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nmz-archiv
nmz 2002/03 | Seite 3
51. Jahrgang | März
Zukunftswerkstatt
Wem nützt die gemeinnützige Theater-GmbH?
Der Intendant des Deutschen Nationaltheaters, Stephan Märki, über sein Weimarer Modell
Ende Februar lehnte der Weimarer Stadtrat die vom Land Thüringen vorgeschlagene Fusion des Deutschen Nationaltheaters
(DNT) in Weimar mit der Bühne der Landeshauptstadt Erfurt ab. Angenommen wurde dagegen ein Arbeitsauftrag,
bis zum 1. Mai alle Unterlagen zusammenzutragen, die zur Gründung einer eigenen Theater-GmbH nötig
sind. Dann wird ein von DNT-Generalintendant Stephan Märki vorge- stelltes Konzept neben anderen geprüft
werden. Märkis Modell einer gemeinnützigen GmbH könnte richtungsweisend für andere Häuser
in Deutschland werden. Der Weimarer Generalintendant ist gebürtiger Schweizer und gehört zu den Mitbegründern
des Münchner team-Theaters. Direkt nach der Wende ging er nach Potsdam ans Staatstheater, vor zwei Jahren
löste er Günther Beelitz in Weimar ab. Einen Tag nach dem Beschluss des Weimarer Stadtrates sprach
nmz-Redakteur Andreas Kolb mit Märki über sein Modell.
neue musikzeitung: Ihr Kampf gegen eine Fusion des Deutschen Nationaltheaters in Weimer mit der Erfurter
Bühne löste ein großes Echo bei Bürgern, Politikern und Medien aus. Wie sieht Ihre Alternative
aus? Stephan Märki: Es ist im Grunde noch eine Vision, denn wenn es ein Modell wäre, müsste
es schon ausgearbeitet vorliegen. Wir lehnen uns an an die Umwandlung des Berliner Ensembles in eine GmbH. Wir
setzen da an, wo das eigentliche Problem der städtischen und staatlichen Theater entsteht. Nämlich
Bund, Städte und Gemeinden handeln Tarifverträge mit der ÖTV, heute ver.di, aus, die eigentlich
für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst gelten und brauchbar sind, nur nicht für Theater
und Orchester.
nmz: Wenn die öffentliche Hand nicht mehr in dem Maße wie bisher sich für Kultur zuständig
fühlt, dann empfehlen Sie den Stadt- und Staatstheatern die Privatisierung? Märki: Natürlich können die Theater nicht ohne die öffentliche Zuwendung leben. Nur
dadurch, dass Kultur als freiwillige Leistung der Kommunen gilt, kommt sie immer zuletzt. Nehmen Sie Berlin
als Beispiel: die Stadt ist faktisch bankrott. Die können die Tarifsteigerungen im keinem Bereich mehr
zahlen, was dazu führt, dass immer mehr Leute entlassen werden, um die Tarifauswüchse derjenigen zu
bezahlen, die noch Arbeit haben. Die meisten Theater sind schon bis auf das Gerippe so abgemagert, dass da nichts
mehr zu holen ist. Jetzt setzt der Deutsche Bühnenverein an und empfiehlt den Städten immer mehr Fusionen.
Dabei sind Fusionen geradezu die Zementierung der bestehenden Strukturprobleme und geradezu kontraproduktiv
für das Wesen eines Theaters. Denn es sind ja keine Benzingesellschaften, die da fusionieren, wo es egal
ist, aus welcher Säule das Benzin kommt, sondern das Wesen eines Stadttheaters ist eine unverwechselbare
kulturelle Identität für seine Stadt.
nmz: Sie haben starke Unterstützung vonseiten der Stadt und ihrer Bürger für ihr Modell
bekommen... Märki: Ja enorm. Ich bin geradezu nach Weimar geflohen, weil ich dachte, das ist der Ort, wo Theater
oder Kultur zuletzt infrage gestellt werden. Das DNT ist ja nicht nur der Symbolort der deutschen Geschichte
oder der Kulturgeschichte, es ist ja auch der Lebensnerv dieser Stadt.
nmz: Sie spielen jetzt auf die Weimarer Theatergeschichte an? Märki: Schiller, Goethe, Wagner, Liszt... Die Mehrheit der deutschen Literatur sowohl im Sprech-
wie auch im Musiktheater ist in Weimar entstanden und uraufgeführt worden. Dies führt auch dazu, dass
70 Prozent der Zuschauer dieses Theaters von außerhalb kommen. Die Stadt hat dreimal mehr Zuschauer als
Einwohner über das Jahr gesehen und das Theater ist durch und durch erfolgreich. Also es gibt keinen objektiven
Grund, dieses Theater infrage zu stellen. Vor zehn Jahren hat man Erfurt zur Hauptstadt gemacht und seither
zieht es die ganzen Ressourcen ab.
nmz: und zwingt Sie zu handeln... Märki: Das DNT muss aus dem Automatismus der Tarifsteigerungen aussteigen können. Im Prinzip
muss ich eine andere Rechtsform finden, die nicht a priori städtisch oder staatlich ist. Das kann eben
eine gemeinnützige GmbH sein oder eine Stiftung.
nmz: Wollen Sie tatsächlich aus dem Bühnenverein aussteigen? Märki: Nicht-Wiedereinsteigen, so muss man es sagen. Die Stadt kann ja im Bühnenverein bleiben,
nur die Gesellschaft tritt dann nicht wieder bei. Nun heißt das nicht zwangsläufig, dass man keine
Gewerkschaften mehr hat. Anstatt der sechs Tarifverträge, die in einem Mehrsparten-Haus existieren mit
unzähligen Zusatzbestimmungen möchte ich versuchen, einen einheitlichen Tarifvertrag für ein
Theater zu bekommen für alle Beschäftigten, der die speziellen Arbeitsbedingungen an einem Theater
regelt und nicht automatisch auch die des Friedhofgärtners.
Die Chancen stehen gut
nmz: Stehen denn die Ensemblemitglieder und die Angestellten des Theaters hinter Ihren Plänen? Märki: In der Regel gibt niemand gerne Privilegien ab und die großen Kollektive wie Orchester
und Chöre erst recht nicht. Nur in diesem Fall stehen die Chancen gut, da ich eineinhalb Jahre vehement
gegen dieses Fusionsmodell mit konventionellen Mitteln gekämpft habe, und trotzdem die Landesregierung
das durchdrücken wollte. Die Alternative dazu heißt einfach 150 bis 200 Arbeitsplätze weg von
400 und das Theater ist kaputt.
Da aber keine einzige andere Alternative zugelassen wurde von der Landesregierung, aber immer wieder gesagt
wurde, es gibt nicht mehr Geld, aber auch nicht weniger, ist das die einzig sinnvolle Alternative, die die Arbeitsplätz
und die Kunst erhält.
nmz: Durch was genau wollen Sie die Kunst erhalten? Märki: Die GmbH als solche löst das Problem noch nicht, sondern verändert die Voraussetzungen.
Die Situation in Weimar ist einfach günstig. Zum Beispiel ist das Betriebsklima zwischen Leitung und Personalrat
durch ein ausgesprochen konstruktives Miteinander gekennzeichnet. Dann gibt es dieses Drohpotenzial vonseiten
der thüringischen Landesregierung. In Weimar bekommt man ziemlich schnell die Verantwortlichen an einen
Tisch, denn es ist eine kleine Stadt. Es gibt eine gewisse mediale Begleitung für die Sache. Man kämpft
zwar im Prinzip für eine gute Sache, aber gegen eine gigantische Lobby der Besitzstandswahrung, nämlich
gegen die Verhandlungsmonopole des Bühnenvereins und auch der Gewerkschaften. Wobei ich sagen muss, dass
die Gewerkschaften bisher wesentlich gesprächsbereiter waren als der Bühnenverein paradoxerweise.
nmz: Sehen Sie in der Umwandlung des städtischen Theaters in eine GmbH nicht die Gefahr des Ausverkaufs
der Kunst? Bleibt nicht die Moderne, das Experiment, die Uraufführungen auf der Strecke? Märki: Ich strebe eine gemeinnützige GmbH an, das ist ganz wichtig. Mit Ausverkauf hat das
nichts zu tun. Das bedeutet auch nicht Entlassung der öffentlichen Hand aus der Verantwortung. Das muss
man ganz klar sagen. Vielleicht ein Stück mehr Eigenverantwortung. Jetzt haben wir wirklich die Chance,
erstmals eigene Arbeitsbedingungen festzuschreiben, die dem Theateralltag entsprechen. Wenn das nicht gehen
sollte, kann man auch Betriebsvereinbarungen mit dem Personalrat, der dann Betriebsrat heißt, abschließen.
Das übergeordnete Ziel ist natürlich mehr Kunst für das gleiche Geld.
Im Moment ist es umgekehrt: Um die Tarifsteigerung zu zahlen, nimmt man immer mehr von der Kunst weg, für
den großen technischen und Verwaltungsapparat.
nmz: Kultusministerin Dagmar Schipanski hat bereits angekündigt, dass es nicht mehr Geld geben
wird als bisher, wenn Weimar bei dieser Anti-Fusions-Entscheidung bleibt. Märki: Wir müssen mit dem bestehenden Geld zumindest die nächsten fünf, sechs Jahre
auskommen.
nmz: Wann wird denn ihr Haus umstrukturiert sein? Märki: Der Finanzierungsvertrag läuft Ende 2003 aus, spätestens da muss es stehen.
nmz: Wird das funktionieren? Märki: Es ist auf jeden Fall eine Alternative. Und zwar eine, in der wir aktiv Handelnde sind und
nicht passiv Klagende.
Kunst ist Aufbruch
nmz: Wir reden mehr über Subventionen und Tarife als über Visionen. Was sagen die Theaterleute,
die Musiker, die Regisseure zu Ihren Ideen. Märki: Das Wesen der Kunst ist der Aufbruch. Das heißt sobald sie in gewohnte Bahnen gerät,
sobald sie Sätze hören wie Wir haben das immer schon so gemacht. Wir wissen, wie
es geht, stirbt die Kunst. Das hat auch was mit den eben angesprochenen Strukturen zu tun. Die
meisten erfolgreichen Produktionen, das werden Ihnen alle Regisseure und Intendanten sagen, muss man in der
Regel gegen die Sachzwänge des eigenen Hauses durchsetzen.
Ich will wirklich nicht den Rückzug der öffentlichen Hand aus der Kultur. Für mich ist Kultur
das einzige Überlebenspotenzial, das eine Gesellschaft überhaupt hat. Nur es hat keinen Sinn, dass
man immer wegschaut. Die meisten öffentlichen Haushalte können sich Kultur wie bisher nicht mehr leisten.
Die Strukturreform müsste bei der Verwaltung beginnen, das ist klar. Auch die thüringische Verwaltung
ist völlig aufgebläht. Aber die kommen natürlich nicht auf die Idee, die Verwaltung von Erfurt
und Weimar zusammenzulegen, sondern das Unmöglichste, nämlich die Theater.
nmz: In Ihrer Rede vor dem Weimarer Stadtrat haben Sie die Vision geäußert, ihr Modell wäre
auch für ganz Deutschland vorbildlich. Märki: Wenn das funktioniert, wird das natürlich sehr viele Nachahmer finden. Einfach übertragbar
ist es nicht, weil es wirklich ein individuelles Klima braucht. Wenn zu viele sagen, wir gehen da nicht mit,
dann gelingt das nicht, dann haben wir nicht die Effizienz, die wir brauchen.
nmz: Haben Sie keine Angst, dass Sie sich als Theater-GmbH zu sehr nach dem Publikumsgeschmack richten
müssen? Märki: Die öffentlichen Theater stehen stets in dem nicht zu schließenden Spagat, dass
die Politiker immer höhere Auslastungszahlen fordern, aber auf der anderen Seite nicht ins Theater gehen,
sondern Zeitung lesen. Dort wird Ausnahmen bestätigen die Regel meist ein Minderheitenprogramm
belobigt. Was ich versuche, ist mehr Freiraum für die Kunst zu bekommen. Das hat mit der künstlerischen
Ausrichtung des Intendanten zu tun. Ich zum Beispiel fahre nie den Mittelweg, das ist immer der Tod. Das Programmangebot
gewichte ich etwa 70 zu 30. Mit 70 Prozent holt man sein Publikum was ja auch eine Liebeserklärung
ans Publikum ist 30 Prozent setze ich für die Avantgarde ein. Gerade in Weimar mit seinem Traditionsbewusstsein
darf man nicht traditionell sein. Weimar ist der ideale Ort, lebendig mit unserer überlieferten Kultur,
unserer Vergangenheit umzugehen.