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nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 1
51. Jahrgang | März
Leitartikel
Schizo-Land
Was ist nur los in unserer schönen Bundesrepublik? Wo die Kampfpiloten mangels Training dafür
fehlt das Geld so fett sind, dass sie nicht mehr ins Jet-Cockpit passen: Ein allenfalls ambivalenter
pazifistischer Ansatz. Wo die Vertreter der Körper-Kultur so fit sind, dass sie bei den olympischen Winterspielen
an der Zahl der Medaillen gemessen alle anderen Nationen hinter sich lassen. Wo die Bildungspolitik so schwachbrüstig
vor sich hin werkelt, dass unser deutscher Nachwuchs im internationalen Vergleich eine trübe Schlussfunzel
vor sich her trägt.
Kehren wir weiter vor näheren Schwellen: Platten-Bosse, die technologische Entwicklungen ebenso verschlafen
haben wie die Heran-Bildung neuer Käuferschichten, entlassen zuvörderst ihr kreatives Personal (schließlich
müssen Controller noch die Spar-Effekte berechnen) und fordern unter Berufung auf das Verursacher-Prinzip
die Todesstrafe für minderjährige Raubkopierer. Vernünftige Intendanten kapitulieren
vor der angeblichen Finanzmisere der öffentlichen Hände, erklären sich zu Fusionen mit anderen
Häusern bereit und/oder plädieren für die Kündigung geltender Tarifverträge. Setzen
sich eigenhirnig ein für die Privatisierung ihrer moralischen Anstalten, die dann wohl bald Maxx-Event
heißen.
Und noch etwas näher , wie agieren in diesem Umfeld unsere Musikanten: Während sich
der Deutsche Musikrat in einem schmerzhaften und mühsamen Häutungsprozess befindet, gründet sich
mit umfassendem Anspruch eine Bundesvereinigung Deutscher Musik-Verbände. Ein Schelm, wer Schlechtes
dabei denkt oder: Systembedingt belebt Konkurrenz angeblich das Geschäft. Getreu diesem Motto fallen dann
auch einige Cheerleader so genannter freier Musikschulen über ihre kommunal geförderten Mitbewerber
her: Am besten abschaffen, alles privatisieren. Bildung und Kultur hat sich endlich im freien Kräftespiel
des Marktes zu stählen. Wohin das führt, ist im Bereich der Popularmusik-Förderung bereits zu
begutachten. In Nordrhein-Westfalen hat sich die VW-Soundfoundation gerade aus der direkten Rockförderung
zurückgezogen schon brechen die aufgekeimten Strukturpflänzchen zusammen. Das bildungspolitische
Pflichtenheft für Nachwuchsförderung in diesem Bereich realisiert statt Jugend musiziert
RTL2: No Angels, BroSis und demnächst ein Teen-Star beweisen, dass man Talent-Schuppen
kommerziell höchst erfolgreich betreiben kann. Wie wärs mit ein paar Abenteuer-Urlaubsflügen
über afghanisches oder irakisches Gebirge für unsere verfetteten Jet-Piloten? Die könnte man
prima vermarkten.
Dieses Land braucht offensichtlich eine Therapie. Wir empfehlen ein zehn-semestriges Studium Generale für
alle Bundesbürger, finanziert aus Mitteln der geplanten Laptop-Ausstattung aller Schulen.