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nmz-archiv
nmz 2002/12 | Seite 56
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Berichte
Das Einfachste ist das Schwerste
Walter Zimmermann bei den XVI. Weingartener Tagen für Neue
Musik
Weingarten, nahe dem Bodensee gelegen, ist Pilgerstätte. 2.000
Kilometer bis Santiago de Compostela liest man im Innenhof des Benediktinerstifts,
das als Tagungs- und Konzertort der Weingartener Tage für Neue
Musik dient. Jedes Jahr steht ein anderer Komponist im Zentrum –
ausschließlich seine Werke werden gespielt und diskutiert.
Cage, Lachenmann, Schnebel, Stockhausen, Hespos, Rihm, Kagel oder
Adriana Hölszky waren unter anderem schon hier.
Walter Zimmermann, 1949 im fränkischen Schwabach geboren,
muss es hier gut gefallen haben, denn auch er ist ein Pilger. Seine
Reiserouten liegen im Geistigen, und hier erreicht er die Neuplatoniker,
Augustinus, Meister Eckhart, Jean Paul, Nietzsche und viele andere.
Und Walter Zimmermann ist Asket. Wie ein Säulenheiliger sucht
er nicht das Getümmel der Auseinandersetzungen von Avantgarde
und Postmoderne, seine Klänge ziehen sich davon zurück
und blicken ins Weite. Sie lassen los, gehorchen damit einer Forderung
von Meister Eckart („Vom Nutzen des Lassens“) und suchen
eigene Orientierung. Hierbei ist Zimmermann immer skrupulös,
er klammert sich an selbstverordnete Regularien, die der Ordnung
von Stundengebeten entsprechen mögen. Gelingen ist auf solch
gefährdeten Wegen nicht garantiert, der Geist aber dringt –
und in den besten Werken ganz vehement – durch: hin zu einer
Musik, die in ihrer Abgeschiedenheit singulär ist. Sie wirft
Gebilde aus, die durch ihre beharrliche Nachdrücklichkeit bestechen
und konzentrierte Schönheit einer anderen Art generieren.
Vielleicht haben sich dieses Jahr in Weingarten Geistesverwandtschaften
auf ganz besondere Art getroffen. Aus Australien kam der Musikwissenschaftler
Richard Toop, der die Musik Zimmermanns gleichsam antipodisch zum
Zentrum vordringend beleuchtete, die Witwe Morton Feldmans war hier
und das „ensemble recherche“, die Sängerin Uta
Buchheister, der exorbitante Geiger-Komponist Marc Sabat und der
universale Akkordeonist Teodoro Anzellotti ließen Zimmermanns
Musik aus ihrer Mitte heraus leuchten. Zu Recht hat man in Bezug
auf Zimmermanns Stücke immer wieder von introvertierter Virtuosität
gesprochen. Vieles klingt ganz einfach, da sind modal getönte
Melodien, da sind Unisonobewegungen, da sind weite Gräben von
Pausen. Genaues Hören oder auch ein Blick in die Noten belehrt
einen: alles ist verdammt schwer zu realisieren. Zimmermann sucht
immer Töne, die auf der Kippe stehen, die sich nur an der schmalen
Schnittstelle von Gedachtem und Realität verwirklichen lassen.
Solches Bemühen aber schafft Energien, von denen Al-fresco-Partiturpinsler
nicht einmal träumen. Und diese Energien stehen wie Geister
im Raum. Am entschiedensten war dies, das soll die anderen Leistungen
nicht schmälern, im gewaltigen Soloviolinstück „Die
Sorge geht über den Fluss 1 & 2“ (der zweite Teil
war Uraufführung) der Fall. 50 Minuten Dauer bedeuteten 50
Minuten intensivste Anspannung. Fragile Klänge wagten sich
schütter ins Leben, kurze Exzesse rüttelten an den Gittern,
Ätherisches trat abgeklärt dazwischen, Stillen unterminierten
und verdichteten den Verlauf zur Atemlosigkeit des Vernehmens. „Ich
habe über drei Monate jeden Tag etwas Unabhängiges geschrieben.
An Tagen, wo ich nicht komponieren konnte, sind jetzt die Pausen.“
So beschrieb Walter Zimmermann den schöpferischen Hergang.
So einfach ist das. Das Einfachste aber ist das Schwerste. Es zu
erreichen, bedeutet Verzicht, beständige Reduzierung. Das kann
man nicht komponieren, das muss man leben.
Zimmermann lebt und vermutlich wird er immerfort von Selbstzweifeln
geplagt. Daraus freilich wächst letztlich seine Kraft.