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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 3
51. Jahrgang | Juni
Zukunftswerkstatt
Auslaufmodell Musikhochschule
Expertendiskussion zur Zukunft der Musikhochschule auf Bayern 2 Radio
Während die deutsche Orchesterlandschaft versteppt, Schulmusik und Musikschulen von den Politikern in
die Wüste geschickt werden, bilden 26 Musikhochschulen in der Bundesrepublik munter Musiker, Lehrer, Musikmanager
aus. Und das noch nicht mal immer sonderlich gut, wie viele Fachleute behaupten. Sind unsere Musikhochschulen
Auslaufmodelle?
Diese Frage stellte taktlos das
Musikmagazin des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung am 3. Mai live in der Music Academy
Regensburg. Die Gäste von Moderator Theo Geißler waren Klaus-Ernst Behne, Präsident der Hochschule
für Musik und Theater Hannover, Reinhart von Gutzeit, Direktor des Bruckner-Konservatoriums Linz und Heiner
Klug, Musikpädagoge, Musik- und Medienwissenschaftler.
Theo Geißler: Klaus-Ernst Behne, wie fühlt man sich, wenn man auf einem Ast sitzt, der langsam
dürr wird?
Auf dem taktlos-Podium (v.li.): Heiner Klug, Klaus-Ernst Behne, Reinhart
von Gutzeit und Moderator Theo Geißler. Foto: Martin Hufner
Klaus-Ernst Behne: Ich fühle mich überhaupt nicht auf einem Ast, der irgendwann abgesägt
werden kann. Zurzeit ist die Ausbildung an den bundesdeutschen Musikhochschulen besser denn je, das kann man
belegen. An einer Musikhochschule gibt es vier Kennziffern, mit denen man ihren Zustand beschreiben kann: Anzahl
der Frauen im Lehrkörper, Anzahl der Ausländer bei den Studenten, Anzahl der Studienabbrecher und
Anzahl der Langzeitstudenten. Alle vier Zahlen, die an unserer Musikhochschule erhoben wurden, sind an normalen
Hochschulen oder Universitäten nicht zu erreichen: 25 Prozent Anteil bei den Frauen, 25 Prozent Anteil
bei den Ausländern, 1 Prozent Studienabbrecher und 1 Prozent Langzeitstudenten. Insofern ist mir eigentlich
nicht bange um die Zukunft.
Geißler: Heiner Klug hat ein Studium Generale hinter sich, und einige Zeit an Universitäten
und Musikhochschulen verbracht. Er ist Diplom-Musiklehrer und Toningenieur und hat also reichlich Hochschulerfahrung.
Wie sind Ihre Erfahrungen im Vergleich Musikhochschule/Universität?
Heiner Klug: Die Ausbildung an einer Musikhochschule ist ein großes Luxusgut, das wir in Deutschland
haben. Das Verhältnis von Betreuung zur Studentenzahl ist an der Musikhochschule natürlich unheimlich
gut im Vergleich zur Universität.
Geißler: Reinhart von Gutzeit, Sie sind nach Österreich ans Konservatorium in Linz ausgewandert.
War die Situation der Musikhochschulen in Deutschland für Sie ein Grund, nach Österreich zu gehen?
Reinhart von Gutzeit: Nein. Ich bin nicht unglücklich über diesen Schritt, weil in der österreichischen
Gesellschaft eine sehr viel stärkere Akzeptanz der Musik und des Musikerberufs in seinen vielen Spielarten
besteht eine Zuneigung, die sich dann auch materiell ausdrückt. Ich will eine ganz pauschale Kritik
an den Hochschulen üben: Ich glaube, dass sie ein bisschen zu weit von der Gesellschaft entfernt sind.
Geißler: Sie sitzen derzeit einer Kommission in Nordrhein-Westfalen vor, die sich mit dem Zustand
der dortigen Musikhochschulen befasst. Der Hintergrund dieser Exploration ist doch wohl, dass man den Musikhochschulen
ein moderneres Outfit, einen zeitgenössischeren Inhalt verpassen will?
von Gutzeit: Das ist ganz sicher ein Ziel. Da der Arbeitsmarkt sich verändert, wird man in Zukunft
noch weniger, als man es vorher konnte, Musiker ganz einseitig auf ein bestimmtes Berufsbild hin orientieren.
Es geht daher um mehr Flexibilität, um eine breitere Qualifikation.
Die Ergebnisse dieser Kommission gibt es erst, wenn mehrheitlich abgestimmt ist. Das Land Nordrhein-Westfalen
hat den Untersuchungsauftrag unter anderem unter folgende Prämissen gestellt: Es wird nicht abgebaut, es
gibt eine Standortgarantie für die Stammhäuser. Die Persönlichkeiten, die in diese Kommission
berufen worden sind, sind neben den Hochschulexperten auch Leute aus der Medienwelt, ein Opernchef, aber eben
auch ein ausgewiesener Popularmusiker. An dieser Zusammensetzung sind Defizite ablesbar, die das Ministerium
in der Hochschulwirklichkeit zu sehen glaubt.
Geißler: Herr Klug, Sie haben sich selbst eine ganze Reihe von Ausbildungen verpasst. Ihre Einschätzung
der deutschen Hochschulausbildung heute?
Klug: Die Strukturen, aus denen die Musikhochschulen hervorgegangen sind, sind die Konservatorien des
19. Jahrhunderts. Die Ausbildung an den Musikhochschulen trägt immer noch sehr viele Züge dieser Zeit.
Heute entstehen aber in rasendem Tempo immer neue Arten zu musizieren und Arten des Umgangs mit Musik
Stichwort Medientechnologie , die sich in der Tat in einem enormen Tempo konkurrierend zum klassischen
Wiedergeben von Notentexten etablieren. Die Kinder sind auch nicht mehr zufrieden damit, Für Elise
zu spielen, sondern sie wollen lernen, wirklich die Sprache der Musik anzuwenden. Das sind alles Dinge, die
in der Ausbildung an der Musikhochschule den künftigen Pädagogen viel zu wenig vermittelt werden.
Geißler: Das heißt, aus den ehemals etwas eingleisigen Ausbildungsstätten für
Solisten und Orchestermusiker sind heute multifunktionale Ausbildungsstätten geworden mit fast zum Teil
schon universitärem Spektrum. Herr Behne, Ihre Hochschule in Hannover gehört doch zu den Wegbereitern
dieser Breite?
Behne: Wir sind vor ziemlich genau 20 Jahren künstlerisch-wissenschaftliche Hochschule geworden
und haben das Promotionsrecht bekommen, haben die Musikwissenschaft und die Musikpädagogik als wissenschaftliche
Fächer entsprechend aufgebaut. Meine Hochschule hat eine Größe, bei der man es anstreben kann,
dass man alle Instrumente kompetent im Hause vertreten hat.
Zu den Musikpädagogen: Natürlich gibt es das Burn-out-Syndrom bei Lehrern, und natürlich haben
Musiklehrer auch einen schwierigen Stand an den Schulen. Ich höre aber von den Lehrern, die von unserer
Hochschule, kommen meist, dass der Beruf ihnen Spaß macht. Wir haben seit zirka drei Jahren in Hannover
die erste und zweite Ausbildungsphase sehr eng verzahnt (1. Phase: Studium, 2. Phase: Referendariat). Möglicherweise
ist an anderen Musikhochschulen in diesem Punkt noch nicht weit genug gearbeitet worden.
von Gutzeit: Ich möchte an zwei Beispielen darlegen, dass sich wirklich etwas verändert. Das
eine Beispiel: Ein halbes Jahr, bevor die oben erwähnte Kommission einberufen wurde, hat die Folkwang-Hochschule
in Essen eine Zukunftswerkstatt ins Leben gerufen. Sie hat sämtliche frei gewordenen und frei werdenden
Planstellen gesperrt und gesagt: Wir besetzen nichts neu, bis wir uns an der Hochschule darüber klar geworden
sind, in welche Richtung wir eigentlich gehen wollen. Dann erst wird entsprechend diesen neu formulierten Zielen
auch die Personalpolitik gemacht. Das hat es bis dahin in dieser Deutlichkeit nie gegeben.
Anderes Beispiel: In der letzten Woche haben sich die vier Rektoren der nordrhein-westfälischen Hochschulen
mit Vertretern der Musikschulen des Landes getroffen und darüber nachgedacht, wie Ausbildung und Musikschularbeit
besser miteinander koordiniert werden müssen. Das wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen, damals
hätte sich ein Hochschulrektor mit den Niederungen des Musikschullebens überhaupt nicht befasst. Es
ist einiges in Bewegung.
Behne: Ich kann das nur unterstützen. Wenn das Musikschulsystem nicht funktioniert, kann das Musikhochschulsystem
auch nicht funktionieren.
Geißler: Gibt es nicht zu viele Musikhochschulen?
Behne: Es werden im Moment zu viele Orchestermusiker und Solisten ausgebildet. Nur: Die machen ja hinterher
etwas mit ihrem Studium, auch wenn sie keine Festanstellung bekommen. Wir haben auch deshalb gerade die richtige
Anzahl an Musikhochschulen in Deutschland, weil insbesondere die kleinen Musikhochschulen, zum Beispiel Trossingen
oder Detmold, dafür sorgen, dass in dieser Region ein Musikleben auf dem Lande stattfindet, das sonst nicht
möglich wäre.
Geißler: Kann man heute fordern, dass die Studenten Anspruch auf spätere Anstellung haben?
Behne: Anspruch auf spätere Anstellung gibt es natürlich nicht, das betrifft aber heute viele
Bereiche. Man denke nur daran, mit welchem Risiko Jurastudenten oder Betriebswirtschaftler auf den Arbeitsmarkt
gehen. Wenn wir Möglichkeiten schaffen, dass die Absolventen nicht nur die anfangs eingeschlagene Laufbahn
gehen können, sondern auch in andere, haben sie größere Chancen. Zu diesem Zweck wird im Moment
bei den Rektoren ein so genanntes Ypsilon-Modell diskutiert. Das könnte bedeuten, dass die 19-, 20-Jährigen
mit einem sechs-semestrigen Musikstudium beginnen und in diesen sechs Semestern ihr Instrument oder ihre Stimme
studieren plus einem instrumentalen Nebenfach plus Musiktheorie plus ein wenig Musikgeschichte/Musikwissenschaft
plus ein wenig Musikdidaktik. Sie sollen sich sechs Semester auf das Instrument konzentrieren, weil für
einen Neunzehnjährigen nichts wichtiger ist als zu erfahren, wo seine Grenzen als Instrumentalist oder
Sänger sind. Nach sechs Semestern gibt es eine Prüfung, die entscheidet, ob jemand die Musikschullaufbahn,
die Orchesterlaufbahn einschlägt oder als freischaffender Musiker auf den Markt geht. In den Semestern
von sieben bis zehn müssen wir die Studierenden dann auf die Musikschule, aufs Orchester oder auf eine
freie Tätigkeit vorbereiten.
von Gutzeit: Ich habe von dem Modell auch schon gehört und finde den Gedanken faszinierend. Nur
an einer Stelle wünsche ich mir eine Korrektur. Ich würde nicht gerne eine Prüfung sehen an dieser
Stelle, sondern eine Mischung aus Prüfung und Beratung. Sonst ist wieder zu befürchten: alle Guten
in das Künstlerische Studium, die anderen werden Pädagogen. Dann haben wir wieder diesen Antagonismus
zwischen Künstlern hier und Pädagogen dort, der für das Musikleben einfach nicht taugt.
Geißler: Inzwischen hat fast jedes große deutsche Orchester eine eigene Orchesterakademie,
weil es mit der Qualität der Musiker, die die Musikhochschulen absolviert haben, nicht zurechtkommt. Das
lässt doch den Schluss zu, dass da in der Ausbildung etwas schief läuft.
von Gutzeit: Das solistische Denken ist natürlich sehr verbreitet. Der hohe künstlerische
Anspruch soll durch all das, was hier jetzt an innovativen Gedanken geäußert wird, nicht infrage
gestellt sein. Aber: Wer gut Kammermusik spielt, ist sehr nahe dran am guten Orchestermusiker, weil er lernt,
hörend zu spielen.
Geißler: Wie geht es weiter mit den Musikhochschulen in einer Zeit, in der sich Musik und Musikgeschmack
so dramatisch verändert haben?
Behne: Es ist schon eine große Herausforderung für die Musikhochschulen, auf die gravierenden
Veränderungen im Musikleben wirklich angemessen zu reagieren. Seit 20 Jahren gibt es bei uns Jazz- und
Pop-Studiengänge, die aber häufig ein Schwergewicht auf dem Jazz haben. Die Rock- und Popmusik spielt
nicht die große Rolle. Wir haben jetzt bei uns darüber nachgedacht, wie eine Pop-Akademie aussehen
könnte, und uns wurde sehr schnell klar, dass man keinen normalen akademischen Studiengang dafür gebrauchen
kann, sondern dass man ein Raster braucht, wo die jungen Musiker in der Szene in ihren Gruppen bleiben, aus
denen sie kommen, und vielleicht übers Jahr 10, 15, 20 Workshops besuchen können, in denen sie bestimmte
Dinge ganz gezielt erweitern. Wir sind uns dabei ein bisschen in die Haare geraten. Die Leute aus der Rock-
und Pop-Szene sagten: Musikalisch brauchen wir gar nichts mehr; wir brauchen nur noch Management, PC-Kenntnisse
und so weiter. Wir dagegen sind der Meinung, dass auch die Popmusiker sehr gute Musiker sein sollten, dass sie
eine Ahnung haben sollten, was es in 100 Jahren Popmusik-Geschichte schon alles gegeben hat, damit sie das Repertoire
beherrschen: Reggae, Schlager, Musical und so weiter kennen. Die Musikhochschulen müssen einen Modellversuch
in dieser Richtung wagen, und der sieht völlig anders aus als alle bisherigen Jazz- und Rock/Pop-Studiengänge.
Geißler: Eine Perspektive für die Hochschulen liegt sicher auch im Bereich Selfmanagement?
Klug: In der Tat. Ich wünsche mir viel mehr Flexibilität, Interaktivität, Kammermusik,
Improvisation. Die Musiker müssen lernen, flexibler zu werden, in viel mehr Bereichen einsetzbar zu werden,
eben nicht nur ein Mozart-Konzert spielen zu können.
Geißler: Reinhart von Gutzeit, spielen solche Überlegungen auch bei der Strukturkommission
eine Rolle?
von Gutzeit: Natürlich. Das Selbstmanagement ist eine ganz wichtige Herausforderung geworden.
Auch das Konzertleben hat sich verändert. Der klassische Klavierabend geht zurück, und es kommen immer
mehr programmierte Veranstaltungen, wo man Musiker braucht, die mit einem Schauspieler, einem Filmemacher, einem
Tänzer in einen künstlerischen Dialog treten und nicht nur in der Welt ihrer Töne bleiben wollen.
Wichtig ist bei alldem nur, dass man innovative Gedanken nicht gegen einen hohen künstlerischen Anspruch
ausspielt. Sonst ziehen sich viele Hochschulangehörige zu Recht zurück und Reformen bleiben ein Minderheitenprogramm.