruktion gebauten Produktreihe, die ein Drittel des Preises der echten
Steinways kostet. Die Rechnung ging auf: zwei Drittel der in China verkauften Exemplare sind aus dieser Reihe.
Die Haupt-Zielgruppe für die großen Steinway-Flügel sind die Konzerthallen, Sinfonieorchester
und Musikhochschulen. Da weltweit 1.300 Starpianisten und Ensembles bekennende Steinway-Künstler sind,
will man in den chinesischen Konzert- und Opernhäusern nur die Marke stehen haben, die die internationalen
Stars bevorzugen. Ganze Konservatorien stattet Steinway mit der gesamten Palette von Flügeln aus, unter
anderem das China Conservatory in Peking. Steinway erreicht Metropolen in ganz China. Kein Problem bei dem riesigen
nationalen Flugliniennetz 20 inländische Fluglinien jetten zwischen 100 ein- bis zweistelligen Millionenstädten
hin und her.
Die W. Schreiber & Söhne GmbH, Hersteller von Holzblasinstrumenten, hat sich seit Ende der
80er-Jahre dem chinesischen Markt angenähert, begonnen mit Beteiligungen an Messen in Kanton. Geschäftsführer
Marketing und Verkauf Donald Dittmar bezeichnet China nicht nur als Zukunftsmarkt, sondern als schon jetzt
ganz reellen Markt für die gesamte Produktpalette der seit 1995 zur Boosey-Gruppe gehörenden
Firma.
Raubkopie-Industrie
Besonders problematisch ist der chinesische Markt durch das florierende Geschäft mit Raubkopien für
die Musikverleger. Genaue Zahlen fehlen, aber die Schätzungen aus der Phonoindustrie lassen die Ausmaße
des Schadens erahnen. Laut einer Studie der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) hat
die Raubkopie-Industrie 1999 in China mit Tonträgern 620 Millionen Dollar umgesetzt. Wie das Hongkonger
Nachrichtenmagazin Asiaweek berichtet, hatten 95 Prozent der 1998 in China produzierten Tonträger kein
Copyright. Vorerst ist da kaum Besserung in Sicht, vermutet Wolf-Dieter Seiffert, Verlagsleiter
und Geschäftsführer beim deutschen Musikverlag Henle, der für seine Urtextausgaben bekannt ist.
Wenn der Löwenanteil am chinesischen Musikalienmarkt für den in München ansässigen Verlag
auch noch auf sich warten lässt, so ist Seiffert dennoch zufrieden. Seit mehreren Jahren auf den chinesischen
Musikmessen vertreten, konnte Henle einen chinesischen Partner, das Peoples Music Publishing House, gewinnen.
Dort werden inzwischen 30 Henle-Titel von Bach bis Chopin verlegt. Diese Lizenzausgaben werden in Auflagen
von 3.000 bis 4.000 Stück gedruckt und gehen heute zum Teil schon in die zweite Auflage, so Seiffert.
Mit bestenfalls 10 Prozent Tantiemen, die Henle davon einnimmt, ist das Geschäft allerdings gering.
Der Verlag konzentriert sich von nun an ganz auf den Verkauf der hochwertigen in Deutschland gedruckten
Bände. Die Nachfrage auf den Musikmessen bei Profis wie Laien ist hoch, trotz der im Vergleich
mit chinesischen Druckerzeugnissen weit höheren Preise. Das merkte auch ein chinesischer Großsortimenter,
der sofort nach der Messe das gesamte verbliebene Henle-Sortiment aufkaufte für eine beachtliche,
fünfstellige Summe.