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nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 30
51. Jahrgang | März
ver.die
Fachgruppe Musik
Blödes Wort, aber richtig: Kulturpflichtaufgabe
Frank Werneke, Eckhard Kussinger und Burkhard Baltzer im Gespräch
Lasst uns Pläne schmieden: Euphorie nach dem Kooperationsvertrag zwischen ver.di und dem Orchesterverband.
Burkhard Baltzer führte ein Gespräch mit Frank Werneke, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes und verantwortlich
für Kunst, Kultur, Medien und Industrie, und mit Eckhard Kussinger, Fachgruppenvorsitzender ,,Musik
und stellvertretender Vorsitzender des Gewerkschaftsrates von ver.di.
Burkhard Baltzer: Kooperationen, Absprachen hat es zwischen der IG Medien und dem Orchesterverband bereits
früher gegeben. Was erhoffen die Verbände und die Musiker als neue Qualität nach diesem
Kooperationsvertrag, Frank Werneke? Frank Werneke: Als IG Medien hatten wir es nicht geschafft, Kooperationsbeziehungen einzugehen. Wir haben
allerdings problem- und themenbezogen durchaus an einem Strang gezogen. Die neue Qualität, die wir uns
nun erhoffen von der Zusammenarbeit mit der Orchestervereinigung und später auch mit der GDBA und der VdO,
ist das Denken in die Zukunft. Wir wollen gemeinsam Konzepte entwickeln und ganz sicher auch institutionalisiert
kooperieren. Wir werden eine AG Kunst & Kultur aufbauen, wo die Kunstfachgruppen in ver.di mit den Kunstverbänden,
mit denen wir in Kooperation stehen, nicht nur reaktiv zusammenarbeiten, etwa wenn in irgend einem Haus ein
Problem auftaucht, sondern wir wollen auch gemeinsam Kulturpolitik entwickeln.
Baltzer: Gibt es schon konkretere Vorstellungen von dieser AG Kunst & Kultur, Eckhard Kussinger? Eckhard Kussinger: Die engere Zusammenarbeit vieler Kunstverbände ist für mich überhaupt
der Grund gewesen, warum ich für diese AG Kunst & Kultur gekämpft habe. Es existiert zwar mit
dem Deutschen Kulturrat etwas Größeres, Übergreifenderes, aber der Kulturrat zeigt sich ja relativ
zahnlos. Unsere Vorstellung ist es, einen gewerkschaftlichen Kulturrat aufzubauen, woran alle Verbände
teilnehmen können wozu vorerst nicht mal zwingend Kooperationsverträge die Voraussetzung sind.
Wenn sich zwischen den Verbänden eine enge Zusammenarbeit entwickelt, können auch Kooperationsverträge
abgeschlossen werden. Der nächste Schritt würde dann die Überlegung sein: Wenn wir schon Kooperationsverträge
haben, warum arbeiten wir dann nicht gemeinsam in einer Fachgruppe von ver.di? So könnte sich ver.di dann
wirklich einen Namen und Ruf als Kultur-, Kunst- und Mediengewerkschaft erringen. Klar: Eine Gewerkschaft wird
immer für soziale Belange eintreten, zu diesen sozialen Belangen gehört aber auch, dass eine Gewerkschaft
den Menschen Kunst, Musik, Theater und Literatur eben Bildung vermittelt. Werneke: Momentan kooperieren wir, doch wir streben eine engere, institutionalisierte Zusammenarbeit
an. Es geht darum, tarif- und kulturpolitische Interessen zu bündeln. Bis hin zur finanziellen Absicherung
in Arbeitskampfsituationen. Das setzt eine vertragliche Zusammenarbeit voraus, wie wir sie nun seit dem 17.
Januar haben. Mit der Vereinigung der Opernchöre gibt es eine Fortführung der bisherigen DAG-Verträge,
obwohl hier neu verhandelt werden muss. Etwas schwieriger stellt sich das derzeit mit der GDBA dar, doch auch
hier sind wir optimistisch, zu einem neuen Vertrag zu kommen.
Baltzer: Hast du ein zeitliches Ziel für diese Verhandlungen, Frank? Werneke: Unser Ziel ist es, diese Verträge im ersten Halbjahr, möglichst noch in diesem Quartal
abzuschließen. Wobei wir allerdings immer sagen werden, es gibt Punkte und Konditionen, zu denen ver.di
nicht bereit sein wird zu kooperieren. Gerade bei der GDBA ist das recht schwierig, weil wir zum Teil identische
Beschäftigungsgruppen organisiert haben. Ver.di wird dort, wo wir Mitglieder und Organisationsinteressen
haben, diese Mitglieder nicht für den Preis eines Kooperationsvertrages im Regen stehen lassen. Wir haben
des Weiteren Gespräche mit dem Verband der Drehbuchautoren, dann mit dem Verband der Kameraleute, und auch
die gestalten sich ganz positiv. Dabei geht es vor allem um die tarifpolitische Zusammenarbeit bis hin zur Mitwirkung
in Tarifkommissionen in ver.di.
Baltzer: Das Thema Tarifpolitik schien auch die Verhandlungen mit der Orchestervereinigung
dominiert zu haben. Stehen Auseinandersetzungen ins Haus in die Häuser, sollte man sagen? Und eine
Frage an dich, Eckhard, der du von einem relativ zahnlosen Deutschen Kulturrat gesprochen hast:
Mit welchen inhaltlichen Impulsen wollen die Kooperationspartner Zähne zeigen, mal abgesehen von Tarifverhandlungen? Werneke: Die Tarifpolitik steht nicht nur hier in Berlin, sondern auch in anderen Städten und Regionen
im Vordergrund, weil es angesichts der Finanzsituation der öffentlichen Haushalte Druck gibt, Tarifverträge
zu verschlechtern, um so angeblich die Substanz von Theatern zu erhalten. Das allerdings ist eine Argumentation,
mit der wir uns auseinander setzen, seit es Kultursenatoren oder den Bühnenverein gibt. Dabei sind zwei
Bereiche besonders im Visier: Die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen, die BAT-gebunden angestellt
sind sie sind überwiegend in ver.di organisiert , und es sind die Kolleginnen und Kollegen
in den Orchestern, weil auch die Orchestervereinigung es geschafft hat, in den letzten Jahren ganz anständige
Tarifverträge durchzusetzen. Nun darf man sagen, dass es in den letzten Jahren keine überdurchschnittlichen
Tarifsteigerungen, sondern eher Verzicht-Runden gegeben hat, ohne dass dadurch die Krise von Theatern und Bühnen
entschärft worden wäre. Deshalb wollen wir andere Punkte in den Blickpunkt rücken, etwa die Kulturfinanzierung
oder auch die Zukunft kommunaler Finanzen ein wichtiges Thema für ver.di, das unmittelbar auf die
Kultur wirkt.
Kussinger: Inhaltlich inhaltlich müssen wir ein langfristiges Konzept entwickeln, wie wir uns das
kulturelle Leben in dieser Bundesrepublik vorstellen. Ich will mal ein Beispiel wagen, was auf den ersten Blick
nicht unbedingt etwas mit Kultur zu tun hat. Die Entwicklung der Computerbranche hat dazu geführt, dass
mittlerweile an vielen Grundschulen mit Computern gearbeitet wird. Analog stelle ich mir vor, dass die Kinder
von den Kindergärten und Tagesschulen an Musik herangeführt werden.
Wir stehen doch vor dem Problem, dass Theater und Konzerte deshalb nicht mehr so gut besucht sind, weil die
Menschen nicht verstehen, was dort geschieht. So, wie die Schulpflicht existiert, müsste es die Kulturpflicht
geben blödes Wort, aber wir finden noch ein anderes.
Baltzer: Kultur als Pflichtaufgabe, wie es derzeit die Sachsen praktizieren, obwohl auch die aus Finanzgründen
fragil ist und in Frage steht? Werneke: Das ist schon ein Weg, wenn auch nicht einer für Berlin. Permanente Bedrohungen dafür
ergeben sich jedoch aus den kommunalen Finanzen. Wenn die weiterhin ausgedünnt werden, müssen alle
solche Modelle mit dem Scheitern rechnen. Deshalb wird ver.di neben der Kulturpolitik ganz stark auch die Finanzpolitik
thematisieren. Kussinger: Ergänzend zu dem, was ich zuvor gesagt habe und zu Frank Werneke: Die Schulbildung
funktioniert bei aller Kritik ja auch grundsätzlich deshalb, weil alle Gebäude von den Kommunen bezahlt
werden müssen, während die Beschäftigten Landesbedienstete sind. Die Kindergärten werden
von Kommunen, von Kirchen, von Städten und in den vielfältigsten Trägerschaften. Wer also soll
was finanzieren bei unserem Plan? Darüber müssen wir uns Gedanken machen, denn wir können nicht
alle Verantwortung den Kommunen zuschieben.
Baltzer: Zunächst sieht es mit der Kooperation von ver.di und Orchestervereinigung nach einer
gewachsenen Stärke aus. Die Gewerkschaften melden Lohn-Forderungen bis zu 6,5 Prozent an. Was ist im Bereich
der Orchester, Chöre, Bühnenangestellten realistisch? Kussinger: Fünf oder sieben Prozent: zu wenig? Im Grunde: ja. Werneke: Die Forderungen hängen ja damit zusammen, dass die Beschäftigten zu Recht sagen, in
den letzten Jahren habe die Wirtschaft verdient, aber sie nichts. Ver.di will in diesem Jahr eindeutig eine
Runde für die Beschäftigten. Mit welcher Forderung ver.di in die Verhandlungen des öffentlichen
Dienstes gehen wird, hängt zum Teil auch von den Ergebnissen der Verhandlungsergebnisse der Privatwirtschaft
ab. Mit einem Forderungsspekt-rum in ver.di zwischen fünf und sieben Prozent.
Wir verhandeln im Herbst für den öffentlichen Dienst, und ich weiß, dass die Grundstimmung in
der Privatwirtschaft identisch ist mit der der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Wir haben in
den letzten Jahren auf das Klagelied der Kommunen und Städte Rücksicht genommen. Aber was hat das
gebracht? Nichts. Kussinger: Die Bundestarif-Kommission hat bereits beschlossen, dass der Schwerpunkt der Tarifverhandlungen
auf einer deutlichen Lohnerhöhung liegen wird.