Musik der Jahrhunderte eröffnet einen so genannten Aktienfonds
„Wir gehen an Ihre Börse“: Mit diesem Slogan wirbt
Musik der Jahrhunderte Stuttgart (MdJ) für ihren neuen Fabrica
Kultur Fonds. 25 Euro kostet eine Aktie, die (schade eigentlich)
keine echte Aktie und kein echter Aktienfonds ist, sondern eine
Spende: Mit den Einlagen in den Kultur Fonds der Musik der Jahrhunderte,
unter deren Dach sich die neuen Vocalsolisten Stuttgart, das Festival
neuer Musik ECLAT sowie die Meisterkurse für Zuhörer verbergen,
fördert der Käufer Kompositionsaufträge an Komponisten,
die gerne ein Werk für die Neuen Vokalsolisten oder MdJ schreiben
möchten. Mit dem Echo bei Spendern und Medien sind MdJ Geschäftsführerin
Christine Fischer und der künstlerische Leiter Hans Peter Jahn
zufrieden. In den ersten 5 Tagen nach Eröffnung des Fonds wurden
25 Aktien verkauft, es gibt bereits zahlreich Meldungen weiterer
Interessenten.
Wie so oft kam der Anstoß zu dieser originellen Fundraising-Idee
aus der Krise. Es sei jetzt etwa ein Jahr her, sagt MdJ Geschäftsführerin
Christine Fischer rückblickend, dass das Kunstministerium Baden-Württemberg
einen Etat eingestellt hat, aus dem bis dahin regelmäßig
KA an die NVS unterstützt wurden. Pro Jahr veranstaltet Musik
der Jahrhunderte etwa 20 Uraufführungen, davon sind zwischen
vier und sechs Projekte der NVS. Die meisten Kompositionsaufträge
kamen und kommen nach wie vor von Rundfunkanstalten und Veranstaltern.
Dennoch entstand durch den Wegfall dieses Etats ein empfindliches
Loch, das jetzt mit dem Fabrica Kultur Fonds gestopft werden soll.
„Wenn der Aktienfond gut anläuft, dann werden wir ihn
sicher auch öffnen für andere Ensembles“, verspricht
Fischer.
Als Schirmherr der Aktion konnte er Bundesminister a.D. Gerhart
Baum gewinnen. Baum gibt der Initiative nicht nur einen seriösen
Anstrich, sondern ist als Kuratoriumsvorsitzender der MdJ kompetent
und vor allem aktiv im Bereich Neue Musik. Mit der „Vorzugsaktie“
(Preis auf Nachfrage) sprechen die Initiatoren den echten Mäzen
an. Denn im Gegensatz zu einem Bild ist eine Komposition weder Wertanlage
noch Spekulationsobjekt. Neben einer Spendenbescheinigung erhält
der Vorzugs-Aktien-Käufer eine ihm gewidmete Partitur. Mit
Sicherheit auch ein seriöser und gangbarer Weg neben Lichnowsky,
Rasumowsky, Schikaneder, Lobkowitz in die Musikgeschichte einzugehen.
Weiter enthält die Vorzugsaktie noch das Angebot an den Erwerber,
„sein“ Werk im Entstehungsprozess und nach der Uraufführungen
zu Konzerten im In- und Ausland zu begleiten.
Die Ausgabe des Fonds fällt in eine wichtige Umbruchphase
von Musik der Jahrhunderte: Nächstes Jahr wird der Umzug in
die neuen Räume am Pragsattel stattfinden. Zusammen mit dem
Stuttgarter Theaterhaus sowie einigen soziokulturellen Initiativen
wird Musik der Jahrhunderte dort erstmals eigene Spielstätten
und Probenräume unter einem Dach vereinen. Christine Fischer
schwärmt schon jetzt von den neuen Gegebenheiten: vier Säle
mit 1.000, 450, 300 und 100 Plätzen, zwei eigene, großzügig
bemessene Probenräume. Und nicht zuletzt hat MdJ im Pragsattel
eine neue Heimat gefunden: Es ist Schluss mit dem permanenten Wandern
zwischen Liederhalle, Theaterhaus und Gustav-Siegle-Haus.
Die ersten Kompositionsaufträge – in diesem Fall ausschließlich
Projekte der Neuen Vocalsolisten – gehen an: Jeniffer Walshe,
Irland, Karin Rehnqvist, Schweden, Stefano Gervasoni, Italien, Fredrik
Zeller, Stuttgart, Nadir Vassena, Tessin, Hector Moro, Chile, Francois
Paris aus Frankreich und Robin Hoffmann, Frankfurt.
Andreas Kolb
Musik aus dem Containerwagen: Die Neuen Vokalsolisten Stuttgart
sind gern gesehener Gast und fester Bestandteil bei den Veranstaltungen
von Musik der Jahrhunderte. Für unkonventionelle Formen der
Auftritte ist, wie ersichtlich, stets bestens gesorgt. Mit dem
frischen Wind lassen sich auch Finanzierungs-Konzepte angehen,
die dem heiklen Verhältnis von Kunst und Geld die nackte
Schulter zeigen. Foto: MdJ