Zur 14. Konzerttagung der projektgruppe neue musik bremen
Das seit den 60er-Jahren immer wieder diskutierte Thema „Musik
und Politik“ bildete am zweiten November-Wochenende in Bremen
erneut – und angesichts bedrohlicher Zuspitzungen der weltpolitischen
Lage zu Recht – Anlass zum Hören von und Diskutieren
über neue Musik.
Schien es doch, als ob die sozialkritischen Stimmen von Komponisten
im öffentlichen Diskurs fast gänzlich verstummt sind.
„Reaktionen. Musikalische Konfrontationen mit der politischen
Gegenwart“ hatte die projektgruppe neue musik bremen ihre
14. Konzerttagung überschrieben, bei der neben „alten
Barden“ erfreulicherweise auch viele junge Komponisten zu
Sprache kamen. Drei ausgedehnte Diskussionsrunden waren auch diesmal
wichtige Verständigungsorte über das Thema anhand des
Gehörten, erbrachten differenziertere Sichten und nachdenkenswerte
Positionen. Der voll besetzte Saal in der Galerie Katrin Rabus,
die lebhafte Diskussionsbeteiligung des Publikums wie auch die gut
besuchten Konzerte in der Kirche St. Stephanie, im Sendesaal von
Radio Bremen sowie in der Rabus-Galerie zeigten denn auch, dass
die Projektgruppe mit ihrem Thema nicht nur einen Nerv der Zeit,
sondern auch ein Bedürfnis von Hörern getroffen hatte.
Mit dem eingeladenen Referenten Micha Brumlik (Die Unverdrängbarkeit
des Bösen – zum Amalekmotiv) sowie mit Komponisten aus
Israel und Palästina war das Thema am ersten Tag auf einen
politischen Brandherd der Gegenwart fokussiert. Das erwies sich
für die Diskussionen als nützlich. Denn die verbalen wie
auch musikalischen Reaktionen der unmittelbar Betroffenen –
der in Palästina lebende Komponist Samir Odeh-Tamimi, der in
Schweden in der Diaspora lebende Israeli Dror Feiler und der in
Israel lebende Israeli Yuval Shaked – ließen die Antagonismen
innerhalb dieser Region verständlicher werden, wozu auch der
Vortrag von Brumlik über Positionen des Postzionismus beitrug.
Ungemein beeindruckend war in diesem Zusammenhang die Uraufführung
„Hutáf Al-Arwáh“ (Der Schrei der Geister)
für Ensemble des 32-jährigen Odeh-Tamimi im Sendesaal
von Radio Bremen, eine in brachiale Klangbewegungen gepresste, unerbittliche
Klage. Bereits im Eröffnungskonzert in der Kirche St. Stephanie
gehörte seine zweite Uraufführung bei dieser Tagung, „Ahinnu
II“ für fünf Instrumente, zu den bemerkenswertesten
Stücken. Doch der Veranstaltungsbogen politischer Verantwortung
in und durch Musik war sehr viel weiter gespannt. So nach Lateinamerika
zu Graciela Paraskevaidis (die selbst gekommen war) und ihren völlig
gewaltlosen, kargen Solostücken für Violine, Klavier oder
Cello, vorsichtige Tonsetzungen vor der Stille des Verstummens,
deren politischen Protest man allerdings nur bei Kenntnis der Situation
lateinamerikanischer Künstler verstehen kann. Auf andere Weise
nahm Klaus Huber mit der konzertanten Uraufführung von „Ararat“
(Sequenz IV) aus „Schwarzerde“ eine politisch leise
Position war, indem er seinen zarten, filigranen Strukturen kein
Befriedetsein zugesteht, sondern Hoffnung und neuen Aufbruch intendiert.
Zu den gewagten, jedoch gelungenen Veranstaltungsexperimenten gehörte
es, Hubers Musik derjenigen von Feiler gegenüberzustellen,
allerdings wohl überlegt getrennt durch die Konzertpause. So
wurde man gewahr, dass es in der neuen Musik extrem unterschiedliche
Möglichkeiten gibt, Offenheit für waches Hören und
Denken zu erzeugen. Diesen großen Radius, nicht nur stilistisch,
sondern auch ästhetisch sehr verschieden auf politische Gegenwart
zu reagieren, spannten Vinko Globokars „La Prison“ für
Ensemble (2001), Dietrich Eichmanns Klavierkonzert „Entre
deux Guerres“ (1996/99) mit dem ausgezeichneten Christoph
Grund als Solisten und schließlich Frederic Rzewskis 36 Variationen
über das chilenische Lied „El pueplo unido jamas será
vencido“ (1975) noch weiter.
Der Projektgruppe, deren verdienstvolle Veranstaltungstätigkeit
inzwischen durch massive Sponsorenausfälle ebenfalls bedroht
ist, sei gedankt für neue Erfahrungen und die Gewissheit, dass
avancierte Musik und politische Verantwortung weiterhin zu so aufstörenden
wie künstlerisch gelungenen Resultaten führen können.