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nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 55
51. Jahrgang | März
Dossier: Musikwirtschaft
Erweckung aus dem Dornröschenschlaf
22. Musikinstrumentenbau-Symposium im Kloster Michaelstein vom 16. bis 18. November 2001
Als James Tyler 1980 sein heute noch als Standardwerk geltendes Handbuch The Early Guitar herausgab,
beklagte er die ihm völlig unverständliche Vernachlässigung der Gitarreninstrumente des 16. bis
18. Jahrhunderts in der Musizierpraxis der Gegenwart. Heute, 21 Jahre später, gilt es festzustellen, dass
insbesondere die Barockgitarre inzwischen einen beachtenswerten Platz als Solo- wie als Continuoinstrument in
Konzerten und bei CD-Produktionen zurückerobert hat.
Ganz anders sieht es hingegen bei den frühen Instrumenten der Zisternfamilie aus. Obwohl auf unzähligen
ikonografischen Zeugnissen und Gemälden als beliebtes Ensembleinstrument ausgewiesen, scheint die Zister
im Rahmen der Historischen Aufführungspraxis noch keine angemessene Würdigung gefunden zu haben. So
war das diesjährige 22. Musikinstrumentenbau-Symposium in Michaelstein zwei Instrumenten gewidmet, die
erst wieder in jüngster Zeit, oder im Falle der Zister noch immer nicht so recht aus ihrem jahrhundertelangen
Dornröschenschlaf erweckt worden sind.
Etwa 60 Spezialisten aus ganz Europa hatten sich vom 16. bis 18. November 2001 in der Stiftung Kloster Michaelstein,
reizvoll im Harz zwischen Wernigerode und Blankenburg gelegen, eingefunden. Es gab Vorträge, Demonstrationen,
Konzerte und eine liebevoll zusammengestellte Sonderausstellung mit historischen Gitarren und Zistern. Last
but not least zu erwähnen die persönlichen Begegnungen, in denen bestehende Freundschaften vertieft
und neue geschlossen wurden.
Die Tage begannen, für Michaelstein traditionell, am Freitagmorgen mit der musikalischen Eröffnung,
in der Hans Michael Koch französische und italienische Musik für Renaissance- und Barockgitarre vorstellte.
Derart eingestimmt begann das Symposium mit einer Folge von Referaten rund um die Zister. Es ging um Ikonografie,
Geschichte, Vielfalt der Zisterntypen, Musizierpraxis und Ansätze zur Rekonstruktion historischer Instrumente.
Die unterschiedliche Herkunft der Referenten, es kamen Musikwissenschaftler, Instrumentenbauer und Künstler
zu Wort, gestattete die unterschiedlichsten Perspektiven, zumal die Musiker es sich nicht nehmen ließen,
ihre Beiträge mit eigenen Demonstrationen zu bereichern. Auf diese Weise durfte so manch einer zum ersten
Mal eine English Guitar (ein Zisterntyp im Gegensatz zur Spanish Guitar) gehört haben; ein
fast vergessenes Instrument, für das immerhin F. Geminiani oder J. Chr. Bach komponiert haben. Angesichts
der heutigen Standardisierung unserer klassischen Orchesterinstrumente ließ die Vielfalt der Zistern den
klanglichen Reichtum des Instrumentariums im 16. und 17. Jahrhundert erahnen. Abends erfreute dann Lee Santana
Symposiumsteilnehmer wie Gäste mit einem Konzert auf der vierchörigen Zister in Renaissancestimmung
sowie auf der vier-und fünfchörigen Gitarre. Eine ganz persönliche Note erhielt dieses Konzert
durch eine Reihe eigener Kompositionen, die Santana zuweilen im direkten Kontrast zu den englischen und spanischen
Stücken aus dem 17. Jahrhundert spielte. Neue Musik auf alten Instrumenten: Eine nicht alltägliche
Erfahrung.
Am Samstagnachmittag begannen die Gitarrenreferate, die wiederum eine entsprechende Vielfalt der Themen und
Perspektiven enthielten. Im Mittelpunkt des Interesses stand die barocke Guitarra Espanola. Dabei
ging es um Fragen der Stimmung, Generalbasspraxis oder um Probleme bei der Rekonstruktion eines historischen
Instrumentes. Aus dem 16. Jahrhundert wurde eine bedeutende Quelle für die vierchörige Gitarre vorgestellt.
Ausblicke auf das 19. Jahrhundert erlaubten die beiden letzten durch ausführliche Musikbeispiele veranschaulichten
Vorträge über spanische Gitarrenmusik um 1800 beziehungsweise über die Entwicklung der siebensaitigen
russischen Gitarre. Obwohl die Blütezeit der russischen Gitarre im 19. Jahrhundert anzusiedeln ist, wurde
deutlich, dass die Wurzeln ihrer Entwicklung an der Gitarre und Zister Anteil haben, im 18. Jahrhundert zu finden
sind. Ein sinnvoller Abschlussvortrag! Den künstlerischen Höhepunkt des Symposiums bildete das Konzert
von José Miguel Moreno aus Madrid, der unter dem Motto Die spanische Gitarre und ihre Musik von
1536 bis 1700 ein repräsentatives Programm mit Werken spanischer Komponisten für Vihuela und
Barockgitarre zusammengestellt hatte. Insgesamt eine Veranstaltung, die durch ihre Anregungen, Vorträge
und Konzerte Lust machte auf mehr Barockgitarre, mehr Zister, English Guitar oder russische siebensaitige Gitarre.
Also auf Instrumente und ihre Musik, die in unserem auf Mainstream angelegten Musik- und Konzertleben
nur eine winzige Nischenposition behaupten können. Ein Symposium wie jenes in Michaelstein bildet einen
wichtigen Beitrag, das Leben in diesen künstlerischen Nischen zu pflegen und zu erhalten. Dafür sei
den Organisatoren der Stiftung Kloster Michaelstein herzlichst gedankt.