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nmz 2002/03 | Seite 1-2
51. Jahrgang | März
Leitartikel
Das Wunder von Weimar lässt auf sich warten
Eine Stadt wehrt sich gegen obrigkeitliche Kulturpolitik · Von Stefan Meuschel
Die Zukunft einer Landeshauptstadt in Deutschland ohne Opernhaus kann ich mir eigentlich nicht denken,
sagt Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel. Und da Erfurts Theatergebäude baufällig
ist, wird ein repräsentatives neues Haus hochgezogen. Die auch für Kunst zuständige Ministerin
Dagmar Schipanski wünscht sich wenigstens ein anspruchsvolles Theater in der Mitte unseres Landes,
das sich an den guten Häusern in der oberen Klasse in Deutschland messen lassen kann. Pech
für Weimar, dass es, 21 Kilometer östlich von Erfurt liegend, offenbar nicht mehr zur Mitte des Landes
gehört.
Auch der Thüringer Finanzminister und der Haushaltsausschuss des Landtages haben zur Theaterpolitik ihre
Meinung. Da der Freistaat die bundesweit höchsten Einwohner-bezogenen Zuschüsse für Theater und
Orchester von allen Flächenländern leistet (bei niedrigen Einspielquoten), da gleichzeitig Land und
Kommunen tiefrote Zahlen schreiben, sollen die staatlichen Betriebskostenzuschüsse für die Haushaltsjahre
2004 bis 2008 mit jährlich 59,82 Millionen Euro auf dem Stand der Haushaltsjahre 2001 bis 2003 eingefroren
werden. Darüber, wie die vom selben Finanzminister zum Beispiel durch Tarifabschlüsse mit den Gewerkschaften
mitverursachten Personalkosten aufzufangen sind, die summiert bis 2008 auf rund 22 Millionen Euro
geschätzt werden, macht sich dieser keinen Kopf: das ist schließlich Sache der Kunstministerin und
der kommunalen Rechtsträger. Denn alle sechs Thüringer Dreispartentheater (Erfurt, Meiningen und Weimar
sowie die bereits fusionierten Theater in Altenburg/Gera, Eisenach/Rudolstadt/Saalfeld und Nordhausen/Sondershausen)
werden ebenso von den Kommunen betrieben wie die drei eigenständigen Kulturorchester in Jena, Gotha/Suhl
und Greiz/Reichenbach.
Da die von Sozialhilfezahlungen, Wirtschaftsflaute und Steuerreform gebeutelten Kommunen mit Ausnahme
von Eisenach, Erfurt und Jena nicht in der Lage sind, die Betriebsdefizite zu decken, ist guter Rat buchstäblich
teuer. Einnahmesteigerungen gekoppelt mit der Umstellung des Spielbetriebes auch auf die Bedürfnisse des
Tourismuslandes Thüringen sind nur langfristig möglich. Sechshundert Beschäftigte entlassen,
sparen, abbauen, alle Theater in Thüringen außer Erfurt, Meiningen und Weimar schließen, wie
es Erfurt und Weimar vorgeschlagen haben? Die Kunstministerin bewies, dass guter Rat auch billig sein kann,
wenn er denn nicht mehr gut ist. Das Auge starr auf die künftige Bundesliga-reife Oper der Landeshauptstadt
gerichtet, legte sie im Mai vergangenen Jahres einen Vorschlag zur künftigen Gestaltung der Theater-
und Orchesterfinanzierung vor, der den Erhalt nur der Bühnen in Altenburg/Gera und Meiningen (bei
weiterem Stellenabbau), die Fusion aller Westthüringer Theater und Orchester zu einem Landestheater sowie
als Kernpunkt, die Verschmelzung des Erfurter Theaters mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar zu einem Staatstheater
Thüringen vorsieht. Dabei soll der Juniorpartner Weimar sich auf das Schauspiel beschränken,
seine bundesweit gerühmte Staatskapelle aber mit Dienstsitz in Erfurt im dortigen Musiktheater
aufspielen.
Das ist keine verantwortbare Kulturpolitik, sondern McKinsey-Einmaleins: Aus neun mach fünf, aus zwei
mach eins. Doch selbst die ihm zu- grunde liegenden Berechnungen sind spekulativ: Addiert Schipanskis Strukturvorschlag
bei Erfurt/Weimar schlicht die bisherigen Landeszuschüsse für Erfurt und Weimar (23 Millionen Euro)
und die städtischen Zuschüsse (Erfurt 12 Millionen Euro, Weimar 3 Millionen Euro), um auf die beeindruckende
Summe von 38 Millionen Euro zu kommen, mit der das Oberklassen-Theater zu finanzieren sei, so vergisst
sie, dass Erfurt im Falle der Fusion seinen Zuschuss auf 10 Millionen Euro absenken wird, dass weder die Abfindungen
für den Personalabbau noch die Betriebskosten für den Erfurter Neubau, geschweige denn die Einnahmeausfälle
in Weimar in ihrer Rechnung enthalten sind.
Die Bürgerinnen und Bürger Erfurts und Weimars wollen die Fusion ihrer Theater nicht. Sinnvolle,
auch institutionalisierte Kooperation: Ja Verschmelzung: Nein. Vor allem in Weimar formiert sich der
Widerstand, geht es dort, in der kleinen 62.000-Einwohner-Stadt, doch nicht nur um Infrastruktur und Standort,
sondern auch um den drohenden Verlust eines ihrer kulturhauptstädtischen Symbole. Das preußische
Erfurt als Landeshauptstadt zu akzeptieren, fällt noch immer schwer. Eine Bürgerinitiative gründete
sich, eine Stiftung Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar wurde eingerichtet und als
Stephan Märki, Weimars Generalintendant, am Vorabend der entscheidenden Abstimmung im Stadtrat zu einer
Bürgerversammlung einlud, war das Theater bis auf den letzten Platz gefüllt. Verrät der
Stadtrat unser Weimar? war auf einem blutroten Transparent zu lesen. Er verriet nicht. Bürgerwiderstand
siegte über zuletzt handfeste finanzielle Drohungen der ministeriellen Obrigkeit. Mit 37 Stimmen bei zwei
Enthaltungen lehnte der Weimarer Stadtrat die mit Unterstützung des Deutschen Bühnenvereins von Vertretern
des Landes und der beiden Städte geschmiedeten Fusionsverträge ab. Als ein Wunder könnte der
Vorgang bezeichnet werden, wäre er nicht mit einer schweren Hypothek belastet.
Denn der Stadtrat forderte im gleichen Atemzug, ihm bis zum 1. Mai 2002 einen Struktur- und Finanzierungsplan
für das DNT vorzulegen, den ihm Stephan Märki als Weimarer Modell angekündigt hatte.
Er sieht die Umwandlung des städtischen Betriebes in eine privatwirtschaftliche gemeinnützige GmbH
vor, die, weder dem kommunalen Arbeitgeberverband noch dem Deutschen Bühnenverein angehörend, sich
mit dem Betriebsrat auf Haus-Tarifvereinbarungen verständigen solle. Rund vier Millionen Euro könne
man auf diesem Wege sparen. Doch dieses Modell ist weder ein Weimarer noch ein neues
mag Märki auch eine renommierte Berliner Kanzlei zurate gezogen haben. Es spukt in vielen Theaterträger-Köpfen
und ist schon beim Versuch der Einführung zum Beispiel in Frankfurt/Main, Greifswald/Stralsund und Kiel
gescheitert: Rechtsordnung und Tarifautonomie stehen ihm entgegen. Statt Gesetze aushebeln zu wollen, sollte
Weimar sich mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen ins Benehmen setzen. Die stehen, sicherem Vernehmen
nach, zu Verhandlungen zur Verfügung, um ihn bei seinen Anstrengungen zu unterstützen, Kulturpolitik
für eine Stadt und nicht für ein Ministerium zu machen. Dieses, ebenso sicherem Vernehmen nach, grollt.