[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/12 | Seite 25
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Jeunesses Musicales Deutschland
Erfolgreich warmgespielt
Eine Dekade Entwicklung der Landesjugendsinfonieorchester in den
Neuen Ländern
Sie alle sind Arbeitsphasenorchester mit durchschnittlich zwei-
bis dreimal jährlich stattfindenden Probenzyklen und mindestens
einem öffentlichen Konzert. Für die Musiker im Alter zwischen
zirka 13 und 25 Jahren sind Probespiele Pflicht. Die Landesjugendsinfonieorchester
in den Neuen Bundesländern bestehen heute annähernd zehn
Jahre. Ihre Gründungsphasen waren teilweise von katastrophalen
Schwierigkeiten geprägt. In unmittelbarer Nähe der Landeswettbewerbe
von “Jugend musiziert” repräsentieren sie einen
bedeutenden Teil der musikalischen Jugendarbeit der Länder.
Unter dem Zwang fortschreitender Kürzungen läuft die Finanzierung
im Wesentlichen über Landesprojektmittel und Teilnehmergebühren.
Teilweise konnten private Sponsoren und Finanzinstitute zur Kofinanzierung
oder Projektunterstützung gewonnen werden. Die erfolgreiche
Entwicklung der Ensembles resultiert nicht zuletzt aus der Mixtur
von Engagement, Flexibilität und sehr viel kreativer Hartnäckigkeit
der Beteiligten.
Am Anfang drängten sich frierende Musiker um einige Ölradiatoren.
Im ersten Probelager des Landesjugendorchesters Sachsen waren die
Heizungen ausgefallen. Nichts lief, wie es sollte. Neben klammen
Fingern gab es vor allem Besetzungsschwierigkeiten, unausgeglichene
Register und Unkenrufe, die das Projekt mit seiner Gründung
totsagten. Alldem zum Trotz entwickelte sich seit Herbst 1992 ein
Orchester, das bis heute etwa 400 Jugendlichen eine künstlerische
Heimstatt geboten hat. Die Übernahme der Trägerschaft
durch den Sächsischen Musikrat im Frühjahr 1993 und die
Entwicklung eines klaren organisatorischen Konzepts, verbunden mit
dem für viele Jahre anhaltenden Idealismus vieler Beteiligter,
waren die besten Voraussetzungen für diese künstlerische
Entwicklung. „Mit der sich parallel entwickelnden Erfolgsstory
von ’Jugend musiziert‘ in Sachsen wurde das LJO zu einem
ergänzenden Projekt dieses Wettbewerbes“, so Torsten
Tannenberg, Geschäftsführer des SMR.
Aus eigener Erfahrung weiß der langjährige Projektleiter
des jungen Orchesters um die enge Verbundenheit von Dozenten, Dirigenten
und Organisatoren mit den Musikern. Gemeinsam erlebte Höhen
und Tiefen, Erfolge bei den zahlreichen Konzerten im In- und Ausland
und nicht zuletzt das Echo des Publikums schaffen ein besonderes
Klima von Zusammengehörigkeit. Milko Kersten, musikalischer
Leiter seit dem Herbst 2000, über die nicht immer einfache
Zusammenarbeit: „Vielleicht machen gerade diese Erfahrungen
unsere Arbeit so erlebnisreich und vital.“ Für Landesmusikrat-Geschäftsführer
Dietmar George ist die Decke im Jugendsinfonieorchester Sachsen-Anhalt
ver- gleichsweise dünn. Bis heute fehlt dem Land eine Musikhochschule.
Ein weiteres Problem, das jedoch auf alle östlichen Bundesländer
zutrifft, ist der ungebrochene Abwanderungstrend von Jugendlichen
und jungen Familien. Bedingt durch die vergleichsweise geringe Zahl
von musizierenden Kindern und Jugendlichen sind im JSO auch Musikstudenten
zugelassen. Seit etwa zehn Jahren steht Heribert Beissel als musikalischer
Leiter am Pult. Bisherige Konzerthöhepunkte waren unzweifelhaft
die Gastspiele im Großen Saal des Wiener Musikvereins. Bereits
mit den Orchester-Anfängen im Mai 1992 entwickelte sich die
Zusammenarbeit mit dem Dirigentenforum des Deutschen Musikrates.
Das optimiert die Probenarbeit des Orchesters, gleichzeitig erhalten
die Nachwuchsdirigenten zusätzliche Einstudierungsmöglichkeiten.
Auch in Sachsen-Anhalt ist das junge Orchester eine Form der Anschlussförderung
von “Jugend musiziert” und wichtiges Instrument der
musikalischen Begabtenförderung. Dabei bietet es den Hochbegabten
ebenso Platz, wie es behutsam an Spitzenleistungen heranführt.
Als Initiative des Landesmusikrates wurde im Oktober 1993 das Landesjugendsinfonieorchester
Thüringen unter Leitung von Lothar Seyfarth gegründet.
75 Musiker und Musikerinnen absolvieren seitdem jährlich ihre
Probenphasen in Thüringen, Unterfranken, in der Rhön und
in Bayern. Die Thüringer müssen mit 14 Tagen Probenzeit
insgesamt auskommen, die Projektmittel liegen im Bundesvergleich
weit unter anderen vergleichbaren Ensembles. Die erste größere
Konzertreise führte im Oktober 1997, initiiert vom Goethe-Institut
und der Thüringer Staatskanzlei, nach Tschechien. 1996 bis
1999 stand das Orchester unter Leitung von Thomas Hauschild, seit
diesem Jahr steht Judith Kubitz am Pult. Das Ensemble wird von einer
Arbeitsgruppe beraten, auch ein Förderverein gibt Unterstützung.
Die unmittelbare Betreuung des Orchesters erfolgt aus der Geschäftsstelle
des Landesmusikrates durch Arbeitskräfte über das Arbeitsamt,
was sehr zu Lasten der Kontinuität der Arbeit geht. Nach Geschäftsführerin
Ursula Krauß wird vieles „mit Idealismus bewältigt.“
Auch die Mecklenburger hatten Heizprobleme. Es gab solide, alte
Kachelöfen im Probelager auf dem Darß, aber nichts zu
feuern. Was schließlich verheizt wurde, darüber schweigt
sich die Chronik aus und gibt stattdessen Einblick in eine teilweise
schmerzhafte, aber auch humorige Entwicklung. Im April 1991 sandte
der damalige Musikverein Mecklenburg-Vorpommern eine Einladung an
die Eltern der Musikschüler des Landes zur Gründung einer
Schülerphilharmonie. 1992 übernahm der Landesmusikrat
die Trägerschaft des jungen Klangkörpers, der unterdessen
in Landesjugendorchester umbenannt war. Nach elf Jahren unter Leitung
von Peter Aderholt gilt das Ensemble heute als ein Schwerpunkt der
musikalischen Jugendarbeit Mecklenburg-Vorpommerns. Zum zehnjährigen
Jubiläum gab es im vergangenen Jahr ein gemeinsames Projekt
mit dem Landesjugendjazzorchester. Die Zusammenarbeit mit dem Stralsunder
Theater brachte erste Opernerfahrungen, kontinuierliche Förderung
kommt auch vom NDR in Hamburg. Mit einer sich festigenden Struktur
besteht für Projektleiterin Christine Kellermann Hoffnung zum
Aufbau eventuellen Sponsorings.
Widerspiegelung kultureller Stadtentwicklung beim Sonderfall Hauptstadt:
Bereits Ostern 1990 waren im Berliner Landesjugendorchester, einer
„Westgründung“ von 1987, sowohl im Orchester als
auch im Dozententeam beide Stadthälften vertreten. Für
Projektleiterin Christiane Halaski ist das Ost/West-Thema keines:
„Berlin ist das Tor zum Osten, so hat es der Landesmusikrat
immer gesehen, in der Zusammenarbeit mit den Partnern und bei den
Gastspielen.“ Mit dem Akademischen Chor Zagreb arbeitete das
Orchester mehrfach. Für die auswärtigen Arbeitsphasen
in Moskau, Prag oder Krakau gab es Zuschüsse über die
Verbindungsstelle für internationale Beziehungen des Deutschen
Musikrats. Sonderfall Hauptstadt? Das bis zur Wende quasi „musikschul-übergeordnete“
Jugendorchester Ostberlins und heutige JSO erlebte in diesem Jahr
sein endgültiges Finale. Ausgenommen von den üblichen
und versteckten Kürzungen des Senats ist auch das Landesjugendorchester,
dessen diesjährige Herbstarbeitsphase von Prof. Dr. Peter Gülke
geleitet wurde, nicht.
„Wo immer die enthusiastischen Newcomer das Podium betreten,
erobern sie die Herzen im Sturm. Selbst ein mit allen musikantischen
Wassern gewaschener Global Player wie Daniel Barenboim ist von der
Leistungsbereitschaft, dem Elan und Eigensinn der bunten Truppe
so beeindruckt, dass er einen gemeinsamen Auftritt zum 10-Jährigen
spontan zusagte.“ Was hier wie vollmundiger Höhenflug
anmutet, nahm 1992 als Initiative des brandenburgischen Landesverbandes
der Musikschulen und des Landesmusikrates seinen Anfang und mauserte
sich zu einer spannenden Klangfarbe im märkischen Musikleben.
Unter Trägerschaft des Landesverbandes der Musikschulen führen
Konzertreisen das junge Sinfonieorchester ins In- und Ausland. Das
diesjährige Jubiläum gipfelte im Berliner Schauspielhauskonzert
mit Daniel Barenboim am Flügel. Barenboim engagiert sich seit
1997 auch im Förderverein des Jugendsinfonieorchesters. In
Brandenburg gilt, so Projektleiter Thomas Falk, wie in allen anderen
Jugendorchestern auch: „Ohne die intensive Mitarbeit erfahrener
Profimusiker, ohne logistische und psychologische Unterstützung
hinter den Kulissen wäre kein erfolgreiches Konzert denkbar“.
„Nicht ich“, schreibt Chefdirigent Sebastian Weigle,
„sondern Projekt- und Registerprobenleiter legen das Fundament,
bevor es im Plenum zur Sache geht“.
Selbst wenn manchem jungen Musiker nach langen Probenphasen mitunter
die Handgelenke schmerzen, die Konzerte sprühen vor Lebendigkeit.
Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Musikergenerationen
empfinden nicht nur Orchester und Dirigenten als sehr offen und
spontan. Auch beim Publikum springt der berühmte Funke meist
über. „Perfektion“ steht nicht vordergründig
an erster Stelle der Arbeit der Landesjugendorchester. Jedoch verbinden
sich außergewöhnlich hohe Motivation mit Disziplin und
der Bereitschaft zum sensiblen Hin- und Aufeinanderhören. All
das sind Maßeinheiten für die Entwicklung sozialer und
emotionaler Kompetenz.