Dankrede für die Verleihung des Kulturgroschens des Deutschen
Kulturrates von Bernhard Freiherr Loeffelholz von Colberg
Dies ist für mich ein Tag der Freude – nicht nur über
die Anerkennung zurückliegender Tätigkeit. Ich fühle
mich von Ihnen allen, die Sie heute hierher gekommen sind, auch
kräftig ermuntert, weiterzumachen.
Weiterzumachen, nicht mehr so viel wie bisher mit der unmittelbaren
Förderung junger Künstler, Musiker, Schriftsteller, Architekten.
Dafür habe ich vorzügliche Nachfolgerinnen und langjährige
Mitstreiterinnen, die das in demselben Geiste fortsetzen, den Frau
Dr. Vollmer soeben beschrieben hat: Karin Heyl in der Jürgen-Ponto-Stiftung
und in der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank, Susanne Litzel
im Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI, Hanne Fleck in der
Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker. Ich freue mich sehr,
dass Sie heute hier sind. Ihnen habe ich viel zu danken. Sie und
viele andere, die ich gar nicht alle nennen kann, haben erheblich
zu dem Erfolg der Tätigkeit beigetragen, für die Sie mir
heute diesen Kulturgroschen verleihen.
Bernhard Freiherr Loeffelholz
von Colberg. Foto: Biess
Ich freue mich auch sehr, dass Stipendiaten der Orchesterakademie,
die ich an der Seite Jürgen Pontos und anderer Persönlichkeiten
aus der Wirtschaft vor 30 Jahren gemeinsam mit Herbert von Karajan
gegründet habe – Christophe Horak, Alvaro Parra, Kirsikka
Kaukonen und Ulrike Hofmann – mit dem Streichquartett F-Dur
von Maurice Ravel diesen Abend musikalisch erfüllen und danke
ihnen herzlich dafür. Weitermachen will ich vor allem mit kulturpolitischen
Anstößen, um Kunst und Kultur einen wesentlich größeren
Einfluss auf die Gestaltung unserer Zukunft zu verschaffen. Denn
um kulturelle Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft in Deutschland,
in Europa, in der Welt geht es heute ganz entscheidend angesichts
des uns alle immer mehr erfassenden Globalisierungsprozesses.
Die meisten scheinen sich daran gewöhnt zu haben, dass dieser
Prozess nach ökonomischen Vorgaben abläuft und vom globalen
Kapitalmarkt gesteuert wird. Unter dem alles beherrschenden Einfluss
der neoklassischen Schule der Wirtschaftswissenschaft bestimmt der
Marktpreis mehr und mehr den Wert aller Dinge und Handlungen und
ist der „shareholder value“ zur Ordnungsmacht in der
Welt aufgestiegen, dem sich alles zu unterwerfen hat.
Das hat schon für die Wirtschaft fragwürdige Folgen:
• Der weitblickende Unternehmer mit Beziehung zu seinen
Produkten, Mitarbeitern und Kunden, mit Verantwortungsgefühl
auch für die Stadt und das Land, in dem er tätig ist,
mit Freude am Gestalten – einer der wichtigsten unternehmerischen
Eigenschaften – schrumpft in den Großunternehmen zum
Gewinnmaximierungsfunktionär.
• Die Wirtschaftswissenschaft geht darüber hinweg,
dass für die quasi moralische Begründung der ausschließlichen
Ausrichtung der Kapitalgesellschaften auf das Aktionärsinteresse
der verantwortliche Aktionär – der auch einmal eine
Durststrecke seines Unternehmens durchhält, das war auch
oft die Hausbank – weithin abhanden gekommen ist. Er wurde
vom Fondsmanager verdrängt, der als Aktionär an kurzfristig
maximalen Gewinnen zur Steigerung der Fonds-Performance interessiert
ist und der unverzüglich in andere Aktien umsteigt, sobald
diese kurzfristig höhere Gewinne erwarten lassen.
Was in dieser einseitig kapitalistisch geprägten Wirtschaftsordnung
passiert, ist ein Auseinanderfallen von Macht über und Verantwortung
für Unternehmen.
Kein Thema für eine mechanistisch denkende, mit mathematischen
Formeln kommunizierende Wirtschaftswissenschaft. Aber ein Thema
der Kultur, der Wirkungen dieser Außensteuerung auf die Menschen
in den Betrieben, auf den Umgang miteinander: statt Freude an der
eigenständigen Gestaltung Angst und Druck zur Erfüllung
von Vorgaben. Statt Kollegialität Konkurrenz bis zum Mobbing.
Statt charakterfester Unternehmensführung Verunsicherung der
Topmanager bis zur Bilanzfälschung, statt weit vorausschauender
Forschung Demotivation von Mitarbeitern, deren Arbeit sich nicht
kurzfristig rechnet. Das Eigeninteresse des Kapitals, seine Macht
über die Geschäftsleitungen lenkt deren Aufmerksamkeit
zwangsläufig – je nach Standfestigkeit mehr oder weniger
– von vorausschauender Beschäftigung mit den Bedürfnissen
ihrer Kunden ab, die nur noch soweit wahrgenommen werden als zur
Stimulierung des Aktionärsinteresses erforderlich.
Man sollte einmal untersuchen, welche Folgen der im Interesse einer
hohen Kapitalrendite erzwungene Verzicht der Unternehmen auf weniger
ertragreiche Geschäftsfelder und auf Forschung, die keinen
kurzfristigen Gewinn verspricht, für Beschäftigung und
Wirtschaftswachstum haben.
Aber das alles ist kein Thema für eine Wirtschaftswissenschaft,
die sich von allen kulturellen Grundlagen getrennt hat und quasi
als Naturwissenschaft begreift, in der Menschen nur als Humankapital
oder Verbraucher vorkommen.
In hoch dotierten Eliteschulen werden die begabtesten jungen Studenten
zu globalen Kämpfern für den „shareholder value“
ausgebildet. Dort lernen sie, dass die Rationalität gebiete,
Religion, Liebe, Kinder in Kosten-Nutzen-Kategorien zu messen, um
ihren Marktpreis, ihr Austauschverhältnis zu beliebigen anderen
Gütern feststellen zu können. Die Lehrer, die ihnen das
beibringen, ehrt man mit Nobelpreisen.
Hier fehlt auf nationaler, auf europäischer, ja auf globaler
Ebene der geistige Gegenpol der Kultur, der stark genug wäre,
um sich Geltung zu verschaffen.
Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck, sondern sie hat dem Menschen,
der Kultur, nicht nur dem Verbraucher zu dienen. Es reicht nicht,
dass der Mensch als homo oeconomicus erfolgreich agiert. Er muss
als Mensch gelingen. Er muss mit seinen geistigen Fähigkeiten
und seinem Charakter den gewaltigen Herausforderungen gewachsen
bleiben, die die rasch fortschreitende wissenschaftliche Entdeckung
seiner Lebensbedingungen und die technische Machbarkeit ihrer Veränderung
an ihn stellen.
Meine Damen und Herren, wie Sie merken, ist für mich das Verhältnis
zwischen Kultur und Wirtschaft sehr viel weit reichender als das
Verhältnis zwischen Förderern und Geförderten. Was
ich hier kritisch beleuchte, ist aber auch der Hintergrund für
Änderungen der öffentlichen Kulturförderung. Die
Globalisierung, so, wie sie bis jetzt gesteuert wird, lässt
unseren öffentlichen Kassen zu wenig Steuern, weil die Gewinne
der global agierenden Unternehmen in Länder mit den niedrigsten
Steuersätzen gelenkt werden. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung
mit der Steuerreform in der letzten Legislaturperiode das Kunststück
fertig gebracht hat, Großunternehmen in diesem Jahr per Saldo
mehr Körperschaftssteuer zurückzuerstatten, als sie von
diesen erhält.
Aber nicht nur die knappen Kassen namentlich der Kommunen sind
es, die eine Änderung der öffentlichen Kunst- und Kulturförderung
bewirken. Unverkennbar rücken Staat und Kommunen zunehmend
davon ab, Kunst um ihrer Qualität willen, um ihres Aufklärungsgehalts,
um ihrer dauerhaften und nachwirkenden Bedeutung willen zu fördern.
Nicht Humanisierung, nicht Sinnstiftung, sondern Nutzen als Imageträger
für Politiker, als Standortfaktor für die Wirtschaft,
als Event für ein flüchtiges, großes Publikum wird
immer mehr ausschlaggebend für die Förderung. Man will
die Kunst politisch und kommerziell verwerten.
Hier spürt man die Wirkung der ökonomistischen Ideologie,
die außerhalb des Marktes keine Wertbestimmung anerkennt.
Bezahlt werden soll von der öffentlichen Hand ebenso wie in
der Wirtschaft nur, was sich rechnet, was in irgendeiner Weise wirtschaftlichen
Gewinn abwirft. Dem ökonomistischen Dogma liegt ein zweckrationalistisches
Bild vom Menschen zugrunde, der seine Arbeitskraft nur für
etwas einsetzt, das er mit möglichst hohem Gewinn verkaufen
kann. Diesem Denken entspricht die utilitaristische Vorstellung,
dass Kunst und Kultur grundsätzlich diejenigen bezahlen sollen,
die sie konsumieren oder nutzen. Kunstwerke und kulturelle Bildung
sind aber nicht nur Wirtschaftsgüter derer, die sie besitzen,
sondern Elemente des Erkenntnisprozesses der Menschheit. Ihre Besitzer
haben die Pflicht, sie zu bewahren und von Generation zu Generation
weiterzugeben respektive weiterzuentwickeln. Die utilitaristische
Reduktion auf individuellen Gebrauchs- oder Verbrauchsnutzen bedeutet
weithin Verzicht auf neuartige Qualität, auf eigenständige
künstlerische Leistungen, deren Wert in einem frühen Stadium
nur eine Minderheit erkennt, die nicht über kostendeckende
Kaufkraft verfügt.
Aber auch das Kunst-Erbe, das von Generation an Generation treuhänderisch
weiterzugeben ist, das der Pflege, der Restaurierung, der wissenschaftlichen
Erforschung und der angemessenen Präsentation zur Erschließung
und Vermittlung seines Wertes bedarf, darf nicht auf Gedeih und
Verderb dem Markt ausgeliefert werden. In leicht konsumierbaren
Events banalisiert, verkümmert seine künstlerische Substanz.
„Der Sozialismus selektierte die Kunst nach Parteilichkeit.
Der Kapitalismus selektiert nach Verwertbarkeit“ hat der Sächsische
Kultursenat im vergangenen Jahr in seinen ersten Kulturbericht geschrieben.
Wir leben in einer Gesellschaft der Verwerter. Stattdessen brauchen
wir mehr Engagement, mehr Streiter für die Schaffung und Erhaltung
von Werten. Bei den zahlreichen Übernahmen und Fusionen von
Unternehmen der letzten Jahre ging es meist nicht um die Verwirklichung
bahnbrechender unternehmerischer Visionen, sondern um kurzfristige
Kostensenkungen und Gewinnsteigerungen durch Betriebsschließungen,
Entlassung tausender Arbeitskräfte und Verwertung von Vermögensgegenständen.
Verwertung war auch die Aufgabe der Treuhand am Ende der DDR.
Es ist ein großes Verdienst vieler, leider meist nicht angemessen
gewürdigter Frauen und Männer im östlichen Teil Deutschlands,
die gewissermaßen als Hüter des Feuers oft ohne Amt und
Mandat das reiche Kunsterbe in der DDR bewahrt, seinen Wert erhalten
und in die Wiedervereinigung hinüber gerettet haben. Und es
ist das Verdienst von Männern aus dem Westen, wie dem unvergessenen
Dr. von Köckritz, Leiter der Abteilung Kultur des früheren
Bundesinnenministeriums und Prof. Kiesow, Gründer und langjähriger
Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, dass in den neuen
Ländern vieles wieder im alten Glanz erstehen konnte. Hier
ist es – in Sachsen vor allem dank des Kulturraumgesetzes
– gelungen, die reiche Kulturlandschaft weitgehend zu erhalten.
Aber die Stimmen von Politikern mehren sich überall in Deutschland,
die Kunst und Kultur für ihre politischen Zwecke einsetzen
wollen und die wenig auf so unspektakuläre Dinge wie Restaurierung,
wissenschaftliche Erschließung und Pflege des Kulturerbes
geben.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch vor den neuesten Bestrebungen
des Auswärtigen Amtes warnen, die Goethe-Institute, deren freie
Auslandsarbeit ihr Markenzeichen war, künftig an die politische
Kette zu legen.
Meine Damen und Herren, die Kultur muss die Herausforderungen der
neuen Situation annehmen. Sie muss auf Politik und Wirtschaft einwirken,
die utilitaristische Einseitigkeit zu korrigieren. Dem blanken Zweckrationalismus
muss wertrationales Denken entgegengestellt werden. Ich meine, dass
die Kulturpolitik einen sehr viel höheren Stellenwert bekommen
muss. Sie sollte zu einem Element der Ordnungspolitik werden. Wie
mit der Sozialen Marktwirtschaft in den Anfängen der Bundesrepublik
brauchen wir jetzt in der Europäischen Union einen Werterahmen
für die Marktwirtschaft, dem im globalen Austausch Geltung
zu verschaffen ist.
Wir müssen über unveräußerliche Werte sprechen,
von denen in Artikel 1 unseres Grundgesetzes die Rede ist: „Die
Würde des Menschen ist unantastbar... Das Deutsche Volk bekennt
sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten
als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und
der Gerechtigkeit in der Welt“. Der hier verankerte Begriff
der Unveräußerlichkeit setzt dem Totalitätsanspruch
des Marktes Grenzen.
Ökonomische Gesetze sind Ergebnisse einer Erfahrungswissenschaft
und im Zeitablauf abhängig von Wertvorstellungen der jeweils
lebenden Generationen in ihren jeweiligen Kulturräumen. In
einer aufgeklärten Welt kann keine Wissenschaft absolute Werte
postulieren. Wissenschaft ermöglicht nur Kenntnisnahme. Wertentscheidung
ist Stellungnahme.
Wertentscheidungen kann nicht nur der Konsument treffen. Wer die
Welt verantwortlich mitgestalten will, muss neben dem Marktwert
noch andere Werte erkennen und verteidigen. Wir müssen die
ethische und intellektuelle Kraft aufbringen, Grenzen zu ziehen
zwischen käuflichen und unveräußerlichen Werten.
Solche gibt es ja schon lange zum Beispiel im Verbot des Sklavenhandels.
Wir müssen uns von den Scheuklappen befreien, dass die Suche
nach verbindenden und verbindlichen Grundwerten mit dem Pluralismus
unserer heutigen Welt unvereinbar sei und von der Angst, dass daraus
Fundamentalismus entstehen kann. Ich glaube vielmehr, dass etwa
eine Erweiterung des Begriffs der Menschenwürde durch das Recht
auf die eigene Kultur einem Grundbedürfnis der Menschen entgegenkäme.
Als Gegengewicht und Dialogpartner von Politik, Wirtschaft und
Wissenschaften schlage ich vor, über eine autonome Institution
für die Kultur nachzudenken, die gesetzlich zu schaffen oder
gar in der Verfassung – vergleichbar mit der Judikative –
zu verankern wäre. In diesem Sinne habe ich vor vier Jahren
erstmals in einem Beitrag zur Festschrift für Hermann Glaser,
die die Kulturpolitische Gesellschaft zu seinem 70. Geburtstag herausgegeben
hat, die Errichtung eines „Deutschen Kultursenats“ vorgeschlagen.
Da sich der Deutsche Kulturrat aber seit langem in immer umfangreicherem
und stärkerem Maße für die Kultur auf Bundesebene
einsetzt und da andererseits immer mehr wichtige Entscheidungen
in Brüssel getroffen werden, scheint es mir heute noch wichtiger,
auf europäischer Ebene eine Instanz für Kulturpolitik
zu schaffen, denn diese steht, wie die „F.A.Z.“ am 5.
Oktober leider zutreffend schreibt, derzeit in der EU auf verlorenem
Posten. Jean Monnet hat dieses Defizit schon vor vielen Jahren erkannt,
als er sagte: „Wenn ich heute noch einmal mit der Einigung
Europas beginnen könnte, würde ich nicht mit der Wirtschaft
sondern mit der Kultur beginnen.“
Dieses Defizit hat zwar der „Europarat“ über Jahrzehnte
versucht auszufüllen – unter anderem mit kulturellen
Städte- und Regionalpartnerschaften, der Europäischen
Kulturdeklaration (als Vorlage für die europäischen Kulturminister),
dem Europäischen Denkmalschutz- und anderen kulturellen Schwerpunktjahren
und Programmen – aber gegenüber den Wirtschaftsinteressen
der EU scheint er keine Durchsetzungsfähigkeit mehr zu besitzen.
Ich schlage daher im Rahmen der EU die Errichtung eines „Europäischen
Kultursenats“ vor, der als Wahrer kultureller Werte und Schützer
künstlerischer Freiheit und Lebensfähigkeit zu grundlegenden
kulturpolitischen Fragen Stellung nimmt und Empfehlungen für
öffentliche und private Kunst- und Kulturförderung ausspricht.
Der Kultursenat hätte sich von Parteien und Verbänden
dadurch zu unterscheiden, dass er keine parteipolitischen und keine
wirtschaftlichen Interessen vertritt.
Er wäre allein der Erhaltung und Stärkung kultureller
Werte, der Entwicklung künstlerischer Kräfte verpflichtet.
Seine Mitglieder wären aufgrund ihrer kulturellen Kompetenz,
ihres besonderen Engagements für kulturelle Fragen und ihrer
persönlichen Integrität auszuwählen.
Der Kultursenat sollte die bisher in der Kommission der EU nur
rudimentäre, schwerfällige und vor allem von wirtschaftlichen
Überlegungen getragene Kulturförderung deutlich verbessern.
Der Kultursenat sollte Kriterien für die Beurteilung kultureller
Werte und kultureller Güter (Buchpreisbindung war so ein Thema)
entwickeln und öffentlich zur Diskussion stellen. Er sollte
die Kulturverträglichkeit von Verordnungen auf europäischer
Ebene (unter anderem auch die kulturelle Bewertung „feindlicher“
Firmenübernahmen) ebenso prüfen und öffentlich kommentieren,
wie internationale Vertragsverhandlungen, Stichwort: exception culturelle
bei Handelsliberalisierung und GATS-Verhandlungen. In diesem Zusammenhang
danke ich dem Deutschen Kulturrat, dass er das Thema Kulturverträglichkeitsprüfung
aufgegriffen und seine Aufnahme in den Koalitionsvertrag von SPD
und Bündnis90/Grünen erreicht hat. Die gestern von den
Koalitionspartnern getroffene Entscheidung, die Staatsministerin
für Kultur und Medien zukünftig mit der Kulturverträglichkeitsprüfung
von Gesetzen zu betrauen, ist ein entscheidender Schritt, der Kultur
in der Politik mehr Geltung zu verschaffen.
Ich schlage vor, das Thema „Europäischer Kultursenat“
in den Europäischen Konvent einzubringen, der derzeit über
eine Europäische Verfassung berät.
Meine Damen und Herren, als ich diesen Vorschlag erstmals ausarbeitete,
wusste ich noch nicht, dass ich Gelegenheit erhalten würde,
als Präsident des Sächsischen Kultursenats, der 1993 mit
einem Gesetz vom Sächsischen Landtag geschaffen wurde, die
Chancen einer derartigen Instanz auf der Ebene eines Bundeslandes
zu erproben. Meine Tätigkeit seither ermutigt mich, verstärkt
für einen Kultursenat auf europäischer Ebene zu werben.
Lassen Sie mich den Kern dieses für eine Dankrede etwas lang
geratenen Plädoyers – wofür ich um Nachsicht bitte
– wie folgt zusammenfassen: Die Kultur muss mehr Gewicht im
Staat und in der Europäischen Union erhalten. Ihre Autonomie
gegenüber politischer und wirtschaftlicher Instrumentalisierung
ist gesetzlich, ja möglichst verfassungsmäßig zu
verankern und ihre finanzielle Basis vergleichbar mit der Rechtspflege
zu sichern. Ziel ist ein dynamisches Gleichgewicht von Kultur und
Wirtschaft in einer Gesellschaftsordnung der Zukunft, als Kraftfeld
der Erneuerung und als Chance zur Erhaltung und Ausbreitung menschenwürdiger
Lebensverhältnisse für die, die nach uns kommen.
Bernhard Freiherr Loeffelholz von Colberg, Präsident
des Sächsischen Kultursenats