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nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 23
51. Jahrgang | März
Bücher
Komplexes Netz der romantischen Idee
Charles Rosens Kompendium im Residenz Verlag erschienen
Charles Rosen: Musik der Romantik, Residenz Verlag 2000, 815 Seiten, 50,90 €
Rosens lang erwartetes Buch wiegt schwer wie ein Ziegelstein das Thema, die Musik der Romantik, lässt
sich nicht in knappen Zügen umreißen. Ein solches Unterfangen wäre absurd und von vornherein
zum Scheitern verurteilt. Doch auch 815 Seiten können keinerlei Gewähr für Vollständigkeit
geben. Rosen war von daher gut beraten, sein Unternehmen auf die Musik der um 1810 herum Geborenen zu beschränken
Chopin, Schumann, Liszt, Mendelssohn et alii und den zeitlichen Grenzstrich bei Chopins Todesjahr,
1849, anzusetzen. Dieser radikale Trennstrich allerdings, den er ziemlich konsequent durchhält, durchkreuzt
auf unschöne Weise die Idee der Romantik; durch die Geschlossenheit wird die Wirkung der mittleren
Generation auf die Nachwelt kaum gewürdigt.
Zunächst erörtert
der Autor allgemeine Kriterien, die für die romantische Musik maßgebend sind: der Klang, das Fragment,
das Lied, Mediantbeziehungen und die symmetrische Phrasenbildung. Eine geistesgeschichtliche Epoche leuchtet
auf, denn Querverbindungen zu Literatur und Kunst weben berechtigterweise ein komplexes Netz der romantischen
Idee. Es liegt auf der Hand, dass man sich bei derlei allgemein gefächerten Ausführungen nicht auf
die kurze Zeitspanne von gut zwanzig Jahren beschränken kann, und so findet vor allem bei den Liederzyklen
natürlich Schubert seinen angemessenen Platz, und Beethoven als der Maßstab seiner Nachfolger tritt
immer wieder in Erscheinung. Das Kapitel über das Fragment ist das stärkste des gesamten Bandes. Als
Kernidee der Romantik wird es durch Rosens Erklärungen plastisch erfahrbar, die auch theoretische Grundlagen
organisch einbinden. So das Zitat Schlegels aus den Athenäum-Fragmenten: Ein Fragment muss gleich
einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein wie ein
Igel. Schumann offenbart sich als Meister dieses Genres schlechthin, aber auch Chopin gilt hier mit seinen
Préludes als repräsentativ. Mit seiner Definition trifft Rosen den Nagel genau auf den Kopf: Im
musikalischen Fragment der Romantik bleibt ebenfalls Platz für einen uneindeutigen, beunruhigenden Raum,
für ein ungelöstes Element, das die Symmetrie und die Konventionen der Form unterhöhlt, ohne
sie jedoch ganz zu zerstören. Das Instrument des Fragments schlechthin scheint das Klavier zu sein,
und in Rosens Buch nimmt es einen so großen Platz ein, dass Orchesterwerke darin kaum Erwähnung finden.
Berlioz darf dankbar sein, dass seine Symphonie fantastique überhaupt Erwähnung findet.
Leider unterlässt der Autor es, die Vorrangstellung des Klaviers in der romantischen Musik (und in seinem
Buch) näher zu analysieren. Die Oper mit ihren Hauptrepräsentanten der Epoche, Bellini und Meyerbeer,
wird zwar als eigenständiges Kapitel eingebracht, ihre politische Dimension der Volksaufhetzung
in den Raum geworfen; dass jedoch gerade in Frankreich die Oper im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte,
während dort Klavier- und Kammermusik brachlagen, und dass Pioniere wie Franck und Saint-Saëns diesen
Bereichen neuen Humus boten, erwähnt Rosen mit keinem Wort.
Viel Neues birgt der Rosensche Ziegelstein nicht. Vieles hätte gestrafft werden können, wie
eine Vielzahl von Notenbeispielen, die in komprimierterer Form eine größere Übersichtlichkeit
geschaffen hätten. Seine ausführlichen Analysen vergleicht der Autor selbst sehr treffend mit dem
Kursbuch der Bahn auch hier hätte man einiges kürzen können. Die einzelnen
Kapitel bricht Rosen meist abrupt ab, eine Konklusion im akademischen Sinne findet sich nicht. Er birgt vielmehr
einzelne geschlossene Abschnitte, die dennoch offen sind. Folglich ist Die Musik der Romantik ebenso
Fragment geblieben, und gerade das ist es, was Rosens romantischen Stil dann doch noch sympathisch macht.