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nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 1
51. Jahrgang | April
Leitartikel
Viele Musikschul-Ressourcen liegen noch brach
Die Institution kann einiges mehr, doch wissen das auch die Politiker? · Von Peter Pfaff
Musik macht Sinn, für die Entwicklung unserer Kinder war das Thema einer Diskussion am 20.
März in Ebersberg bei München. Moderator Theo Geißler begrüßte die bayerische Staatsministerin
für Arbeit- und Sozialordnung, Familie und Frauen, Christa Stewens, sowie Vertreter aus dem Kultusministerium,
des Verbandes bayerischer Sing- und Musikschulen und des Städte- und Gemeindetages auf dem Podium. Zur
Eröffnung hielt der örtliche Musikschulleiter Peter Pfaff ein außergewöhnliches Impulsreferat,
das die neue musikzeitung in Auszügen abdruckt.
Musik und insbesondere das aktive Musik-Machen haben tatsächlich eine ganz herausragende Art zu wirken.
Mit Art meine ich natürlich zuallererst die Kunst. Musik ist ein vielschichtiges Ausdrucksmittel,
mit dem ich Stimmungen erzeugen, vermitteln und erleben kann. Aber: Musik nur in die Kulturecke
zu stellen, irgendwo zwischen Albrecht Dürer, Franz Kafka und den Inzeller Plattler, das hieße, einen
Großteil der Wirkungen, der Effekte von Musik zu vernachlässigen. Wirkungen, die das Musizieren besonders
bei Kindern und Jugendlichen hat. Und ich sage bewusst hat, weil vieles von dem, was ich nun kurz
und beispielhaft erwähne, erwiesen und vielfach belegt ist: In der Philosophie schon über 400 Jahre
vor Christus durch Sokrates. In der empirischen Wissenschaft weltweit durch Studien von Universitäten zwischen
Kalifornien und der Schweiz zum Thema Musik und Intelligenz, die zudem auf das Fazit hinauslaufen:
Bildungspolitik mit Musik ist die beste Sozialpolitik. Solche Forschungsergebnisse entsprechen unserer
persönlichen Überzeugung als Musikschulpraktiker. Sie untermauern das, was wir als Musiker und Pädagogen
als die Ergebnisse unserer Arbeit kennen. Musikschulen leisten Vorschulerziehung, Schule, Nachmittagsbetreuung,
Sozialarbeit und Kultur im besten Sinne.
Wir machen Schule: Während an den Schulen der Musikunterricht immer weiter reduziert wurde, sind die öffentlichen
Musikschulen in Bayern stetig gewachsen. Kein Konzert unserer Gymnasien oder Haupt- und Realschulen wäre
realisierbar ohne die an der Musikschule ausgebildeten Instrumentalisten.
Wir machen Kindergarten: Die Musikalische Früherziehung ist für ganz viele Familien ein nicht mehr
wegzudenkender Beitrag zur Erziehung ihrer 3- bis 6-jährigen Kinder geworden. Eine musische Basis, Entwicklung
des Aufeinander-Hörens, Bewegungserziehung und Förderung der Sprachentwicklung, die sich an den Erkenntnissen
der Entwicklungspsychologie orientiert.
Wir machen Nachmittagsbetreuung: mit einem Beschäftigungsinhalt für die ganze Woche. Und wir Musikschulen
haben auch das Know-how, die Organisationserfahrung und vollausgebildetes Personal dazu.
Wir arbeiten für unser soziales System: Funktionierende Musikschulen in öffentlicher Trägerschaft
sind Kitt für die Gesellschaft. Im Landkreis Ebersberg mit nahezu flächendeckendem Musikschulangebot
erleben wir Kinder und Jugendliche, die aktiv musizieren, als verantwortungsbereit und gemeinschaftsbildend.
Im Hinblick auf eine Gesellschaft aktiver Bürger sind die soziale und die emotionale Intelligenz
treibende Kräfte.
Die Musikschulerziehung fördert diese Fähigkeiten mit hohem Wirkungsgrad. Schon einzelne Jugendliche,
die über aktives Musizieren das Funktionieren einer Gruppe erfahren haben, können die
Chemie einer Gruppe oder einer Schulklasse verändern unabhängig von Hautfarbe,
Nationalität oder Weltanschauung. Sie können zur Verringerung von Aggression und Gewalt wesentlich
beitragen.
Ich möchte mit einer Vision schließen: Die Musikschulen sind in der bayerischen Landschaft zu prächtiger
Blüte herangewachsen, die meisten davon in den vergangenen 25 Jahren und genährt von einem steigenden
Bedarf in der Bevölkerung. Der Wuchs dieser Pflanzen war beinahe zufällig wie in einer natürlichen
Wildnis abhängig vom örtlichen Boden, der Nahrung und der Pflege durch engagierte Menschen.
Wenn wir wollen, dass diese natürlich gewachsenen Musikschul-Ressourcen Nutzen bringen für unseren
gemeinsamen Garten ob wir ihn jetzt Bayern oder Europa nennen dann ist es wohl an der Zeit, diesen
Garten anzulegen, die Bodenschätze behutsam zu heben und die gewachsenen Kräfte in eine
Nutzfläche zu verwandeln.
Einfach düngen (zum Beispiel mit Geld) nützt nur teilweise. Wir müssen dieser Musikschul-Landschaft
eine Struktur geben, die mit anderen Feldern aus dem Bereich Familie, Schule, Soziales und Kultur
vernetzt ist. Und ich denke dabei nicht an einen luxuriösen Schlosspark, wo zwar alles schön anzuschauen
ist, aber die Schilder Betreten verboten Leben und Entwicklung verhindern.
Es gibt ja weltweit tolle Beispiele dafür: In Finnland, Norwegen, Schweden und Holland übrigens
alles Länder, die in der PISA-Studie hoch bewertet wurden. Als ein Beispiel in der Dritten Welt mag das
nationale System der Kinder- und Jugendorchester in Venezuela dienen (siehe
nmz 11/00, Seite 3)