Die Verleihung des Kulturgroschens – Eröffnung und
Begrüßung durch Max Fuchs
Verehrter Herr von Loeffelholz, ich freue mich nicht nur, dass
der Sprecherrat, das Auswahlgremium des Deutschen Kulturrats für
diese Auszeichnung, entschieden hat, Sie mit diesem Preis auszuzeichnen,
ein kulturpolitischer Preis, der leider nicht dotiert, allerdings
von hohem symbolischem Wert ist.
Ich freue mich insbesondere darüber, dass Sie heute wirklich
hier sind. Die Kenner wissen, dass wir letztes Jahr ein kleines
Problem mit unserem Kulturgroschen- Preisträger hatten. Denn
ohne eigenes Verschulden ist er uns kurzfristig abhanden gekommen.
Umso mehr bin ich nicht nur voller Freude, sondern auch sehr beruhigt,
dass es so aussieht, als ob heute Abend das vorgesehene Programm
seinen Verlauf nehmen kann. Ich danke der Stiftung „Brandenburger
Tor“, dass sie diese schönen Räume, die auch sehr
angemessen sind für diesen Anlass, zur Verfügung gestellt
hat und dass es auch bei dem anschließenden Empfang eine Kooperation
mit dem Deutschen Kulturrat geben wird. Denn wir sind auf diese
Kooperationen dringend angewiesen. Ich habe schon gescherzt: wir
verleihen leider nur einen Kulturgroschen, bei der Kulturmark oder
dem Kultureuro als wertvolleren Münzen sind wir noch nicht
angelangt. Insofern sind wir für solche Kooperationen besonders
dankbar, und diese sind auch ein Teil dessen, was wir heute bei
Herrn von Loeffelholz würdigen wollen: Die produktive Zusammenarbeit
von Kultur und Wirtschaft.
Max Fuchs (li.) und Bernhard
Freiherr Loeffelholz von Colberg. Foto: Helmut Biess
Ich bedanke mich auch – und gratuliere zugleich zur Wiederwahl
– bei Frau Antje Vollmer dafür, dass sie die Laudatio
halten wird. Ihre Verdienste um das Stiftungsrecht sind bereits
erwähnt worden. Wir haben in ihr eine wichtige Mitstreiterin
in allen kulturpolitischen Fragen, und ich werde nicht umhinkommen,
auch heute einen Problempunkt anzusprechen, bei dem wir dieses Mitstreiten
ganz aktuell wieder benötigen. Und ich freue mich zum Schluss
über die Musikerinnen und Musiker, die ein Beispiel für
die Tätigkeit von Herrn von Loeffelholz darstellen. Sie werden
diesen Abend abschließen. Herr von Loeffelholz ist Gründungsmitglied
der Orchesterakademie der Stiftung Berliner Philharmoniker, von
der die Musikerinnen und Musiker kommen, so dass das Wirken von
ihm heute an einem guten Beispiel demonstriert wird. Erlauben Sie
mir einige inhaltliche Bemerkungen. Denn wenn ein Verband einen
Preis verleiht, will er zwar auch eine Person ehren. Aber er will
natürlich letztlich sich auch selbst ehren und sich mit der
geehrten Person schmücken. Ich habe überhaupt keine Scheu
einzugestehen, dass sich der Deutsche Kulturrat mit Ihnen, Herr
von Loeffelholz, sehr gerne schmücken will. Und dies hat politische
und konzeptionelle Gründe, die ich mit einem Blick in die Geschichte
kurz erläutern möchte. Es wird allerdings nur ein kleiner
Blick sein, lediglich zwei, drei Bemerkungen über das schwierige
Verhältnis zwischen Kultur und Wirtschaft. Ich beginne nicht
mit der Antike, sondern in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
Denn es begann Mitte der achtziger Jahre eine sehr lebhafte Diskussion
über das Verhältnis von Kultur und Wirtschaft. Viele hier,
das erkenne ich an den Gesichtern, haben das miterleben können.
Diese Diskussion war und ist in Deutschland besonders schwierig.
Und dies haben wir insbesondere Adorno und Horkheimer zu verdanken.
Denn ihr Verdikt des Ökonomischen in allen Fragen, die Kunst
und Kultur betreffen, in dem berühmten Kulturindustriekapitel
der „Dialektik der Aufklärung“, steckt allen, die
ihre Sozialisation in den 70er-Jahren erlebt haben, tief im Bewusstsein.
Das betreffende Kapitel dieses Buches heißt „Aufklärung
als Massenbetrug“. Der Massenbetrug kommt dadurch zustande,
dass, falls Kunst und Kultur kommerzialisiert sind, sie dadurch
fremden Zielen und Handlungslogiken unterworfen werden. Kunst und
Kultur werden so zu Mitteln der Entfremdung, der Anpassung an Unterdrückungsverhältnisse.
Die Kulturindustrie ist daher in den Augen von Adorno und Horkheimer
nur von Übel.
Diese Sichtweise hat in der Folgezeit sehr viele Schwierigkeiten
bereitet, so dass es nur selten zu einer produktiven Kooperation
zwischen Wirtschaft und Kultur gekommen ist. Deswegen ist es auch
nicht verwunderlich, dass zunächst die „sanfte Version“
von Ökonomie als erstes den Weg in den Kulturdiskurs fand,
und diese sanfte Version ist die Volkswirtschaftslehre. Anfang der
80er-Jahre gab es die ersten Studien über die volkswirtschaftliche
Bedeutung des Kulturbereichs als Arbeitsmarkt. Man hat diesen Arbeitsmarkt
mit der Automobilindustrie oder der Nahrungsmittelindustrie verglichen.
Auf alle Fälle war man beeindruckt, auch im Kulturbereich selbst,
wie wichtig man ist, dass man also auch in ökonomischer Hinsicht
ein ernst zu nehmender Faktor war. Ein zweiter wunderschöner
Begriff, der damals eine unglaubliche Konjunktur hatte – es
soll ihn in kleineren Städten immer noch geben –, ist
der Begriff der „Umwegrentabilität“. Dies war eine
tolle Erfindung, die darin bestand, dass kluge Leute ausgerechnet
hatten, dass jede Mark, die für den Kulturbereich ausgegeben
wird, eine Mark fünfzig zurück in die Kassen bringt, also
eine geradezu unglaubliche Rendite für öffentliche Kulturausgaben
zu verzeichnen war. Dieses Argument haben alle Kulturleute damals
mit Begeisterung aufgegriffen. Denn es hat Kultur auch in ihrer
ökonomischen Einträglichkeit und Rentabilität aufgewertet.
Aber damit war die hohe Zeit der volkswirtschaftlichen Diskussion
des Kulturellen auch schon wieder abgeschlossen.
Denn jetzt kam die Hardcore-Version der Ökonomie, die Betriebswirtschaftslehre.
Und die Betriebswirtschaftler wollten doch in der Tat sehen, wo
diese eine Mark fünfzig denn ist. Und zwar nicht frei flottierend
irgendwo in der Gesellschaft, sondern in der Kasse jedes einzelnen
Kulturinstituts. In jeder Musikschule, in jedem Theater, in jedem
Museum sollte nachgesehen werden: Wo ist sie denn? Und sie war dort
leider nicht – zumindest in den wenigsten Fällen. Das
hat dann doch ein wenig in ökonomischer Hinsicht zur Ernüchterung
geführt. Die Betriebswirtschaftler haben die Ernüchterung
in die Kultur gebracht.
Produktiver Austausch
Trotzdem war das Ganze nicht bloß ein kurzes und folgenloses
Intermezzo, sondern ein produktiver Austausch, der einiges gebracht
hat. Er hat der Kultur eine verstärkte Anerkennung im gesellschaftlichen
Diskurs auch als ökonomische Veranstaltung und nicht bloß
als Veranstaltung der Sinnvermittlung gebracht. Auch der Wirtschaft
hat das Vorteile gebracht. Denn seitdem erprobte und erprobt die
Wirtschaft vielfältige Kooperationsmöglichkeiten zwischen
Betrieben und Kultureinrichtungen. Meine eigene Einrichtung, die
Akademie Remscheid, hat etwa einige Jahre mit den Gothaer Versicherungen
den Wettbewerb „kultur plus“ durchgeführt, bei
dem besonders gelungene Kooperationsprojekte zwischen Einrichtungen
der Kinder- und Jugendkulturarbeit und Wirtschaftsbetrieben ausgezeichnet
wurden. Es war uns dabei nicht genug, lediglich einen Scheck über
den Tisch wandern zu sehen, sondern das entscheidende Kriterium
war, dass die Kulturarbeit selbst inhaltlich in den Betrieben spürbar
sein musste. Es gab eine Fülle von hervorragenden Projekten,
bei denen beide Seiten mit gesundem Eigeninteresse profitiert haben.
Natürlich hat es, weil ich eben etwas bösartig über
die Betriebswirtschaftslehre gesprochen habe, der Kultur auch gut
getan, mit professionellem Management in Kontakt zu kommen. Seither
gab es eine erhebliche Professionalisierung des Kulturmanagements.
Und das war auch wirklich nötig. Es gibt inzwischen viele etablierte
Studiengänge in Kulturmanagement, bei denen man von den Managementerfahrungen
im Wirtschaftsbereich profitiert hat und wo man sich darum bemüht,
ein geeignetes Managementkonzept für Kultureinrichtungen zu
entwickeln und zu vermitteln.
Wichtig ist bei dieser Zusammenarbeit zwischen Kultur und Wirtschaft
die Leitlinie, die wir auch bei Herrn von Loeffelholz gefunden haben:
nämlich Respekt; Respekt vor der jeweils verschiedenen Arbeitsweise
von Wirtschaft beziehungsweise von Kunst und Kultur. Denn Kunst
und Kultur leben von ihrem Eigensinn, leben vom Nicht-Funktionalen
und leben auch davon, dass das mit der einen Mark fünfzig gar
nicht funktionieren kann. Kunst und Kultur sind oft genug das Nicht-Rentierliche.
Eine Kooperation zwischen Wirtschaft und Kultur kann daher nur funktionieren,
wenn dieses Prinzip, auf den Punkt gebracht wird: „Kulturwaren
sind Waren eigener Art“. Dies war einer der Grundgedanken
1998 bei der Weltkonferenz „The power of Culture“ in
Stockholm, an der auch der Kulturrat als so genannte NGO beteiligt
war.
Doch wie steht es heute mit der Umsetzung dieser Forderung? An
dieser Stelle wollte ich nun einen ganz versöhnlichen Abschluss
dieses Rückblicks auf die oft spannungsvollen, aber auch spannenden
Beziehungen zwischen Wirtschaft und Kultur bringen, zumal wir auch
kürzlich zusammen mit dem Kulturstaatsminister eine im Ganzen
erfreuliche Bilanz der letzten Legislaturperiode gezogen haben.
Ich erinnere nur an das Stiftungsrecht oder die Besteuerung ausländischer
Künstlerinnen und Künstler, ich erinnere an die Erhaltung
der Buchpreisbindung und die Bundeskulturstiftung – alles
Ergebnisse, an denen der Kulturrat beratend und zum Teil sogar gestaltend
mitgewirkt hat. An dieser Stelle muss ich allerdings von den Notizen,
die ich vorbereitet habe, abweichen und auf etwas hinweisen, das
mir Olaf Zimmermann noch während meiner Herfahrt gemeldet hat,
nämlich dass „Die Welt“ die Streichliste von Herrn
Eichel heute veröffentlicht hat. Viele haben das vermutlich
schon mitbekommen: Eine Errungenschaft, die ganz besonders wichtig
ist und ohne die vermutlich auch diese Stiftung, bei der wir heute
zu Gast sind, nicht existieren würde, soll gestrichen werden.
Es geht um die Möglichkeit des Spendenabzuges. Wir werden
morgen früh eine Pressekonferenz hierzu durchführen, denn
es kann nicht sein, dass die kulturpolitischen Errungenschaften
der letzten Jahre bei aller verständlichen Not, den blauen
Brief aus Brüssel zu vermeiden und den Haushalt zu sanieren,
an diesem bezogen auf den Gesamthaushalt minimalen Betrag beschädigt
werden. Wir bitten auch Sie, Frau Vollmer, an dieser Stelle um Ihre
bewährte Unterstützung. Das war also leider kein so harmonischer
Abschluss, wie ich ihn vorgesehen hatte. Möglicherweise wollen
Sie, Herr von Loeffelholz, auch darauf eingehen. Ich hoffe sehr,
dass diese fatale Entscheidung rückgängig gemacht wird.
Denn der Schaden für das Soziale und Kulturelle, für Sport,
Bildung und Wissenschaft wäre unvorstellbar.
Ich möchte abschließend zwei Blicke in die Zukunft werfen.
Sie wissen es: Ebenso wie es bei einer Rede unvermeidbar ist, auf
die Geschichte hinzuweisen, so ist es heute auch unvermeidbar, auf
die Globalisierung zu sprechen zu kommen.
Auch in dieser Hinsicht will ich Ihren Erwartungen entsprechen.
Globalisierung hat – das wird Sie vielleicht überraschen
– auch mit dem Kulturrat sehr viel zu tun. Ich erwähne
nur das GATS-Abkommen. An diesem haben wir uns heftig abgearbeitet
und ein umfangreiches Positionspapier erarbeitet. Es geht bei diesem
Abkommen (GATS = General Agreement on Trades and Services) darum,
dass nach den Gütern (GATT) nunmehr auch die Dienstleistungen
der Deregulierung des Weltmarktes unterzogen werden sollen. Das
„S“ bei GATS heißt nämlich „services“,
Dienstleistungen. Kultur und Bildung gelten dabei im internationalen
Sprachgebrauch als Dienstleistungen. Es geht also darum, dass diejenigen,
die in der Weltwirtschaftspolitik Verantwortung tragen, diese Unterschiede,
die die UNESCO („Kulturwaren sind Waren eigener Art“)
formuliert hat, nicht akzeptieren.
Wir bemerken allerdings die Globalisierung auch dann, wenn wir
mit Brüssel reden. Denn es ist immer häufiger der Wettbewerbskommissar,
mit dem wir es zu tun haben, und nicht die Kulturkommissarin. Ich
erinnere nur an die Buchpreisbindung. Da ging das Problem nicht
von der Kulturkommissarin, sondern von dem Wettbewerbskommissar
aus. Man könnte noch viele weitere Beispiele anfügen,
die belegen: Die Verflechtung zwischen Kultur und Wirtschaft ist
schon längst in der Kulturpolitik angekommen. Kulturpolitik
muss heute kulturelle Wirtschaftspolitik einschließen, wenn
sie wirkungsvoll die Rahmenbedingungen für das kulturelle Leben
gestalten will. Ich will dies an zwei kleinen Lesefrüchten
zum Abschluss exemplarisch verdeutlichen.
Sie wissen, dass es immer wieder Enquete- Kommissionen im Bundestag
gibt. Diese Kommissionen sind unglaublich fleißig. Ich weiß
nicht, ob Sie alle schon einmal die Abschlussberichte solcher Kommissionen
gesehen haben. Die wiegen etwa drei bis vier Kilo, haben etwa tausend
Seiten im DIN A 4 Format und eignen sich überhaupt nicht, um
sie mal eben im Zug lesen zu können. Auf einen dieser Berichte,
die oft ganz spannend sind – und neuerdings auch mit vielen
bunten Bildern, wie ich festgestellt habe –will ich jetzt
zu sprechen kommen.
Es handelt sich dabei nicht um den Bericht, der sehr nahe liegen
würde, weil der Kulturrat mittelbar damit verbunden war, nämlich
den Bericht der Enquete-Kommission zum Bürgerschaftlichen Engagement,
sondern um den Abschlussbericht „Globalisierung der Weltwirtschaft“,
der unter der Leitung von Ernst Ulrich von Weizsäcker erstellt
wurde. Dies, lieber Herr von Loeffelholz, hat wiederum mit Ihrer
beruflichen Tätigkeit zu tun. Denn ich habe in Ihren biografischen
Daten gelesen, dass Sie von 1961 bis 1968 bei der Einrichtung „Cepes“
gearbeitet haben, die sich schon damals mit der Liberalisierung
des Welthandels befasst hat. Zwei Punkte habe ich beim Durchblättern
dieses sehr, sehr dicken und schweren Berichtes gesehen, die beide
relevant sind, und beide möchte ich ganz kurz ansprechen.
Der erste Punkt heißt „global governance“. „Global
governance“ bezeichnet eine kluge Idee, die letztlich ihren
Ursprung in Deutschland hat. Denn sie entsprang einer Initiative
von Willy Brandt, der seinerzeit die Nord-Süd-Kommission der
UNO geleitet hat. Man war darauf gestoßen, dass das weltweite
Problem der ungerechten Verteilung von Reichtum auch etwas damit
zu tun hat, und sie funktioniert heute immer noch so schlecht, weil
man sich zu stark auf den Staat oder Staatenbündnisse als einzige
Akteure konzentriert. Die Idee der „global governance“
ist sehr komplex. Sie wurde von einer hochrangigen UNO-Kommission
(Commission of Global Governance) entwickelt, der von deutscher
Seite etwa der heute hier anwesende Professor Kurt Biedenkopf angehörte
und die 1995 ihren Bericht vorlegte („Our Global Neighbourhood
– Nachbarn in einer Welt“).
Herr Biedenkopf hatte zugleich viele Jahre Verantwortung für
die „Stiftung Entwicklung und Frieden“ in Bonn, die
ebenfalls von Willy Brandt gegründet wurde und die zu den wichtigsten
deutschen Popularisatoren dieser Idee der „global governance“
gehört. Es geht dabei sehr verkürzt darum, ein Konzept
von politischer Steuerung im Weltmaßstab zu entwickeln, bei
dem der Staat oder Staatenbündnisse zwar weiterhin eine große
Rolle spielen, bei dem jedoch NGOs (Non-governmental Organisations)
wie etwa Wirtschaftsverbände oder gesellschaftspolitische Organisationen
– also all das, was im internationalen Sprachgebrauch „Zivilgesellschaft“
heißt – an der Steuerung des Gemeinwesens mitwirken.
Und zu diesen NGOs gehört auch der Deutsche Kulturrat.
Global Governance
Jetzt meinen Sie vielleicht, dass dies ja ganz interessant sein
mag, doch was hat das mit Kultur und dem Kulturrat zu tun? Vor drei
Wochen haben wir etwa 50 Meter von hier in der deutschen Vertretung
der Europäischen Union eine Veranstaltung über die Frage
durchgeführt: Wie entwickelt sich die europäische Verfassung?
Wir konnten dabei erleben, wie wenig dieses Konzept der global governance
– das heißt, der politischen Gestaltung und Mitwirkung
nichtstaatlicher Akteure – bei denjenigen, die in Brüssel
Verantwortung tragen, angewandt wird. Es besteht zwar formell eine
bestimmte Möglichkeit der Mitgestaltung bei diesem wichtigen
Dokument für das zukünftige Europa. Aber das Verfahren
ist ausgesprochen mühsam, und eher sieht es danach aus, als
ob es Formen bloß symbolischer Politik sind, bei denen eine
Einbeziehung von NGOs stattfindet. Das heißt, es gibt gute
und richtige Konzepte dafür, wie eine Politik, die ihre Legitimation
nicht verlieren will, als Netzwerk gestaltet werden muss; aber die
Europäische Union scheint ein wenig resistent bei deren Anwendung
zu sein.
Wir brauchen aber, wenn wir erfolgreich Kulturpolitik, auch kulturelle
Wirtschaftspolitik machen wollen, mehreres: Wir brauchen gute Ideen
und Personen – engagierte Personen –, die Initiativen
vor Ort in Gang bringen; wir brauchen sie, damit die Realisierung
von Ideen erleichtert und nicht erschwert wird. Dies alles werden
wir nur mit solchen Menschen machen können – aus allen
verschiedenen gesellschaftlichen Feldern –, die bereit und
in der Lage sind, über die Grenzen ihres eigenen Faches hinauszublicken
und die sich auf zunächst unsichere Kooperationen oder unbekannte
Kooperations-Partner einlassen. Dann gelingt auch eine gemeinsame
Gestaltung der Zukunft, dann realisiert sich die gemeinsame Verantwortung,
so wie sie etwa dem global-governance-Konzept zugrunde liegt.
Wissensgesellschaft
Mein zweiter Punkt, den ich in dem Abschlussdokument der Enquete-Kommission
„Globalisierung der Weltwirtschaft“ herausgreife und
der höchste kulturpolitische Relevanz hat, ist sehr viel kürzer.
Er bezieht sich darauf, dass das Thema „Wissens- oder Informationsgesellschaft“
sowohl wirtschafts- als auch kulturpolitisch höchst relevant
ist. „Wissensgesellschaft“ bedeutet Information, bedeutet
Informationstechnologie, hat also unter anderem mit Medien zu tun.
Die Entwicklung der neuen technischen Medien ist geradezu Motor
und Kern der ökonomischen Globalisierung. Denn im Mittelpunkt
der ökonomischen Globalisierung stehen die globalen Finanzmärkte,
und die wären in ihrer Dynamik und Brisanz überhaupt nicht
möglich, wenn es die moderne Informationstechnologie nicht
gäbe. Das heißt: Natürlich ist die Politik zur Herstellung
einer Wissensgesellschaft eine ökonomische Frage. Aber eben
nicht nur. Es geht auch und entschieden um kulturelle Inhalte, es
geht um kulturelle Teilhabe auch an den Möglichkeiten der Informationsgesellschaft
(„access“). Deswegen haben wir uns als Deutscher Kulturrat
aktuell ein wenig unbeliebt gemacht, als wir gehört haben,
dass es einen „Superminister“ für Arbeit und Wirtschaft
geben sollte, der bislang Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen
war. Dieser hatte bereits in dieser Funktion als ehemaliger Journalist
größtes Interesse an Medienfragen. Wir haben daher riskiert
zu sagen, dass es günstig wäre, wenn man die ökonomische
und die kulturelle Medienpolitik nicht auseinander dividiert. Ich
hoffe, man wird es dem Deutschen Kulturrat verzeihen, dass er die
kulturellen Interessen auch bei der Herstellung der Informations-
und Wissensgesellschaft vertritt. Auch dies ist also ein Beispiel
dafür, wie sehr kulturpolitisch relevante Themen in anderen
Politikfeldern bearbeitet werden. Erfolgreiche Kulturpolitik muss
sich heute in die Rechts- und Sozialpolitik, in die Wirtschafts-
und Außenpolitik einmischen. Denn „Kultur“ ist
keine Insel oder Oase, sondern aufs engste mit diesen Gesellschaftsfeldern
verzahnt.
All dies bedeutet, dass man Grenzen überschreiten muss, Grenzen
des eigenen fachlichen Feldes, wenn das eigene fachliche Feld die
Wirtschaft ist, aber auch, wenn das eigene Arbeitsfeld die Kunst
ist. Das oben angesprochene Verdikt von Adorno kann dann in einer
Praxis überwunden werden, die von respektvollem Kooperationswillen
geprägt ist. Herr von Loeffelholz hat uns gezeigt, wie dies
möglich ist, und er ermutigt andere dazu, dasselbe zu tun.
Daher werden wir ihn heute mit dem Kulturgroschen des Deutschen
Kulturrats auszeichnen.